Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Du brauchst nur mal 'nen richtig guten Fick!"

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Andrzej im Café. 

"Als ich noch jünger war, fand ich diese Filme ganz absurd, in denen zwei Leute im Fahrstuhl fahren, keiner sagt was und dann haben die plötzlich superguten Sex für 30 Sekunden. Immer, wenn ich angefangen habe, Zeit mit Leuten zu verbringen und es war klar, wir finden uns nett, wir sind aufgeregt uns zu sehen, dann waren ganz schnell Erwartungen daran geknüpft, was für eine Art von Beziehung wir führen und was dazu gehört und was nicht.

Das erste Mal, dass ich von dem Begriff A*sexualität gehört habe, war 2008 in dem feministischen Magazin „Anschläge“. Da wurde der Begriff ganz weit aufgefächert, unterschiedliche Formen von A*sexualität erklärt und zum Beispiel dazwischen unterschieden, eine sexuelle Libido zu haben und sich romantisch angezogen zu fühlen. Da dachte ich: „Ah, spannend, das fühlt sich ein bisschen so an wie bei mir!“

Das Sternchen beim Begriff A*sexualität ist mir dabei wichtig, weil es ausdrückt, dass mit dem Begriff alle möglichen Menschen gemeint sind. Zum Beispiel auch solche, die sich als „grey-A“ und „what-the-fuck-romantic“ bezeichnen – so wie ich. grey-A steht bei mir dafür, dass ich mich sehr, sehr selten sexuell zu anderen Menschen hingezogen fühle, vor allem zu denen nicht, mit denen ich emotionale Beziehungen habe. Ich frage mich oft, warum Menschen Liebesbeziehungen so anders leben als Freundschaften. Was ist denn der Unterschied? Warum ist es so wichtig, in einer Liebesbeziehung Sex zu haben? Bei Freundschaften denken die meisten Menschen nicht daran, dass man sich vielleicht ein Konto teilen, gemeinsam Kinder großziehen oder darauf hoffen kann, zusammen alt zu werden. Es ist ganz schön schwierig, Menschen zu finden, die Lust haben, enge und verbindliche Beziehungen zu leben, ohne, dass Sexualität Teil davon ist.

Es gibt ja nicht nur sexuelle Orientierung, sondern auch romantische Orientierung. Da geht es um die Frage, wem gegenüber ich romantische Gefühle habe. Weil ich einfach keinen Unterschied zwischen Freundschaften und Liebesbeziehungen verspüre, fühle ich mich unter dem Begriff „what-the-fuck-romantic“ am wohlsten. Der drückt aus, dass bei der Frage „Was ist denn der Unterschied zwischen Liebe und Freundschaft?“ bei mir so eine Art Fehlermeldung im Kopf kommt.

Was mich oft nervt, ist, dass es nicht mehr Bücher, Filme und Songs über Freundschaften gibt, in denen es darum geht, füreinander da zu sein und spannende Sachen miteinander zu erleben. Wenn es davon mehr gäbe, würde das Freundschaften vielleicht verändern, weil sie dann gesellschaftlich einen ganz anderen Wert bekommen würden. Ich bin mir nicht sicher, ob die Henne oder das Ei zuerst da war – ob wohl so viele Menschen nach sexuellen Liebesbeziehungen streben, weil diese Norm so präsent ist? Ich denke jedenfalls, dass die Liebes-, Romantik- und Sex-Norm Menschen darin einschränkt, welche Arten von Beziehungen und Begegnungen sie begehren oder anstreben oder sich überhaupt vorstellen können.

Welche Art von Sexualität finde ich eigentlich gut?

In den Workshops, die ich zu dem Thema gebe, passiert es eigentlich immer, dass Leute fünf Mal nachfragen, was denn passiert, wenn a*sexuelle Menschen doch „die richtige“ Person finden, oder Sex ausprobieren und der richtig gut ist. Es gibt Menschen, die einfach nicht glauben können, dass A*sexualität ein Dauerzustand sein kann. Ich höre von anderen A*sexuellen immer wieder, dass sie ständig mit der Frage konfrontiert werden, wie sie überhaupt wissen können, dass sie a*sexuell sind, wenn sie Sexualität noch nie ausprobiert haben. Oder ihnen wird gesagt, dass sie bestimmt traumatische Erfahrungen gemacht haben und erst mal eine Therapie machen sollen.

A*sexualität ist immer noch fast unsichtbar in der Gesellschaft, gleichzeitig bestehen enorme Feindlichkeiten gegenüber A*sexuellen. Das hat für das Leben mancher Menschen krasse Konsequenzen. Ich war vor zwei Jahren bei der AVEN (Asexual Visibility and Education Network) Pride Konferenz in Berkely, da wurde von Dingen wie „corrective rape“ erzählt: Manche Leute können es nicht respektieren, dass Menschen a*sexuell sind und es wird tatsächlich Gewalt verübt, mit der Motivation „Du brauchst nur mal nen richtig guten Fick, dann kommst du schon auf den Geschmack“. So was geht natürlich gar nicht. Außerdem habe ich von vielen A*sexuellen gehört, dass sie sich lange Zeit wie Aliens gefühlt haben, bevor sie von der Community wussten. Sie dachten, mit ihnen stimme etwas nicht und sie müssten nur richtig hart an sich arbeiten, dann würden sie es schon schaffen, irgendwie „normal“ zu werden.

Ich glaube, Menschen trauen sich ganz oft nicht, sich selbst zu fragen: Welche Art von Sexualität finde ich eigentlich gut und welche nicht? Welche finde ich vielleicht heute gut und morgen nicht? Vielleicht gibt es auch mal ein paar Wochen, in denen ich gar keinen Sex haben möchte. Ich finde, das muss alles okay sein. Ich glaube, dass viele Menschen von A*sexualität lernen können, besser über ihre Bedürfnisse zu kommunizieren."

Text: lou-zucker - Foto: Ruben Neugebauer

  • teilen
  • schließen