Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Gebt zu, dass das furchtbar viel Arbeit ist!

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Über meinem Schreibtisch hängt eine umgedrehte Küchenreibe. “Witzig!”, sagt mein Besuch und deutet auf die Reibe und die Stifte darin.
 “Ja, oder?”, sage ich. “Hab’ ich im Internet gesehen.”


Das stimmt. Aber es ist nicht so, dass mir die Anleitung für diese Stiftebox in meine Timeline gespült wurde. Oder dass sie auf einem hippen DIY­-Blog aufploppte, den ich sowieso täglich besuche. Die umfunktionierte Küchenreibe an der Wand ist das Ergebnis stundenlanger, fahriger Googelei nach einer maximal exotischen Möglichkeit, meine Stifte aufzubewahren.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Schweißtreibend!

So ist das, wenn ich merke, dass ich etwas brauche; wenn mir eine Lampe fehlt oder eine Garderobe im Flur oder eben eine Stiftebox. Ich kann mich nicht überwinden, in einen Laden zu gehen und etwas zu kaufen, bevor ich nicht überprüft habe, ob man das Ganze nicht auch selbst machen kann. “Das geht doch bestimmt noch ausgefallener”, denke ich und verbringe ganze Samstagvormittage vor Youtube­Tutorials und auf Flohmärkten und am Ende kaufe ich eine Reibe in einem holländischen Onlineshop und gebe sechs Euro für den Versand aus.

All das erzähle ich natürlich nicht. Wenn jemand zu mir kommt und sich wundert, dass meine Garderobe eigentlich eine Holzleiter ist oder meine Lampe eine Gießkanne, dann winke ich lässig ab und sage Dinge wie: “Ach das? Hatte ich noch rumstehen.” Dann sind alle furchtbar beeindruckt angesichts meiner zauberkraftartigen Fähigkeit, aus allem noch etwas zu machen.

Sobald etwas richtig viel Arbeit macht, ist es nicht mehr cool

Das freut mich natürlich immer. Aber manchmal, da fühlt sich das ein bisschen an wie lügen. Weil ja niemand weiß, wie viel Arbeit da drinsteckt. Weil alle immer denken, die Ideen kämen mir zugeflogen oder zumindest von einem skandinavischen Design­Blog, den ich vor zwei Jahren entdeckt habe und den außer mir niemand kennt.

Wie viel Arbeit das ist, immer unfassbar individuell zu sein, darüber redet niemand. Als würde es den Zauber zerstören, wenn ich sage, dass die Leiter nicht von meinem Dachboden, sondern von Ebay Kleinanzeigen kommt und dass ich dreißig Kilometer gefahren bin, um sie abzuholen. Sobald etwas offensichtlich Arbeit macht, ist es nicht mehr cool. Wirklich beeindruckend ist es ja nur, wenn jemand großartige Dinge in sagenhaft kurzer Zeit vollbringt. Erzählt also jemand, er habe in irgendetwas richtig viel Arbeit reingesteckt, dann erinnert das schnell an langwierige Lampionbastelanleitungen aus der Brigitte. Lässig ist das aber nicht mehr.

>>>Die Heimlichtuerei ist deprimierend<<<

Der Typ etwa, der alle Bands immer vor allen anderen kennt, erzählt nie, wie er das eigentlich macht. Es wirkt fast so, als würden alle frisch rausgebrachten Alben von einer göttlichen Instanz direkt in seinen Kopf überspielt. Der musikalische Early­ Adopter erzählt niemals von einsamen Nächten in der Klausurenphase, in denen er sich mit müden Augen und einem Saftglas Salzstangen neben sich durch Soundcloud­-Playlists wühlt, obwohl er eigentlich lernen müsste.

Oder das schicke Mädchen aus dem Studium, das Dinge tragen kann, die sonst niemandem stehen ­ - Ponchos zum Beispiel oder Midi­-Röcke. Wenn man sie fragt, wo sie das her hat, was sie trägt, dann lacht sie bescheiden und sagt: “Selbstgemacht.” Und man stellt man sie sich vor, wie sie zwischen zwei VWL­Vorlesungen schnell einen Poncho auf dem Küchentisch schneidert.

Sie erzählt natürlich nicht, dass sie selbst keine eigene Nähmaschine hat und darum immer übers Wochenende zu ihrer Oma nach Bottrop fahren muss, wenn sie etwas nähen will.
“Gebt es zu!”, will man all diesen Menschen zurufen, “Gebt zu, dass das furchtbar viel Arbeit ist!” Von außen betrachtet ist diese Heimlichtuerei nämlich auf Dauer vor allem eines: ziemlich deprimierend.


Bislang galt allgemein: Manche Menschen können's einfach. Und die brauchen nicht mehr als ein paar Minuten am Tag, um coole Dinge zu wissen und zu nähen und zu bauen. Zeit zu sagen: Stimmt nicht! Individuell sein ist viel Arbeit, kreativ sein auch.
 Was spricht dagegen, zum Aufwand einer Idee zu stehen? Dann ist man zwar vielleicht nicht mehr vom Glitzerstaub der Individualität umgeben, aber man gäbe allen anderen ein deutlich besseres Gefühl. Man ließe sie glauben: Wenn ihr genauso viel Zeit investieren würdet, dann könntet ihr das auch.

Und überhaupt: Das schicke Mädchen wäre doch gleich viel symphatischer, wenn es antworten würde: “Den Poncho? Hab’ ich drei Tage mit meiner Oma dran gearbeitet. Und ich weiß jetzt alles über den Krieg und gute Frikadellen.”


Text: kristin-hoeller - Foto: photocase.de/shnipestar

  • teilen
  • schließen