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„Auf dem Mars habe ich gelernt, wie man Brot backt!“

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Jocelyn Dunn, 28, hat mit fünf anderen Wissenschaftlern an der Nasa-Mission Hi-Seas (Hawaii Space Exploration Analog and Simulation) teilgenommen, bei der eine Mars-Mission simuliert wird. Das Team hat acht Monate lang gemeinsam in einem Dome am Hang eines Vulkans gelebt und geforscht. Jocelyn ist Informatikerin und macht gerade ihren Doktor in Industrial Engineering and Data Analytics. Seit zehn Tagen ist sie wieder "auf der Erde".

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Jocelyn, du warst acht Monate im Dome und bist seit zehn Tagen wieder draußen. Hast du dich schon wieder an die vielen Menschen und die Supermärkte gewöhnt?

Jocelyn Dunn: Ich bin immer noch überwältigt und alles lenkt mich ab. Und das Essen – es ist großartig!

Was hast du denn drin gegessen?

Da gab es vor allem gefriergetrocknete Nahrung. Du musst erstmal Wasser dazugeben und dann wird es oft breeig und feucht und schmeckt nach wenig.

Wie sah es aus in eurem Dome?

Er ist ungefähr 1000 Quadratmeter groß. Als ich das erste Mal reingegangen bin, war ich erleichtert, ich hatte ihn mir kleiner vorgestellt. Im Erdgeschoss ist ein Bereich zum Arbeiten und um Sport zu machen, ein Labor, das Bad und die Küche. Im ersten Stock gibt es noch ein Bad und sechs Schlafzimmer, das kannst du dir vorstellen wie eine Pizza, jeder Raum ist ein Stück. Die Zimmer sind sehr klein und nicht besonders schallisoliert, du kannst deinen Nachbarn husten hören. Das Ganze muss ja vom Material so leicht wie möglich sein, damit man es mit ins All nehmen kann.

Klingt nicht gerade nach viel Privatsphäre.

Nein. Trotzdem war es schön, dort zu leben – du hattest immer jemanden, mit dem du reden, essen oder trainieren konntest. Und wir sind alle Experten in verschiedenen Bereichen und haben uns ausgetauscht und gegenseitig geholfen.

Was sollte bei eurer Mission eigentlich herausgefunden werden?

Wie die ideale Crew für eine solche ICE-Environment aussieht – das steht für „Isolated Confined Extreme Environment“. Welche Persönlichkeiten mit welchen beruflichen Hintergründen das effektivste und verlässlichste Team bilden, das eine starke Bindung aufbaut – aber auch nicht zu stark, damit es nicht zu unabhängig wird und den Kontakt zur Erde und zur Mission Control verliert.

"Wenn eine Person einen schlechten Tag hat, dann beeinflusst das alle anderen."

Wie wurden die Teilnehmer für die Mission ausgewählt?

Wenn deine schriftliche Bewerbung durchgeht, macht die Nasa Persönlichkeitstests mit dir, bei denen sie sich anschauen, wie du mit Konflikten und deinen Mitmenschen umgehst. Am Ende blieben neun Bewerber übrig. Sie haben uns zu einer Outdoor-Führungskräfte-Schulung geschickt, Backpacking und wandern für eine Woche in den Bergen in Wyoming. Aus dem Team haben sie dann die besten sechs ausgewählt.

Und was hat dich so besonders qualifiziert?

Wir sind alle sechs sehr flexibel und nicht besonders dominant, mehr so go-with-the-flow-mäßig und sehr vernünftig. Das ist wichtig. Wenn du eine zu starke Persönlichkeit hast und sehr konfrontativ bist, ist das nicht gut für die Gruppe. Wir haben das an der Theorie von der Feder und dem Hammer festgemacht: Manche Menschen haben eher den Feder-Zugang zu Dingen, sie sind nachgiebiger, geben eher Hinweise, wenn sie etwas stört, aber sagen es nicht direkt. Und andere haben den Hammer-Zugang und sagen „Hör auf damit, du nervst mich!“

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Bist du eher Feder oder eher Hammer?

Ich bin mehr auf der Feder-Seite, also haben sie mir beigebracht, wie ich ein bisschen weiter in Richtung Hammer komme, um direkter zu kommunizieren, was los ist. Am Ende sollten wir alle möglichst auf dem gleichen Level sein.

Ihr sechs kanntet euch ja vorher nicht. Wie kamt ihr miteinander zurecht?

Wir waren eine Art Mikro-Gesellschaft und haben verschiedene Rollen angenommen. Für Sophie war ich ihre große Schwester, obwohl ich nur ein Jahr älter bin als sie. Allen ist ein paar Jahre älter als ich und hat sich benommen, als wäre er mein Vater, er hat mir oft geholfen und ich konnte immer mit ihm reden, wenn ich ein Problem hatte. Martha, unsere Kommandeurin, war eine großartige Teamleiterin, sehr bestimmt, wenn es sein musste, aber auch sehr fürsorglich, sie hat uns frisches Brot gebacken und tolle Nachtische gemacht.

Es gab aber sicher auch mal Krisen.

Ja, auf jeden Fall. Wir haben die Mission immer in Viertel aufgeteilt. Das erste Viertel: alle glücklich, alle gesund, alles toll! Das zweite Viertel war immer noch okay, aber ein paar waren etwas deprimiert. In meiner Forschung nenne ich das den „emotionalen Virus“: Wenn eine Person einen schlechten Tag hat, dann beeinflusst das alle anderen. Das dritte Viertel gilt in den Theorien als das härteste, weil die Halbzeit rum ist und danach nichts Neues mehr kommt, man wird depressiv und gelangweilt, und ab dem vierten Viertel sieht man dann das Licht am Ende des Tunnels. Aber unser drittes war ein bisschen besser als das zweite – und das vierte war für uns alle am schwersten. Wir waren ziemlich gereizt und gestresst.

Ein typischer Tag im Dome – und was Jocelyn jetzt wirklich, wirklich dringend machen will.

Wie sah denn ein typischer Hi-Seas-Tag aus?

Wir sind alle irgendwann vor neun Uhr aufgestanden und haben erstmal entschieden, ob wir eine EVA machen...

...eine was?

Eine Extra Vehicular Activity, also, ob wir in Raumanzügen rausgehen. Das hat immer viel Vorbereitungszeit gekostet, alle in die Anzüge zu kriegen und die Funkgeräte ans Laufen zu bringen und so weiter. Aber es hat immer großen Spaß gemacht.

Okay. Und ohne EVA?

An normalen Tagen hat morgens jeder an seiner Forschung gearbeitet, dann gab’s Mittagessen.

Woran hast du geforscht?

Ich beschäftige mich mit Datenanalyse und tragbaren Geräten, mit denen unser Gesundheits- und Gemütszustand gemessen werden kann. Wir haben Armbänder getragen, die zum Beispiel unser Aktivitätslevel und unsere Schlafqualität gemessen haben. Wenn morgens jemand gefragt hat „Wie hast du geschlafen?“, hat der andere gesagt: „Moment, lass mich mal kurz meine Daten checken...“

Und nach der Forschungsarbeit?

Gab es meistens eine Aufgabe von der Nasa zum Gruppenzusammenhalt. Zum Beispiel eine Verhandlung: Man hat uns widersprüchliche Meinungen vorgegeben, der eine wollte die Steine auf dem Mars untersuchen, der andere die Erde und so weiter, und wir mussten aushandeln, was wir machen. Dabei haben wir Herzmonitore getragen und sie haben die Dezibellevel unserer Stimmen gemessen. War natürlich alles nur simuliert – wir haben eine halbe Stunde diskutiert und danach nie was davon gemacht. Ansonsten haben wir den ganzen Tag immer wieder Fragebögen ausgefüllt, etwa 40 die Woche: Wie fühlst du dich, was war deine letzte Interaktion, war sie produktiv oder ineffektiv und so weiter. Dann haben wir am Nachmittag Sport gemacht und danach eventuell geduscht – wir konnten uns allerdings nur zwei Mal die Woche duschen. Und dann gab’s Abendessen.

Was hast du in deiner Zeit im Dome über Menschen gelernt?

Ich weiß jetzt, dass wir eigentlich doch alle Egoisten sind. Obwohl wir so geduldig miteinander waren, konnte man sehen, dass das individuelle Interesse das Team manchmal aussticht. Und um glücklich zu sein, muss es das geben, du musst Sachen machen und haben, die nicht für die Gruppe sind.

"Für meinen Großvarter musste ich Briefe einscannen und jemand musste sie ausdrucken und ihm bringen."

Wie hast du das an dir selbst bemerkt?

Am Abend haben wir meistens Brettspiele gespielt oder Filme geschaut. Das hat Spaß gemacht – aber manchmal habe ich mich gezwungen gefühlt, mitzumachen, und es hat mich gestresst, statt entspannt, weil ich lieber arbeiten wollte. Manchmal bin ich dann die ganze Nacht wachgeblieben, um zu arbeiten, und war dann am nächsten Tag müde und nicht gut gelaunt, konnte also nicht hundert Prozent für das Team geben. Jeder von uns hatte so was, wo er keine Kompromisse eingehen konnte.

Was hast du am meisten vermisst?

Mit meiner Familie und meinen Freunden zu reden. Die Kommunikation war verzögert, um die Entfernung zu simulieren. Es konnte zehn oder zwanzig Minuten dauern, bis eine Nachricht ankam. Man konnte keine spontanen Gespräche führen und Kontakt halten war schwer. Vor allem mit meinem Großvater, für den musste ich Briefe einscannen und jemand musste sie ausdrucken und ihm bringen.

Klingt ein bisschen wie ein Leben in der Vergangenheit...

Ja, in vielen Bereichen war unser Leben im Dome echt altmodisch. Wer hätte gedacht, dass ich mal sagen würde: „Auf dem Mars habe ich gelernt, wie man Brot backt!“ Aber die konnten uns ja kein Brot schicken, das würde sich ja nicht halten, bis es auf dem Mars ist. Also haben sie die Zutaten geschickt.

War dir manchmal langweilig?

Ich dachte, es würde ab und zu langweilig. Ich hab’s mir vorgestellt wie eine Art Sabbatical oder so. Aber wir waren immer sehr beschäftigt. Ich habe acht Bücher für acht Monate mitgenommen – und nur zwei gelesen!

Wird die Routine, die es da drin gab, eigentlich deinen Alltag hier draußen beeinflussen?

Grade fühle ich mich die ganze Zeit so, als würde ich was vergessen, weil ich so dran gewöhnt bin, Fragebögen auszufüllen. Ich glaube, gerade die Fragebögen am Ende des Tages, die nach dem besten und dem schlechtesten Moment des Tages gefragt haben, möchte ich weiterhin machen. Eine andere gute Sache war das Tagebuchschreiben: Etwa drei Mal die Woche sollten wir zwanzig Minuten lang Freestyle schreiben. Am Ende habe ich das jeden Abend gemacht und möchte das beibehalten. Es ist toll, einen Katalog der eigenen Gedanken zu haben und zu sehen, wie die Perspektiven sich mit der Zeit verändern.

Die erste echte Marsmission ist für die 2030er-Jahre geplant. Da bist du wahrscheinlich selbst schon zu alt dafür. Ist das nicht deprimierend?

Ein bisschen habe ich deswegen bei der Simulation mitgemacht: Ich wusste, dass das am nächsten dran ist an einer echten Marsmission. Und es war toll, mit Menschen zusammen zu sein, die ähnliche Ziele und Träume haben wie man selbst. Es wirkt ja immer etwas verrückt, wenn man sagt „Ich will zum Mars!“ Ich war noch nie in einer Gruppe, in der das einfach die Normalität ist.

Okay, letzte Frage: Was möchtest du jetzt wirklich, wirklich dringend machen?

Meinen Doktor beenden! Was danach kommt, steht noch in den Sternen.

Ich meinte auch eher im Alltag. Jeden Tag duschen vielleicht?

Ich glaube...jeden Tag Salat machen!

Text: nadja-schlueter - Fotos: oH

Wolfgang ist schon geflogen:

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