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Reh in der Mittagshitze

Text: klinsmaus

Wie bekamen die Büffel das hin?, fragte Daniel sich. A, auf der felsigen Weide durchzuhalten und dann, b, noch Milch zu geben, die gut genug war, dass man daraus Mozzarella machen konnte? Bei diesen Temperaturen schien es ihm viel logischer, mit Nasenbluten ins Gras zu kippen und liegenzubleiben, bis die anderen Tiere alles wieder sauber geleckt hatten. Oder dass die gereizte Herde vor dem Melken eine Massenkeilerei veranstaltete, weil sich eine Bremse irgendwem auf die Nase gesetzt hatte. Die Tiere auf der Weide kauten nur apathisch vor sich hin und guckten dumm. Irgendwie war das alles unglaubwürdig.



Daniel selbst trank fünf Liter pro Tag. Er musste aber quasi nie zur Toilette, so heiß war es hier. Alle Feuchtigkeit ging in seine T-Shirts, seinen Rucksack und seine Socken. In Neapel kam Daniel sich wie eine Schweißdrüse auf zwei Beinen vor. Selbst das Mittelmeer war viel zu warm und salzig– darin zu baden war mehr oder weniger wie in riesigen Mengen Schweiß zu schwimmen.



Vor dem Einschlafen duschte er einmal 15 Minuten lang kalt, bloß um wenig später mit klebrigen Händen aufzuwachen. Julia wies ihn darauf hin, dass seit Stunden kein Wasser mehr im Toilettenkasten mehr sei – und könne er bitte aufhören, sich dauernd umzudrehen? Das Doppelbett, in dem sie schliefen, war gar kein Doppelbett, sondern nur ein Bett mit Kingsize-Matratze. „Ich habe immer noch Urlaub“, murmelte Daniel leise, während er seine 1,89 Meter sehr gerade auf den Rücken drehte.



Natürlich gingen sie nach Pompeji. Julia und Daniel waren ja keine Idioten. Sie hatten beide Geschichte im zweiten Nebenfach studiert. Deswegen gingen sie auch nach Herkulaneum. Pflichtbewusst ergriffen schauten sie auf Menschen, die beim Fliehen durch die Vulkanasche versteinert oder skelettiert worden waren. Sie lachten über das berühmte „Cave Canem“-Mosaik, die Phalli über früheren Bordellen und Malereien, die Vögel mit Kirschen zeigten. Julia überquerte gerade eine original römische Landstraße auf drei original römischen Fußgängersteinen. „Mach ein Foto von mir!“, forderte sie. Auch wenn ihr ein Schweißbächlein über die Schläfe rann, sah sie in ihrem Ringeltop und den roten Römersandalen ziemlich hübsch aus. Wie ein Reh in der Mittagshitze, dachte Daniel, als er abdrückte.



Irgendwann fing es Daniel an auf die Nerven zu gehen, dass jede zweite Straße zu Restaurierungszwecken gesperrt war. Über seine Zehen zog sich eine antike Dreckschicht und der Eisautomat in Herkulaneum spuckte nur Eissuppe aus. Die Ruinenstadt kam ihm nun vor wie ein Riesengrill und er sich wie ein antiker Fleischklops. „Warum steht überhaupt noch so viel von diesen Kram in der Gegend herum?“, schnappte er, als sie entdeckten, dass die einzige Picknickarea gesperrt war. „Ist die Stadt nicht angeblich 1943 bombardiert worden?“ Julia warf ihm den empörten Blick zu, den sie normal für Vollkretins reserviert hatte. Dann machte sie ein Foto von Daniels Sonnenbrand.



Im Supermarkt kauften sie Tomaten, Eistee und Büffelmozzarella, den sie auf ihrem kleinen Balkon in Stücke rupften, während draußen recht malerisch die Sonne unterging. Julia klopfte vorsichtig After-Sun-Lotion in Daniels Sonnenbrand. Er wisse nicht, ob Vespas eine tödlichere Unfallsbilanz hätten als andere Autos. „Ich glaube, hier stirbt man ziemlich schnell im Verkehr“, sagte er und war eigentlich ziemlich glücklich. 

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