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"Die zweite Generation kämpft mit denselben Ressentiments"

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Seit sechs Jahren begleitet Malte Wandel ehemalige DDR-Gastarbeiter aus Mosambik, die von der deutschen und der eigenen Regierung im Stich gelassen wurden. Jetzt widmet sich der Münchner Filmemacher und Fotograf den Kindern der „Madgermanes“. Ein umfangreiches Projekt, das ihn von Maputo bis nach Freital führte. Ab Freitag zeigt Malte in der Münchener Galerie Nicole Gnesa eine Preview von „Die Kinder der Madgermanes“. Bis zum 31. Juli sind großformatige Familien- und Landschaftsportraits sowie eine Drei-Kanal-Videoinstallation zu sehen. Ende des Jahres sollen weitere Werke in München und in Ostdeutschland ausgestellt werden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Portrait der zweiten Generation: Manueal Siegert (l.) hat das Netzwerk "reencontro familiar" gegründet, um seinen Vater in Mosambik wiederzufinden.

jetzt.de München: Malte, „Die DDR in Mosambik“ beschäftigt dich seit mehr als sechs Jahren. Woher die Ost-Nostalgie?
Malte Wandel: Reiner Zufall. 2009 war ich mit meiner Freundin aus der Uni zum Urlaub in Mosambik. Wir hatten ein Auto mit deutschem Kennzeichen und plötzlich spricht mich ein älterer Mann an. In perfektem Deutsch. Er habe mehr als sieben Jahre in der DDR gearbeitet, würde Dresden lieben und mir gern noch mehr seiner ehemaligen Kollegen vorstellen. Ich bin neugierig geworden und habe die ersten „Madgermanes“ kennengelernt.

Mosambikaner also, die sich selbst „Wütende Deutsche“ nennen.
Nur in der Amtssprache – Portugiesisch. In der lokalen Sprache heißt es „die aus Deutschland kommen“. Die nennen sich so, weil sie bis heute jede Woche in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, für ihre deutsche Rente und ausstehende Löhne demonstrieren. Beides wurde von der DDR damals an die mosambikanische Regierung ausgezahlt, die Arbeiter haben aber bis heute keinen Cent davon gesehen. Viele leben in sehr prekären Verhältnissen am Rand des Existenzminimums. Und das, obwohl sie teilweise knapp zehn Jahre in den DDR-Betrieben gearbeitet haben. Ihnen fehlen zum Teil noch immer 60 Prozent des Lohns. Damit könnten sie heute noch sich und ihre Familien versorgen.
 
Klingt etwas nach Nischenphänomen.
Ist es aber nicht! Nach meiner Begegnung in Mosambik war ich richtig angefixt und habe die Berliner Archive durchforstet. Zur Wiedervereinigung gab es mehr als 16 000 mosambikanische Gastarbeiter. Und die haben eine Geschichte mit Deutschland: Sie haben sich in Vereinen engagiert, sind politisch aktiv gewesen und haben Kinder hinterlassen. Das Verrückte ist, dass kaum jemand davon weiß. Es ist ein vergessenes Stück DDR-Geschichte.
 
Der Bildband „Einheit, Arbeit, Wachsamkeit“ und dein Dokumentarfilm zeigen das Leben der Rückkehrer in Mosambik. Worum geht’s beim aktuellen Projekt?
Wie der Titel schon sagt, stehen „die Kinder der Madgermanes“ im Zentrum. Von denen gibt es nämlich auch ziemlich viele. Oft kennen die ihre Väter gar nicht, weil der Kontakt nach Mosambik schwer zu halten war. Und selbst wenn sie ihre Väter finden, ist denen die Einreise nach Deutschland finanziell heute kaum möglich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Malten Wandel, 32, hat gerade sein Fotografiestudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln beendet. Sein erster Dokumentarfilm "Madgermanes" lief auf zahlreichen Dokumentarfilm-Festivals. Er lebt in Köln und München.
 
Aber du bist ja viel zwischen Deutschland und Mosambik hin und her gereist. Wurdest du da nicht als Mittelsmann genutzt?
Manchmal. Aber es ist nicht leicht, die Väter in Mosambik ausfindig zu machen. Die Kinder hier haben sich mittlerweile im Netzwerk „reencontro familiar“ gut organisiert. Die sind heute ja zwischen 20 und 30, also etwa in meinem Alter.
 
Sind die Geschichten der „Madgermanes“ deshalb dein Herzensthema?
Vielleicht. Durch das Projekt haben sich viele Freundschaften entwickelt. Ich werde zu Partys und Familienfeiern in ganz Ostdeutschland eingeladen. Gerade erst war ich übers Wochenende auf dem 30. Geburtstag von meinem Freund Miguel bei Jena. Der hat seinen Vater vor kurzer Zeit erst wiedergefunden und wollte ihn unbedingt dabei haben. Für die Einreise hätte er aber mit einem sehr hohen Einkommen bürgen müssen, das er nicht hat. Das zeigt, wie präsent das Thema nach wie vor ist und vor allem, wie Einzelpersonen darunter leiden.
 
Bist du dann Freund oder Fotograf?
Beides. Und der Spagat zwischen Arbeit und Freundschaft wird immer schwieriger, je länger man sich mit einer Gruppe von Menschen beschäftigt. Manchmal geht es um Geld. Aber die meisten sind einfach froh, dass ich ihre Geschichten erzähle und dem Thema Öffentlichkeit gebe. Einige der ehemaligen Gastarbeiter, die geblieben sind, leben weiterhin da, wo sie auch schon vor 25 Jahren gelebt haben. Und auch die Kinder leben in Orten wie Jena, Leipzig oder Dresden.
 
Momentan nicht die besten Orte zum Wohnen, wenn man schwarz ist.
Schon zur Wende war der aufkochende Rechtsextremismus für viele ein Grund, zurückzugehen. Die zweite Generation kämpft mit den gleichen Ressentiments. Das Thema hat also an seiner Aktualität nichts verloren. Ich porträtiere deshalb auch gezielt diese Städte und Umfelder.
 
Die wirken ziemlich trist.
Ja, aber ich habe auch sehr schöne Ecken entdeckt. Die ganzen Schlösser an der Saale zum Beispiel. Für mich ist die Recherche immer wieder wie eine Reise in ein anderes Land. Gerade im Großraum Jena gibt es so viel zu entdecken. Diese trüben Orte wie „Halle Silberhöhe“ oder das Umland von Jena haben eine ganz besondere Anziehungskraft auf mich. Wenige Stunden von München entfernt ist die Zeit stehen geblieben.
   
Klingt wie eine Lebensaufgabe. Muss man als junger Künstler nicht auch mal das Thema wechseln?
(lacht) Ja, wäre gut. Ich habe im Rahmen meines Studiums schon auch andere Projekte gemacht. Aber die „Madgermanes“ sind für mich mehr als ein Kunstprojekt. Die politische Dimension interessiert mich nach wie vor und ich bleibe den Menschen emotional und freundschaftlich wahrscheinlich bis an mein Lebensende verbunden. Dann hab ich auch einen Grund, immer wieder nach Mosambik zu fahren und die „Base Central Madgermany“ in Maputo zu besuchen.

Text: eva-hoffmann - Fotos: Malte Wandel/oh

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