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"Syrien und Assad waren untrennbar verbunden"

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Luna Al-Mousli, 25, ist in Damaskus aufgewachsen und mit 14 mit ihrer Familie nach Österreich gezogen. Im vergangenen Jahr hat sie ihr Diplom in Grafikdesign an der Universität für angewandte Kunst in Wien gemacht – mit einem komplett selbstgemachten Buch über ihre Kindheit in Syrien: 44 poetische Mini-Geschichten, illustriert mit privaten Fotos. "Eine Träne. Ein Lächeln." erscheint jetzt in einer limitierten Auflage im Verlag weissbooks.w. Im Interview spricht Luna über Syrien damals und heute, darüber, wie ein ein autoritäres Regime auf ein Kind wirkt, und wie man Erinnerungen abbildet.

jetzt.de: Luna, wann warst du das letzte Mal in Syrien?
Luna Al-Mousli: Ein Jahr vor dem Bürgerkrieg, also 2010.

Sind deine Verwandten noch dort?
In Damaskus leben noch meine Großeltern väterlicherseits, meine Cousine und meine Tanten, bis auf zwei, eine ist im Libanon und eine in Saudi-Arabien.

Habt ihr regelmäßig Kontakt?
Ja, wir skypen oder schreiben uns.

Sprecht ihr dann über den Krieg?
Wenn, dann nur sehr vorsichtig – aber es geht meistens sowieso darum, wie es ihnen geht, was sie so machen, ganz alltägliche Sachen. Sie reden nicht so gern über den Krieg, vor allem nicht darüber, dass es ihnen schlecht geht.

Aber der Bürgerkrieg ist in deinem Leben trotzdem präsent, oder?
Ja, aber mit der Zeit wird es extrem ermüdend, sich damit zu beschäftigen, weil es keine guten Nachrichten gibt. Irgendwie ist auch das kleine, naive Mädchen in mir gestorben, das die ganze Zeit an ein Happy End geglaubt und das jetzt kapiert hat, wie viele Ebenen es in diesem Konflikt gibt. Und natürlich ist es auch eine persönliche Sache, wenn ich zum Beispiel in den Nachrichten sehe, dass ein Luftanschlag an einem Ort war, an dem Leute wohnen, die ich kenne.

In deinem Buch erinnerst du dich an deine Kindheit in Syrien. Sind die Geschichten, die du erzählst, irgendwie "typisch syrisch"?
Ich glaube schon, vor allem die aus der Schule und über das politische System. Ich habe das Buch auch Leuten gegeben, die wie ich dort gelebt haben, und sie haben bei verschiedenen Sachen schmunzeln müssen und gesagt: "Genau das ist mir auch passiert."

"Wenn man jeden Tag in der Schule vorm 'guten Morgen' 'Bis in alle Ewigkeit Assad' sagt, ist das ein totales Brainwashing."

In der Verlagsvorschau wird dein Buch mit einem Zitat angekündigt: "Inspiriert von Hakauwati, dem Erzähler, der das Leben mit seinen Geschichten verzaubert..." Wer ist dieser Hakauwati?
Hakauwati ist das arabische Wort für Geschichtenerzähler. In Damaskus in der Altstadt gab es immer welche. Da saß dann das Publikum in einem Café auf kleinen Hockern, der Hakauwati saß ein bisschen höher vor ihnen und hat aus einem Buch vorgelesen. Alle haben unglaublich konzentriert zugehört. Das fand ich toll.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lunas Buch.

Das Zitat geht weiter: "...verspüre ich den Drang, meinen Freunden in Europa Geschichten aus Damaskus zu erzählen."
Genau. Weil das Thema Syrien in letzter Zeit so extrem präsent ist und zwar nur mit negativen Geschichten, die traurig machen, hatte ich den Drang, mehr darüber zu informieren, wie der Alltag dort vorher war. Und dabei auch die ernsteren, politischen Seiten zu zeigen, um nachvollziehen zu können, warum das alles passiert ist. Wenn die Kinder nicht in der Schule geschlagen worden wären, wenn es gerechte Bildung und freie Meinungsäußerung gegeben hätte – dann wäre das alles ja nicht notwendig gewesen.

Du erzählst zum Beispiel, dass du jeden Morgen aus dem Fenster auf einen Assad-Schriftzug geschaut hast, in der Schule Parolen der Baath-Partei aufsagen musstest und von der Direktorin mit einem Stock auf die Finger geschlagen wurdest, weil du das Tuch mit dem Parteilogo nicht getragen hast. Das war schon politisches Brainwashing, oder?
Auf jeden Fall! Für mich war es darum auch unfassbar, als die Revolution ausbrach. Syrien und Assad waren bis dahin immer untrennbar verbunden. Das war, als würde man lernen "Der Himmel ist blau" – und plötzlich steht man auf und er ist gelb.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Luna illustrierte das Buch mit Ausschnitten von Familienbildern. 

Aber dass die Baath-Partei nicht das einzig Wahre ist, hast du doch sicher vorher schon gemerkt.
Klar, es wurde ja auch Zuhause kritisch darüber gesprochen. Aber man lebt ja trotzdem in diesem System und artikuliert die Kritik nicht nach außen. Und wenn man jeden Tag in der Schule vorm "guten Morgen" "Bis in alle Ewigkeit Assad" sagt, ist das ein totales Brainwashing.

Das Buch ist zweisprachig, auf Deutsch und Arabisch. In welcher Sprache hast du zuerst geschrieben?
Auf Deutsch. Die Idee mit Arabisch hat sich bei einem Skype-Gespräch mit meiner Cousine ergeben. Ich habe ihr erzählt, dass ich grade meine Kindheitserinnerungen aufschreibe, sie sagte "Oh, schick mir mal was". Ich habe ohne drüber nachzudenken Copy Paste gedrückt – und sie schrieb: "Luna, it’s in German???" Da bin ich erst drauf gekommen, wie unpassend es ist, dass diese Menschen, mit denen ich diese Geschichten erlebt habe, sie gar nicht lesen können. Wo ich doch so darauf brenne, sie auch ihnen zu erzählen.

Hat deine Familie das Buch schon gelesen?
Ja und das war ganz lustig, weil sie sich an viele Sachen auch erinnern konnten – aber anders. Dann haben sie gesagt: "Luna, so war das gar nicht!" oder "Nein, der war doch gar nicht mit!" Erinnerung ist eben sehr subjektiv.

In dem Buch sind ja auch Fotos oder besser: Ausschnitte aus Fotos. Sind die aus euren Familienalben?
Ja! Die Familienalben sind eine der wenigen Sachen, die wir damals aus Syrien mit nach Österreich genommen haben. Aus diesen Alben habe ich Fotos rausgenommen, extrem vergrößert und einen Ausschnitt gemacht, sodass man nur ein Detail sieht.

Warum?
Weil genau das auch in der Erinnerung passiert. Man erinnert sich ja zum Beispiel nicht an einen ganzen Raum, sondern an die Pflanze links in der Ecke oder an das Glas, das auf dem Tisch stand. Während ich die Geschichten geschrieben habe, tauchten bestimmte Bilder auf und ich habe versucht, mir den ganzen Rest rundherum auszumalen. Die vergrößerten Fotos sollen dieses Erinnerungsprozess wiedergeben.

Ist Syrien eigentlich noch dein Zuhause?
Ich bin hier und dort Zuhause, aber ich war jetzt fünf Jahre nicht in Syrien und es geht mir extrem ab. Der arabische Teil in mir muss jetzt immer durch andere Sachen am Leben erhalten werden.

Wodurch zum Beispiel?
Durch das Lernhilfe-Projekt für Flüchtlinge, bei dem ich mitarbeite und in dem auch Arabisch gesprochen wird. Durch Skypen mit meiner Cousine und meinen Tanten. Am meisten aber durch arabische Musik und durch arabisches Essen, syrische Spezialitäten, die in meiner Familie manchmal gemacht werden. Das ist schon was Besonderes.

Letzte Frage: Hast du Hoffnung für Syrien?
Auf jeden Fall! Ich bin ein sehr positiv eingestellter Mensch und glaube, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt – die Frage ist nur, wie lange es dauert.

Luna Al-Mousli: Eine Träne. Ein Lächeln. Text-/Bildband, 156 Seiten, 38 Euro. Limitierte Auflage im Sonderformat mit Samtbezug. Die ersten Exemplare sind nur über den Verlag zu beziehen (info@weissbooks.com), ab dem 9. September ist das Buch auch im Buchhandel erhältlich.

Text: nadja-schlueter - Fotos: Marie-Christine Gollner-Schmid, privat

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