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Der deutsche Spring Break

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„Wir fahren mit der Fotzenbimmelbahn, Fotzenbimmelbahn …“ – der prollige Mitklatsch-Beat schallt über den abgewetzten Rasen von der Größe eines Fußballfelds, um den sich die Sechs-Mann-Bungalows der Ferienanlage „Belambra“ verteilen. Es ist 20 Uhr, und die Sonne steht tief über dem Atlantik, hier in Seignosse, einem der besten Surfreviere Frankreichs. „Miracoli“-Duft weht über den Platz. Vor den Hütten sitzen junge Menschen an Holztischen und essen, alles ganz zivilisiert. Eine sportliche Blondine wiegt sich im Viervierteltakt des Songs und summt mit, während sie den Salat in einer großen Glasschüssel umrührt.

„Da hängen lauter Pillemänner dran, Pillemänner dran …“, klingt es weiter aus den großen Boxen vor einem der Bungalows. Die Message ist klar, trotz scheinbar friedlicher Campingidylle: Hier wird die Sau rausgelassen. So ganz generell. Auch wenn jetzt gerade Feier-Pause ist. Dass die in der Regel nicht lange anhält, beweisen die Unmengen rot etikettierter Kronenbourg-Bierflaschen, die vor den Türen und rund um die Mülleimer stehen. Leer, natürlich. Einige Jungs haben sie liebevoll angeordnet. Hunderte Flaschen, die nun als Trophäe dienen und Auskunft über die Trinkfestigkeit der Hausbewohner geben sollen. Neben dieser Bier-Installation liegen Surfboards im Staub. Gestapelt. Wir sind auf der „Adh-Open Wellenreiten“, dem größten deutschen Surf-Event. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Surfbretter liegen achtlos in der prallen Sonne. Die leeren Bierflaschen sind als Trophäe der Trinkfestigkeit an der Hauswand arrangiert.

„Adh“ steht für „Allgemeiner Deutscher Hochschulsportverband“. Diesem Dachverband gehören über 190 Hochschulen mit ihren rund 2,4 Millionen Studierenden an. Will eine Uni einen Wettkampf ausrichten, so wendet sie sich an den Adh. Das tat 1999 die TU Darmstadt, mit der Idee, einen Surf-Contest in St. Girons, Frankreich, für die deutschen Studenten zu veranstalten. Ein Rahmenprogramm gab es nicht. Bald darauf stieg die ebenfalls in Darmstadt ansässige Reiseagentur Wavetours als Organisator ein. Wavetours-Chef Uli Scherb erinnert sich: „2001 hatte ich zum ersten Mal die Idee, den Event zu hosten, als mir bekannte Studenten auf einmal in Seignosse an der Theke standen. Sie meinten: ,Wir sind bei den Adh-Open in St. Girons. Da sind 150 Studenten, aber abends wird das Licht ausgemacht und alle langweilen sich.’“  

Also verlegte Scherb die Veranstaltung 2004 vom beschaulichen St. Girons in das 50 Kilometer weiter südlich gelegene Seignosse, das mit Weltklasse-Wellen und wildem Nachtleben punktete. Die Sause konnte beginnen: „Als wir die Adh-Open nach Seignosse holten und es den Wettkampf und die Partys in der Kombipackung gab, begann der große Ansturm“, erzählt Scherb.

Das Ballermann-Image haftet der Veranstaltung bis heute an. Auch bei den einheimischen Surfern, die zusehen müssen, wie ein Teil ihres Strands gesperrt wird, damit die Deutschen feiern können. 

Die Party am Atlantik sprach sich herum – und langsam auch ein weiterer Pluspunkt des staatlich geförderten Wettkampfs: Die Studenten konnten von ihren Unis Reisekosten, die Startgebühr und manchmal sogar Geld für die Unterkunft erhalten. Florian Duhse, Gewinner der Longboard-Klasse 2007, grinst heute noch, wenn er an den unverhofften Geldsegen denkt: „2004 erhielt unsere kleine Gruppe pauschal 700 € von der Uni Freiburg. Wenn man dann auch noch einen der vorderen Plätze belegt und Sachpreise gewonnen hat, hatte man alle Kosten wieder raus.“ In der Folge boomte die Adh-Open – sehr zur Freude der Organisatoren, die alles taten, um die Massen für die Veranstaltung zu gewinnen. „Die haben das Ganze natürlich gepusht“, erinnert sich Duhse. „Nach ein paar Jahren wurde die Adh-Open als The German Spring Break vermarktet. Das hat viele Leute angezogen, die gar nicht surfen konnten, sondern nur wegen der Partys kamen.“ Noch im Jahr 2013 pries die Unizeitung Unicum: „Auch für Nicht-Sportler bietet die einwöchige Spring-Break-Exkursion jede Menge Spaß und Action.“ Dieses Image haftet der Veranstaltung bis heute an. Auch bei den einheimischen Surfern, die Jahr für Jahr zusehen müssen, wie ein Teil ihres Strands gesperrt wird, damit die deutschen Studenten dort ihren Surf-Ballermann feiern können.  

Beim Adh ist man sich der Problematik bewusst. „Spring Break – das war vielleicht ein Fehler in der Kommunikation“, meint Christoph Edeler, der in diesem Jahr als Sportartenbeauftragter Wellenreiten im Auftrag des Adh in Frankreich nach dem Rechten sah. „Da konnten die Unis ja das Gefühl bekommen, sie schickten ihre Teams in den Urlaub und nicht zu einem Wettkampf.“ Sein Fazit fällt dagegen positiv aus: „Das Niveau war vor allem bei den Männern richtig gut. Es gab lediglich in der ersten Runde ein paar, die noch nicht so viel Erfahrung im Wellenreiten hatten.“ Auch die Partys sind ihm kein Dorn im Auge: „Es ist doch toll, wenn sich die Studenten austauschen und Netzwerke knüpfen.“

Das mit dem Niveau ist natürlich so eine Sache. Ein guter Surfer aus dem Veranstalter-Team, der es vorzieht, anonym zu bleiben, und hier Ralf heißen soll, sieht das etwas anders: „Die ersten beiden Tage waren grausam anzusehen.“ Er kramt  einen Zettel hervor, auf dem alle Wertungen verzeichnet sind: „Wenn man sich die anschaut, wird klar, dass die Hälfte der 128 Männer Surf-Anfänger waren. Bei den Frauen war es noch krasser: Von 37 Teilnehmerinnen in der Open-Klasse konnten vielleicht fünf surfen.“ Den „Austausch und das Netzwerken“ der Studenten sieht Ralf dagegen genauso positiv wie Christoph Edeler. „Die Partys bei den Adh-Open sind legendär“, sagt er und erzählt von Mittwochabend: „Da haben 300 Leute spontan vor dem Bungalow an der Ecke des Platzes durch die Nacht getanzt. Totale Ekstase, alles flog durch die Luft, Klamotten, Flaschen – bis die Polizei die Feier beendet hat.“

Ob Julius sich am Strand das Finale anschaut? „Nö, warum denn?“

Im Bungalow an der Ecke wohnen Studenten der HAW, der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Ihre Hütte scheint sich als Partyzentrale durchgesetzt zu haben. Die mannshohen Boxen sind erbarmungslos auf den Platz gerichtet, dagegen haben die anderen Unis keine Chance – egal ob „Fotzenbimmelbahn“ oder wie jetzt gerade Deichkind gespielt wird. Julius, 22, sitzt leicht verkatert neben der Bassbox, wippt im Takt und erklärt stolz: „Die Anlage hat uns die HAW selbst geliehen. Das ist mit Sicherheit die größte auf dem Gelände.“ Ob er später noch an den Strand geht, wo heute die Finalläufe des Surf Contests stattfinden? „Nö, warum denn?“  

>>> Kommen zwei Drittel der Besucher nur wegen der Partys?



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Je länger man vor Ort ist, desto klarer wird, dass sich hinter dem Label „Adh-Open“ im Grunde zwei Veranstaltungen verbergen: Zum einen der sportliche Wettbewerb, an dem sich immerhin rund 200 Studenten beteiligen und der damit mehr Teilnehmer hat als die Deutsche Meisterschaft, die ebenfalls in der Region stattfindet. Und zum anderen der unbeschwerte Strandurlaub in der Nebensaison, bei dem eine sehr homogene deutsche Studentengruppe ungestört von anderen Urlaubern unter sich bleibt und dementsprechend hemmungslos abgeht. Ausrasten mit Ansage. Klassenfahrt-Feeling. What happens at the Adh, stays at the Adh. Das kann ein Riesenspaß sein, die Stimmung auf dem Gelände ist durchweg fröhlich, Aggressionen treten noch nicht mal im Vollrausch auf. Doch vertragen sich diese unterschiedlichen Reise-Motive?  

„Na klar“, meint Ralf, der seit vier Jahren immer dabei war. „Die Surfer, die was draufhaben und regelmäßig die vorderen Plätze belegen, wohnen ja gar nicht in der Anlage. Die haben sich eigene Häuser gemietet oder schlafen in ihren Bullis.“ Das bestätigt Wavetours. „Zu den 554 Buchungen für die „Belambra“-Anlage kommen noch weitere 150 Leute, die in selbst organisierten Unterkünften wohnen oder auf Parkplätzen campen“, erklärt Jelena Schubert aus der Zentrale in Darmstadt. Aus diesen 700 Interessierten vor Ort rekrutieren sich die 196 Contest-Teilnehmer. Kommen also zwei Drittel wegen der Partys und ein Drittel wegen des Wettkampfs?  

Wer am Finaltag über die Düne zwischen den Strandübergängen Les Bourdaines und Les Estagnots schaut, kann durchaus diesen Eindruck gewinnen. Bei bestem Wetter liegen nur ungefähr 150 Studentinnen und Studenten an dem weitläufigen Strand verteilt. Einige spielen Beach-Ball, kleinere Grüppchen verfolgen nahe der Wasserkante das sportliche Highlight der Woche. „In den vergangenen Jahren war diese Schere sogar noch deutlich größer“, meint Ralf. „Es gibt zum einen die Leute, die kommen, um sich mit anderen Surfern zu messen. Die trifft man auch bei der Deutschen Meisterschaft, und das sind vielleicht 30 Männer und Frauen. Und dann gibt es den Rest.“ Der sportliche Ehrgeiz existiert also durchaus, wie auch der Titelverteidiger in der Open-Klasse, Alex Tesch, beschreibt: „Ich bin eher der Typ, der sich durch Wettkampf verbessert. Ich fand’s cool bei der Adh-Open.“  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wegen des Wettkampfs kommt nur ein Drittel der Besucher zu den Adh-Open.

Doch nicht alle guten Surfer fühlen sich angezogen. Felix Gänsicke, 23, leidenschaftlicher Wellenreiter aus Rostock und Regisseur des gefeierten Surffilms „Headache“, ist für einen Tag vorbeigekommen, um die Finals zu sehen. Er ärgerte sich über die Prioritätensetzung: „Die Wellen waren während der Finals nicht mehr so gut, die Vorhersage für den nächsten Morgen war allerdings perfekt, und es blieb noch ein Tag Zeit. Aber die Veranstalter entschieden sich dagegen, die Finalläufe zu verlegen. Ihr Kommentar: ,Wir bauen doch hier morgen früh nicht wieder den ganzen Kram auf.' Ich finde das sinnbildlich für den ganzen Event.“  

Die Contestzone am Strand ist durch das Red-Bull-Zelt und die Beachflags unübersehbar. Musik dröhnt aus der PA, immer wieder unterbrochen von den Ansagen des Kommentators. Beachvolleybälle fliegen, die Stimmung ist gut. Auch Christoph Edeler vom Adh ergreift hin und wieder das Mikro und begrüßt die Studenten im Namen des Verbands. Er weist wiederholt auf die korrekte Bezeichnung („Adh-Open Wellenreiten“) hin. Aufklärungsarbeit, die nottut: „Es scheint nicht allen klar zu sein, wer hinter dem Ganzen steht. Meine Aufgabe bestand unter anderem darin, den Studierenden nahezubringen, was der Adh ist.“  

Der Abend nach den Finals. „Night of the Champs“, die offizielle Abschlussparty in der Veranstaltungshalle der Anlage. Eine Plane mit den Sponsorenlogos dient als Raumtrenner, davor steht eine kleine Bühne mit DJ-Pult. Gegen 23 Uhr füllt sich der Raum. Die Finalisten der diversen Klassen werden auf die Bühne geholt, auf der der Moderator mit den Tücken des Spannungsaufbaus kämpft: „… und auf dem zweiten Platz – ach nee, wenn ich das sag, wisst ihr ja schon wer gewonnen hat!“ Viele Sekt-Sprühregen später beginnt der DJ, und die Party geht los. Deutlich gesitteter als vor dem Bungalow an der Ecke des Rasenplatzes, aber dennoch ausgelassen. Vereinen sich auf der Tanzfläche die beiden Welten, die Wettkampfsurfer und die Urlauber? Julius von der HAW jedenfalls lässt seine Bassboxen in der Hütte an der Ecke erst mal stumm und schaut vorbei. Schließlich hat eine Australierin seiner Uni die Frauenklasse gewonnen. Später soll es vor der eigenen Tür aber weitergehen: „Nicht ganz so laut wie gestern, wegen der Polizei.“ Die Halle füllt sich immer weiter, die Tänze werden wilder. Mittendrin: Christoph Edeler, Adh-Sportartenbeauftragter Wellenreiten. Arme in der Luft, ganz engagiert beim regen Austausch und Netzwerkeknüpfen.

Text: jens-steffenhagen - Fotos: Paul Pflüger

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