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#76 eben nur Wasser.

Text: brokensocial

Der Schlüssel bewegt sich in meiner Jackentasche, meine Schuhe schlappen ein wenig. Ich hab den Mascara heut morgen wieder zu schnell aufgetragen, er verwischt und es sieht aus, als hätte ich geweint. Das Rot meiner Wangen sieht man aber dafür auch ganz deutlich. Ich trage die Haare offen, Locken sind selten sage ich mir, und hoffe er sieht mich vielleicht. Wer, weiß ich zwar nicht, aber vielleicht ja eben der eine.



Es gibt Tage, da wäre ich gern unsichtbar. Ich setze einen Fuß vor den anderen, trage Wehmut in mir, vermisse eine zweite Hälfte, möchte nach Hause kommen, da wartet jemand auf mich. Ich will mich ins Bett fallen lassen, da liegt schon jemand. In die Küche kommen, der Tisch ist gedeckt - für zwei. Dann gibt es Tage, an denen trage ich den Mascara zu schnell auf. Das schmiere ich mir den Lippenstift lieblos über den Mund, kreisle die Haare nach oben zusammen, stecke sie fest und die Hälfte fällt wieder herunter. Ich ziehe mir das schwarze Kleid über, dazu meine Jeansjacke mit den Löchern. Ich erwidere keine Blicke, ich höre nur den Schlüssel, wie er sich in meiner Jackentasche bewegt. Ich warte auf die U-Bahn und weiß nicht, wohin ich eigentlich fahren will. Ich möchte stehen bleiben, komme einfach nicht voran. 



In dieser Stadt -sagt man- und in seinen 20ern -sagt man- probiert man viel aus. Ist schlaflos, ruhe- und rastlos. Hat tausend Möglichkeiten. Alles ist erlaubt und nichts muss. Genau das will ich nicht, dort sehe ich mich nicht. Ich sehne mich nicht nach Liebeskummer, will mich nicht fragen warum er nicht anruft, oder welches Kleid im Club wohl am besten passt. 



Und dann halte ich mich mal wieder für viel stärker, als ich eigentlich bin. Schmeiße mich ins Abenteuer weil ich denke, das kann ich. Ich stehe da drüber, lasse mich fallen und wenn es wehtut dann ist das ok. Aber das ist es nicht. Wie es wehtut fühle ich immer erst dann, wenn es soweit ist. Vorher ist da keine Angst, nur Neugierde. Und von Selbstschutz niemals ein Gedanke.



Wie es sich anfühlte, als ich meine Sachen gepackt habe damals und gegangen bin. Das waren schreckliche Momente. Für C. und mich. Und doch wollte ich woanders hin. 



Jetzt wünsche ich mir eben genau das von jemandem. Von dem einen. Dass er seine Sachen bei ihr packt und zu mir kommt. Dass er alles weiß, von mir. Dass ihm nicht nur seine Boote gehören, sondern auch mein Herz. Wie es rast, wenn ich seinen Namen lese, nicht schlafen kann, weil ich mich frage, ob wir uns überhaupt wiedersehen. Ich verliebe mich nicht. Eigentlich nie. Und wenn, dann in den Falschen. Einen vom Wasser, der mich mitnimmt und nachts mit mir in die Spree springt. Der mich durch die Dunkelheit fährt, auf seinem Boot und der mich küsst, während er es steuert. Ich habe oft tief eingeatmet, um die Gerüche zu speichern. Das alte Holz, die Nässe auf seiner Haut, den Wind, sein Parfum, den Sonnenaufgang in der verglasten Koje. Ja, man konnte ihn riechen. 



Jetzt sage ich mir, das war das Abenteuer. Ich dachte der Sturz sei nicht ganz so hart. Aber er kam mit voller Kraft voraus, erfüllt mich von oben bis unten und manchmal ist es ganz schwer, Luft zu holen, mich über Wasser zu halten. Ich wär gerne mit ihm untergegangen. Mit Zittern und großem Beben, ich würde das gern rauslassen, was da in mir ist. Aber er würde nicht zuhören. Und jetzt versuche ich das ganz klein zu halten, immer winziger werden zu lassen, damit es irgendwann einfach nicht mehr zu fühlen ist, nicht mehr da ist. Dieses große Gefühl, das ich immer besitzen wollte. 



Die Menschen sind wie das Meer, manchmal glatt und freundlich, manchmal stürmisch und tückisch - aber eben in der Hauptsache nur Wasser.“ sage ich mir immer wieder, und rede mir ein, du bist nicht mehr der Kapitän sondern einfach nur Wasser. 






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