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pillen & tränen

Text: FlohKopf
ich weiß immer, wann meine bunten pillen nicht mehr die richtige dosis haben, weil ich dann wegen jedem scheiß weinen will. vorwiegend wegen sozialem scheiß. wenn man wegen geld oder der arbeit weinen will, dann ist das vielleicht ganz oft sogar berechtigt. manchmal will ich weinen, weil ich keine vorgezeichnete karriere habe, wie meine geschwister. die haben alle etwas gefunden, was sie gut können und mögen und das machen sie jetzt. jaja, klar, auch die geschwister haben so ihre probleme. der große bruder muss immer mal wieder auf demos dinge werfen und von wütenden polizisten verwarnt werden, weil das sein ausgleich zum ärzte-alltag ist. die schwester nimmt tabletten, um schlafen zu können, weil sie sonst wach liegt und über die verkorksten leben irher schüler nachdenkt. der kleine bruder hat sich für eine karriere entschieden, die wohl nie in reichtum enden wird (meine hippie-eltern sind so stolz) und sowieso ist sein liebesleben eine einzige schmierekomödie. aber es ist normal, dass ich eifersüchtig bin, weil sie wissen, was sie mit ihren gelernten fähigkeiten machen wollen und alles, was ich gerade machen will, ist, nochmal student sein. student sein kenne ich und ich denke, ich bin ganz gut darin. ich finde eine gute balance zwischen besoffen vor der bücherei liegen und tatsächlich in der bücherei lernen. aber das ist auch gar nicht der punkt. ich weiß immer, wann meine bunten pillen nicht mehr die richtige dosis haben, weill ich dann wegen sozialem scheiß weinen will. oder weine. wie heute. ich erläutere: plan war, mit dem paar von schräg gegenüber in einer coolen kneipe am kanal bierchen zu nehmen. aber mein lebenspartner war irgendwie zu müde und sagte, ich soll doch alleine gehen und ich fatzte doofe sachen, wie "ja, klar, ich geh alleine auf ein doppeldate" und wahrscheinlich auch noch sachen wie "leb mal ein bißchen, du bist noch keine 40!" und anderen bösen scheiß. aber ich war gar nicht wirklich sauer, sondern einfach traurig. und dann setzte ich mich in die ecke hinter dem küchentisch und weinte für eine weil. mein lebenspartner machte mir kaffee, weil wir vor einer weile bemerkt haben, dass koffeein mir hilft, wenn ich in so einer stimmung bin und als ich nicht mehr schluchzte, trank ich ihn in kleinen schlucken. ich habe meine mama angerufen und sie war ganz großartig und gab mir ratschläge und kräuterteerezepte und dann vermisste ich meine bubbe und wollte noch mehr weinen. aber weil ich kein kleines kind mehr bin, habe ich stattdessen von meiner bubbe un hühnern und kräutertee erzählt. ich bin immer noch nölig wegen der sozialen situation und dann weiß ich genau, dass meine bunten pillen nicht mehr die richtige dosis haben, weil ich dann wegen jedem scheiß weinen will.

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