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Der Verdichter

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Muss man sich mal bewusst machen: Es gibt Menschen, die können den Inhalt einer ganzen Serienstaffel in eine einminütige „Previously on . . .“-Zusammenfassung packen. Mehrere Stunden Handlung, zig Personen und unzählige Dialoge verdichtet auf maximal 60 Sekunden. Diese Menschen, so die Annahme, müssen überlegene Gehirne haben, um den Überblick zu behalten. Oder Tricks. Höchste Zeit, mit einem von ihnen zu reden. Ein Anruf bei Byron Smith, Cutter aus Los Angeles, der unter anderem an „House of Cards“ und „True Detective“ gearbeitet hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Guten Tag, wir wollten über die „Previously on . . .“-Zusammenfassungen von Serien reden.
Byron Smith: Ja, das haben die Leute vom Studio schon angekündigt. Und dass ihr die Recaps, so nennen wir die, für eine eigene Kunstform haltet. Stimmt das wirklich?

Ja.
Das freut mich wahnsinnig. Es ist eine Ehre für uns hier im Schnitt, dass so eine Anfrage aus Deutschland kommt. In Amerika interessiert sich niemand für Recaps. Aber uns machen sie sehr großen Spaß! Wie schaust du die Serie?

Meistens auf DVD. Bei „House of Cards“ beginnen da alle Folgen mit einer Zusammenfassung der vorherigen.
Wirklich? Toll!

Man braucht das ja auch. Weil die Serien so kompliziert werden.
Stimmt. Wir sind in unserem normalen Leben schließlich schon so überfrachtet mit Informationen. Es ist unmöglich, sich auch noch jedes Detail einer Serie zu merken. Nach einem langen Tag braucht man Recaps, um den Einstieg wiederzufinden. Und man will ja auch einen Hinweis auf das, was in der kommenden Folge wichtig wird, nicht wahr?

Du verlierst bei Serien, an denen du nicht selbst arbeitest, also auch den Überblick?
Und wie! Ich frage mich beim Serienschauen andauernd: „Wer zum Teufel ist das jetzt schon wieder?“ Wenn bei „Game of Thrones“ in späteren Staffeln eine Figur aus der ersten wiederkommt: puh . . .

Mist. Die Idee war, von dir zu lernen, wie man sich auf das Wesentliche konzentriert. Auch im echten Leben.
Ah, eine Metaebene?!

Genau.
Hm. Ich fürchte, damit kann ich nicht dienen.

Es gibt gar keinen Trick? Nicht mal einen klitzekleinen?
Für mich ist das, was wir tun, eher Handwerk. Oder nein: Vielleicht darf ich es Handwerkskunst nennen?! Für mich sind Recaps inzwischen wie ein zweiter Vorspann. Oder wie eine Art Prolog. Vielleicht sogar wie eine Preview im Kino! In jedem Fall etwas, das wir sehen wollen, weil es zur Tradition geworden ist. Deshalb ging es uns bei „House Of Cards“ auch drum, die Zusammenfassungen zu den besten zu machen, die es gibt. Wir wollten die Idee der Recaps neu erfinden.

http://vimeo.com/138714991

Was heißt das?
Bei „Mad Men“ machen die Cutter sich zum Beispiel immer mal wieder einen Scherz daraus, eine Art Anti-Recap zu schneiden. Der Inhalt hat dann nichts mit dem zu tun, was in der Folge danach passieren wird. Mein Ziel ist aber immer: Wenn Menschen die vorherige Folge nicht gesehen haben, sollen sie trotzdem vorbereitet sein auf das, was kommen wird. Und in die andere Richtung will ich, dass die Zusammenfassung wie ein Trailer der früheren Folgen funktioniert. Die Leute sollen denken: Mist, ich muss die Folge noch ansehen, weil ich offenbar etwas verpasst habe.

Und wie bekommt man jetzt eine Folge, oder sogar eine ganze Staffel, in 30 bis 60 Sekunden?
Was mir sehr hilft: Ich versuche, das Thema der Folge freizulegen, die ich zusammenfassen muss.

Ha, doch ein Trick!
Wenn du unbedingt willst. Ich versuche also, den roten Faden zu finden. Um Macht geht es bei „House of Cards“ natürlich praktisch immer. Deshalb versuche ich, eine Ebene tiefer zu kommen: Geht es um Rache? Geht es um Eifersucht? Um Neid? Stolz? Sterblichkeit?

Das passt immer in ein Wort?
Meistens. Und dann arbeite ich um dieses Wort herum.

Womit fängst du dabei an?
Ziemlich oft mit einem der Momente, in denen Kevin Spacey sich direkt an den Zuschauer wendet. Die enthalten fast immer die komplette Metaebene mindestens der aktuellen Szene – meistens aber sogar der ganzen Folge.

>> Und wie behält man da jetzt den Überblick??? >>


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert




Und wie geht der Trick, mit dem man den Überblick behält über die ganzen Handlungsstränge, die Charaktere und die vielen Sätze, die sie sagen?
Da gibt es jetzt wirklich keinen Trick. Ich muss mir einfach die Folge ansehen. Sogar wenn ich sie selbst geschnitten habe. Und dann sehe ich mir ein paar der vorherigen Folgen an. Dabei konzentriere ich mich vor allem auf starke Bilder. Im schlimmsten Fall suche ich sogar nach einem einzelnen Wort, das irgendwer gesprochen hat, weil ich weiß, dass ich das brauche, um die Geschichte zusammenzunähen.

Was sind starke Bilder?
Wenn jemand ein Glas wirft, ist das Gold! (lacht) Das ist außeralltäglich. Es hat eine visuelle Gewalt. Wenn ich dazu noch ein paar Zitate finde, die viel vom Thema einer Folge in sich tragen, genügt das schon fast.

Und die Atmosphäre der Serie?
Die zu verdichten, ist tatsächlich noch schwerer. Eigentlich.

Noch ein Trick?
Nein. Gigantische Darsteller.

Das reicht?
Eigentlich schon. Nimm nur Robin Wright, die Claire Underwood spielt. Ich könnte ihr den ganzen Tag dabei zusehen, wie sie einfach nur herumläuft. Das, was sie ausstrahlt, trägt schon fast die ganze Essenz der Serie in sich. Bei Kevin ist es dasselbe. Wenn er einen Raum betritt, nimmt er ihn sofort für sich ein. Der Raum, die Szene, einfach alles scheint sich auf ihn zu fokussieren. Und da hat er noch nichts gesagt.

Je besser der Schauspieler, desto eher liefert er die Atmosphäre automatisch mit?
Genau. Und obwohl – oder eigentlich weil – „House of Cards“ die besten Dialoge hat, die ich kenne, steckt in der Stille dazwischen die eigentliche Kraft. Wenn ein Schauspieler etwas mit seinen Augen schon ausgedrückt hat, schneide ich das, was er sagt, quasi immer komplett heraus – und zack: habe ich pure Atmosphäre.

Wie viele Menschen sehen eine Zusammenfassung, damit ihr sicher seid, dass man sie versteht?
Ziemlich wenige. Und die dann selten gezielt. Meistens zeige ich die Recaps Leuten, die gerade an meinem Büro vorbeikommen und einen Moment Zeit haben. Denn die sind genau in der Stimmung, in der die Zuschauer das auch sehen.

Gab es Folgen, bei denen die Zusammenfassung besonders schwer war?
Die zweite Hälfte der zweiten Staffel wurde irgendwann sehr hart.

Warum?
Ich glaube, es wird recht zwangsläufig schwierig, Recaps zu schneiden und dabei die Geschichte immer wieder frisch zu erzählen. Man hat die meisten Handlungsstränge schon mal zusammengefasst und mit kommenden verknüpft. Die Gefahr ist groß, dass das irgendwann wie „Malen nach Zahlen“ wird. (lacht)

Und dann?
Muss ich mich dran erinnern, wie viel Spaß mein Job eigentlich macht. In dem Fall habe ich zufällig eine Szene entdeckt, in der Tom Hammerschmidt, der Chefredakteur des Washington Herald, seiner Mitarbeiterin Zoe Barnes ein wütendes „You cunt“ ins Gesicht brüllt.

Das hat gereicht?
Es hat jedenfalls gereicht, damit jeder, der es gesehen hat, laut lachen musste. Offenbar konnte sich keiner dran erinnern. Mission erfüllt!

Wer Byrons Arbeit hier sehen will: Sky zeigt ab 12. Oktober von Montag bis Freitag (16 Uhr) noch mal alle Folgen von "House of Cards" ab Staffel eins.

Text: jakob-biazza - Fotos: Kyle Traynor

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