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"Mir fehlen die Berührungen meiner Familie"

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Ahmed, Mohammed und Abdallah, drei junge Männer aus dem Nahen Osten, die alle drei mitlerweile in Europa leben, haben auf einer Konferenz im schwäbischen Bad Boll über die politische Entwicklung ihrer Heimatländer referiert. Aber wie geht es ihnen eigentlich, fern der Familie? Wo fühlen sie sich Zuhause? Und was haben die Ereignisse in Ägypten, Gaza und Syrien mit ihnen gemacht? Ein Gespräch über Heimat und Heimweh und über Träume am Tag und in der Nacht.

Ihr kommt aus Ägypten, Gaza und Syrien und lebt jetzt in Europa. Was erinnert euch hier an eure Heimatländer?
Ahmed: Ich schaue jeden Morgen nach dem Aufstehen als erstes auf Facebook: Was gibt es Neues in Ägypten? In der arabischen Welt? Und ich vermisse das Essen meiner Mutter. Manchmal koche ich es hier selbst nach. Daran merke ich, dass ich meine Heimat mit mir trage. Und wenn ich andere Araber treffe, so wie euch jetzt, dann fühlt es sich auch gleich mehr nach Heimat an.
Mohammed: Wir Araber haben doch eine unnormale Verbundenheit zu unseren Heimatländern, oder? Wir gehen nur, weil wir uns gezwungen sehen (lacht).
Abdallah: Es gibt hier nichts, was mich nicht an die Heimat erinnert. Syrien ist in jedem meiner Gedanken.

Und wie fühlt sich das Leben in der neuen Heimat an? 
Mohammed: In Deutschland fühle ich mich oft wie ein Botschafter für Gaza (lacht). In Palästina sage ich nicht ständig, dass ich aus Palästina bin, aber hier spreche ich dauernd über unsere Kultur und darüber was wir Palästinenser wollen.
Abdallah: Oh ja, das Gefühl kenne ich. 
Mohammed: Ich habe auch gemerkt, dass ich Deutschland und Gaza unbewusst ständig vergleiche. Als ich ankam, war ich fasziniert davon, wie die Menschen hier in Freiheit leben. Jeder kann ungehindert zur Schule oder zur Arbeit gehen. In Gaza gibt es Menschen, die gar nicht mehr wissen, wie ein Leben in Frieden und Sicherheit ist – sie haben es nie erlebt. Denen möchte ich von Deutschland erzählen und ihnen sagen: Stellt euch gegen die Unterdrückung, ihr könnt etwas erreichen!
Abdallah: Das wünsche ich mir für Syrien auch. Könnten wir dort einen Staat für alle seine Bürger aufbauen, wäre das schließlich auch meine Chance auf eine gerechtere Zukunft. Im Moment lebe ich nur für diese Idee.
Mohammed: In Deutschland gibt es auch Leute, die uns Araber als Menschen sehen, die weniger wert sind. Denen versuche ich ein anderes Bild zu geben. Ich erzähle dann häufig, dass in Palästina prozentual gesehen mehr Menschen einen Uni-Abschluss machen als in Deutschland.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Abdallah, Mohammed und Ahmed (v.l.n.r.)

Abdallah Schaar, 25, organisierte in seiner Heimatstadt Salamiya Demonstrationen für ein demokratisches Syrien, wurde festgenommen und gefoltert. Abdallah gelang die Flucht in den Libanon. Als auch dort sein Leben bedroht wurde, kam er 2014 auf Einladung der Botschaft nach Schweden.

Im größten Gefängnis der Welt sei er groß geworden, sagt Mohammed Matter, 28. Er stammt aus Gaza, kämpfte als Teenager für die Hamas. Später schrieb er als Aktivist für "Gaza Youth Breaks Out" gegen Israels Blockade und die Herrschaft der Hamas an. 2013 floh er nach Deutschland.

Als Ahmed Maher, 29, in Ägypten Abitur machte, hingen in den Schulen noch Bilder von Husni Mubarak. Als der Diktator stürzte, studierte er bereits in Deutschland Maschinenbau. Ahmed fliegt nur noch zu Besuch in die Heimat.

"Als meine Schwester vor einem halben Jahr geheiratet hat, da wollte ich sie so sehr umarmen – aber zwischen ihr und mir war ein Bildschirm."

Ihr lebt ja alle drei nicht ganz freiwillig im Ausland. Wollt ihr  irgendwann wieder zurückgehen?
Ahmed: Also inzwischen kann ich mir vorstellen, in Deutschland zu bleiben. Das hätte ich nie gedacht, als ich mich damals in Ägypten von meinen Freunden verabschiedet habe. Aber nachdem ich mir hier ein Leben aufgebaut habe, ist es mir irgendwie nicht mehr so wichtig, in welchem Land ich lebe, solange ich dort zufrieden bin.
Abdallah: Mohammed, hast du mal darüber nachgedacht, nach Gaza zurückzukehren?
Mohammed: Ja. Ich habe es mit allen Mitteln versucht. In Gaza ist das nicht so einfach mit Israel, der Hamas und Ägypten an den Grenzen. Aber ich will irgendwann zurückkehren.

Deine Familie kann Gaza nicht verlassen, du kommst nicht mehr hinein. Steht ihr trotzdem in Kontakt?
Mohammed: Ich spreche ich mit meiner Familie über Skype. Das ist schön, aber mir fehlen die Berührungen. Als meine Schwester vor einem halben Jahr geheiratet  hat, da wollte ich sie so sehr  umarmen – aber zwischen ihr und mir war ein Bildschirm. Versteht ihr das?
Ahmed: Ich wache manchmal nachts auf, weil ich von meiner Familie geträumt habe. Ich kann mich nie erinnern, was genau passiert ist, bin aber jedes Mal ganz bedrückt. Vielleicht ist das Traurigkeit, vielleicht sind es auch Gewissensbisse, weil ich meine Familie allein gelassen habe.

>>> Über Träume und Albträume – und was passiert, wenn es draußen plötzlich laut knallt.



Sind eure Träume heute andere als früher?
Mohammed: Sie wurden zu Albträumen! Diese Umbrüche, die wir erlebt haben, in Palästina und Syrien und Ägypten, die haben uns ja nicht nur gezwungen, zu gehen: Wir waren als Jugend dort einfach gar nicht mehr vorhanden, niemand hat uns ernst genommen.

Plötzlich ist eine laute Explosion zu hören. Alle drei schrecken auf.

Mohammed: Da kommt der Albtraum wieder! Das war eine echte Explosion, wie…
Abdallah: Ist Bashar al-Assad jetzt hergekommen?
Mohammed: Ich schwöre bei Gott: Das hörte sich an wie eine israelische Bombe!

Wieder knallt es, diesmal leiser. 

Abdallah: Im Libanon wäre das normal gewesen, aber hier?

Wir unterbrechen das Gespräch, um herauszufinden, was passiert ist: Das Dorf feiert heute Schützenfest. Abdallah und Mohammed atmen auf. Trotzdem schauen sie bei jedem weiteren Knall um sich, bis der Wind nur noch Musik von der Festwiese herüberträgt.

Zurück zu den Träumen. Oder Albträumen...
Abdallah: Seit ich in Schweden bin, habe ich das erste Mal richtige Albträume. Da ist es so ruhig, ich fühle mich sehr sicher – und mit einem Mal kommen die dunklen Erinnerungen zurück. An die Folter, die Angst. Ich spüre die Foltermale auf meinem Körper bis heute. Als sie mich haben gehen lassen, hatte ich zwei gebrochene Rippen, meine Füße waren voller Wunden von Schlägen mit Elektrokabeln. Die spüre ich wieder, wenn ich davon träume.

"Meine sind Träume gewachsen. Ehrlich gesagt schüchtern sie mich manchmal richtig ein."

"Träumen" bedeutet ja auch "Wünsche haben". Was sind eure?
Ahmed: Als in Ägypten 2011 die Revolution begann, da hatten alle so große Träume! Damals bin ich öfter hingeflogen, es hat sich auf einmal alles so frei angefühlt, man musste keine Angst mehr haben, ein falsches Buch in der Tasche zu tragen oder lange Haare zu tragen und damit "den Volksfrieden zu stören". Dieser Enthusiasmus ist wieder verflogen...
Abdallah: Ich habe immer davon geträumt, Syrien zu verändern. Im Grunde wünsche ich mir weiterhin dasselbe: ein freies Syrien. Dazu kommt jetzt der Traum von dem Tag, an dem ich nach Syrien zurückkehre.

Und eure ganz persönlichen Wünsche?
Abdallah: Ich wollte immer Politik studieren, doch da kam die Revolution dazwischen. Das will ich nachholen und dann selbst in Syrien arbeiten – wenn das Regime weg und der Krieg zu Ende ist.
Ahmed: Ich hätte nicht aus Ägypten weggehen müssen. Aber ich wollte eine gute Ausbildung, für mich, aber auch um einmal etwas für mein Land tun zu können. Deshalb bin ich nach Deutschland gegangen – immer mit dem Ziel zurückzukehren.
Mohammed: Früher waren meine Träume ziemlich beschränkt. Ich wollte einmal ein Haus haben, eine Familie gründen, solche Sachen. Von Freiheit habe ich früher nicht geträumt, ich wusste gar nicht, was das war. Aber jetzt, nachdem ich erlebt habe, was für Möglichkeiten es gibt, sind meine Träume gewachsen. Ehrlich gesagt schüchtern sie mich manchmal richtig ein. Ich habe das Gefühl, weil ich jetzt mehr weiß, habe ich auch eine riesige Verantwortung.

Übersetzung: Ansar Jasim und Lina Al-Khamis.


Text: lea-frehse - Foto: Tobias Pietsch

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