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Der Heimat-Holzhammer

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Es fing an mit der Freundin aus Berlin. Sie schaute mich mit halb entsetztem Blick an und fragte: "Was ist denn bei euch los? Sind wir wieder im vorletzten Jahrhundert?" Als sie am Hauptbahnhof aus dem Zug stieg, klatschte ihr von der größten Werbetafel ein Satz ins Gesicht. "Ein Herz für Preiß’n. Den Rest für Bayern."  

Mit dem Satz wirbt gerade ein Schokoladenhersteller für eine Art Praline, die es offenbar auch in Herzform gibt. Dann setzte sich die Freundin in die U-Bahn und las auf dem erstbesten Plakat: "Kochen ist für Preußen."  

Eine Werbung für einen Essens-Lieferdienst, eigentlich harmlos. Aber die Freundin fühlte sich komisch. "Diskriminiert" wäre übertrieben, aber latent unwillkommen, sagte sie, in einer Stadt, die sie als weltoffen, als zugewandt, herzlich und modern in Erinnerung gehabt hatte. Warum, fragte sie mich, macht ihr das in München neuerdings? Werbung mit Vorurteilen aus dem 19. Jahrhundert, in dem das Königreich Preußen der Erzfeind der Bayern war? 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Hoam sweet Hoam": Immer öfter klingt Werbung in München so, als richte sie sich an Provinzbewohner mit solidem Vorurteil gegen den Rest der Welt. 

Nun ja, dachte ich. Man kann sich seine Probleme auch suchen. Aber dann fuhr ich mit der Frage im Kopf ein paar Tage mit dem Rad durch die Stadt. Und sah an Stromkästen Plakate, die für Clubs warben mit dem Wort "Dahoam". Ich sah FC-Bayern-Shirts und -Schals mit dem Satz "Mia san Mia", die Telekom warb mit: "Mia san dran." An jeder dritten Litfaßsäule las ich den Spruch: "Mia san Media Markt." Und an einem Fahrradständer neben meiner Wohnung hatte eine Biomarkt-Kette Überzieher auf alle Sättel gestülpt. Grotesker als Plastiküberzieher von einem Biomarkt war nur noch der darauf gedruckte Satz: "Mia san Bio". 

Seither verstehe ich die Freundin. Die Straßen in München sind links und rechts vollgekleistert mit Lokalpatriotismus und Heimatkitsch. An jeder Ecke apelliert irgendwer mit dumpfester Rhetorik an unser Heimatgefühl und will damit irgendwas verkaufen. Schon verständlich: Die Firmen wollen sich mit den Menschen vor den Plakaten verbrüdern. Damit die nämlich Handyverträge, Bier oder Hausmachersenf bei ihnen kaufen. Bei den Menschen auf der Straße ist der Wohnort eben der kleinste gemeinsame Nenner. Und wenn jeder, der sich in München wohlfühlt, auch gleich noch Kunde der Telekom wird oder Schokopralinen kauft – die Unternehmen wären am Ziel!  

Aber – ernsthaft? Glauben die wirklich, dass jeder, der sich in München wohlfühlt, ein Produkt bevorzugt, das so tut, als sei es urmünchnerisch? Und zwar, indem es ein wahlloses Attribut an die Phrase "Mia san..." hängt, irgendwas mit "dahoam" fabuliert oder einen Witz auf die Preiß’n macht?  

Mit dem "Finale dahoam" fing es an - und ist seither nur noch schlimmer geworden

2012 fing das an, als der FC Bayern das Championsleague-Finale erreichte, das postwendend von der Presse zum "Finale dahoam" umgewidmet wurde. Drei Wochen lang wurde der Begriff "dahoam" zur Weltformel des Münchner Marketings: Von Neuwagen über Internet-Flatrates und Butterbrezen wurde in jeden Werbeclaim der Zusatz "dahoam" eingerührt. Der Tiefpunkt war erreicht, als die Allianz für eine Anzeige den Satz "Hoam sweet Hoam" erfand. Nur hat sich der ganze Irrsinn nie wieder richtig verabschiedet.  

Woher kommt dieser Quatsch? Anruf bei zwei Fachleuten, Torben Otten und Georg Baur, Kreativdirektoren bei der Agentur Thjnk. "Kleine Firmen, die Produkte aus der Region beziehen, haben einen echten Trend geschaffen", sagen sie. "Deshalb fühlt man sich bei den großen Marken heute oft ziemlich verloren. Um das immergleiche Angebot wieder relevant zu machen, biedert man sich eben an lokale Sprachgewohnheiten an. In Bayern schreibt man 'Mia san X', in Köln 'Mir lasse de X in Y' und in Berlin 'Icke, ditte, wa?'"   

Dabei ist die interessantere Frage ja ohnehin: Wenn man uns mit dümmlichen Heimatphrasen und ekligen Klischees aus den Zeiten der Kleinstaaterei kriegt – was sagt das eigentlich über uns Münchner aus? Denn es liegt ja auch an uns, wie man um uns wirbt. "Wem ist es schon egal, ob ein Produkt aus Deutschland oder Russland kommt?", sagt Georg Baur. "Konsumenten sind wählerisch." 

Von "Mia san mia" ist es nur ein kleiner gedanklicher Schritt bis zu "Das Boot ist voll"  

Und im nächsten Schritt können wir ja überlegen: Wenn Firmen an jeder dritten Litfaßsäule so tun, als wäre der typische Münchner ein bayerisch glucksender Almbauer mit solidem Vorurteil gegen den Rest der Welt – was macht das mit der Außenwirkung unserer Stadt?

Denn der Satz "Mia san mia" lässt sich zwar schon auch so übersetzen wie es die PR-Abteilung des FC Bayern gerne tut, nämlich mit "We are who we are". Wir sind, wer wir sind, und müssen es niemandem rechtmachen. Klingt griffig, ist aber nur die bemüht sympathischste Deutung. Eigentlich transportiert "Mia san mia" ja etwas anderes: Nämlich bräsige Selbstzufriedenheit inklusive Ausgrenzung alles Anderen, Auswärtigen oder eben nicht zum "Mia" gehörigen. Und, um nun sicherheitshalber auch mal die unsympathischste Deutung durchzuspielen, die einem so einfallen könnte: Von "Mia san mia" ist es eigentlich nur noch ein kleiner gedanklicher Schritt bis zu "Das Boot ist voll". 

Peter Martin sieht das ähnlich. Er ist Kommunikationsexperte und leitet die Münchner Markenagentur Martin et Karczinski. Er ist genervt von der Plumpheit, mit der der Regionalstolz für Werbung verwurstet wird. "Heimatverbundenheit ist ein einfaches, aber penetrantes Mittel, um Marken Identität zu verleihen", sagt er. "Es wirkt in vielen Fällen ausgesprochen einfallslos."  

Der neue Werbeclip für Bayern: Menschen diverser Hautfarben, ein Roboter und der Satz "Welcome dahoam"

Martin hat deshalb vor ein paar Monaten eine Kampagne namens "Mia san mehr" gestartet. Als Zeichen der Weltoffenheit und Toleranz hängte seine Agentur an mehrere Stellen der Stadt Plakate, die das Münchner Kindl mit Symbolen aller fünf Weltreligionen zeigen. Das "Open Kindl" wurde auch als Schablone, Turnsack und Poster verkauft, die Erlöse gingen an ein Flüchtlingsprojekt. 

"Wir wollten damit das Gegenteil dieses vermeintlichen Stolzes ausdrücken", sagt Martin. "Wir haben nichts gegen München einzuwenden, aber es nervt, wenn Werber mit diesem Heimatgefühl hausieren gehen. Seid tolerant, bildet euch nicht so viel darauf ein, aus Bayern zu kommen! Die Welt ist groß, und es ist eine Bereicherung, wenn in München Menschen mit verschiedenen Weltanschauungen leben."  

Bei allem Lob, das die Stadtverwaltung der Kampagne aussprach – sie verbot das "Open Kindl" dann doch. Das Hoheitszeichen der Stadt dürfe nur sie selbst verwenden. Dafür wirbt seit dem G7-Gipfel der Freistaat Bayern mit einem interessanten neuen Clip für sich selbst. Den Link hat mir meine Berliner Freundin gemailt, sie kann inzwischen drüber lachen. In dem Clip tanzen viele sympathische Menschen diverser Hautfarben, ein paar spielen Gitarre im Englischen Garten, ein paar Roboter schrauben einen BMW zusammen.  

Oh, denkt man kurz, eine bunte Stadt der Zukunft, ein weltbauchnabeliger Ort der Freiheit, der Offenheit, wo ausländische Fußballtrainer bestimmt nicht genötigt werden, sich in einer Lederhose fotografieren zu lassen und einen Brocken Bayrisch in ein Mikrofon zu stammeln. Wo man auch mal fremd sein darf, ohne sich anstrengen zu müssen, auch einer von "Mia" zu sein. Aber dann taucht Horst Seehofer im Bild auf. Und brummt mit ministerpräsidential kumpeligem Lächeln den grotesken Satz: "Welcome dahoam." 

Es wanzen sich also jetzt nicht mehr nur verzweifelte Firmen mit einer Soße aus Heimatkitsch und regionaler Selbstgefälligkeit an uns ran, sondern auch noch der Freistaat Bayern selbst. In unserem Namen, an die ganze Welt. Na Servus.

Text: jan-stremmel - Illustration: Daniela Rudolf

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