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HDP ist eine Hoffnung aber wege, sie halten ihre Versprechen nicht!

Text: Nalan_Sipar

1990, 6 Jahre alt.
Ich liege noch in meinem warmen Bett und warte auf den ersten Zeichentrickfilm im Fernsehen. Bevor das türkische TV-Programm beginnt, wird aber erst mal die türkische Nationalhymne gesungen. Ich springe aus meinem Bett heraus, nehme die Habtachtstellung ein. In Pyjamas! Und singe die Nationalhymne mit. Meine ältere Schwester hänselt mich: “Du Doofe! Du weißt doch gar nicht, was das bedeutet.“ Aber so macht man das doch, oder nicht?



1998, 14 Jahre alt.
Meine besten Freundinnen stehen im Flur der Schule. Irgendwie wollen sie nicht mehr mit mir reden. Ich höre nur das Wort „Terrorist“. Ich kann das nicht verstehen: Sie haben mich doch nur gefragt, wo ich geboren wurde und ich sagte: „In Urfa“. Und seitdem ich diesen Stadtnamen genannt habe, sind sie komisch zu mir.



Erst viel später verstand ich, was meine Schwester so doof fand. Ich war Kurdin und sang fast jeden Morgen die türkische Nationalhymne mit. Und ich verstand auch, warum meine Freundinnen nicht mehr mit mir geredet hatten. Urfa, das ist doch eine kurdische Stadt. Und alle Kurden sind doch Terroristen!



Je älter, desto bewusster wurde mir meine ethnische Identität, die ich mir nicht selber ausgesucht hatte und weshalb ich sie nicht fanatisch verteidigen wollte.



2006, 22 Jahre alt.
Ich studiere Politik und will mehr über die „kurdische Sache“ erfahren. Ich gehe zu einigen Treffen so mancher kurdischen Jugendgruppen. Schnell stelle ich fest, dass ich denen zu kritisch bin. Anscheinend stelle ich zu viele Fragen und lehne bestimmte Strukturen ab. Irgendetwas scheint sie an mir zu stören und irgendwie komme ich mit ihnen auch nicht klar.



2013, 29 Jahre alt.
Ich beschäftige mich nun beruflich mit der „Kurdenproblematik“. Nach dem Waffenstillstand zwischen der PKK und der türkischen Regierung fliege ich nach Diyarbakir, in den Hochburg der Kurden, um mir den „Frieden“ anzuschauen und bin beeindruckt, wie politisiert diese Stadt ist und selbst kleine Kinder mit mir politische Diskussionen führen.



Was für mich bis dahin nur eine „Kurdenproblematik“ war, sehe ich, bestimmt und prägt hier das Leben der Menschen. Es gibt keinen Einzigen, den ich spreche und aus dessen Familie es nicht mindestens einen Toten gibt. Die Gründe sind unterschiedlich: Getötet während einer Demonstration, getötet im Gefängnis, getötet auf dem Berg als Guerilla. Sie sprechen über den Tot und die Verstorbenen so normal und beiläufig, als würden sie über Kaugummiesorten sprechen.



“Wir wollen Frieden, Heval”
Aber ich höre es aus jedem Satz heraus: Sie glauben an den Frieden. Sie wollen keinen einzigen Toten mehr. Und dabei lassen sie sich auch nicht von den Wasserwerfern stören, die in fast jeder großen Straße stationiert sind. „Wir müssen sehr vorsichtig sein, Heval (Freund, Weggefährte auf Kurdisch). Wir dürfen den Frieden nicht gefährden“, wiederholen sie.



Seit diesem Besuch steht für mich klar, dass Kurden es leid sind Gewalt zu erleben, zu sterben. Sie bestehen auf den Frieden. Sie bestehen auf eine echte Demokratie, die ihnen Rechte als gleichwertige Bürger sichert. Sie wollen keinen Kindern mehr hinterher trauern, die ins Gefängnis müssen, weil sie Steine auf Wasserwerfer geworfen haben. Sie wollen nicht mehr Brüdern, Schwestern hinterher weinen, die in Polizeigewahrsam verschwunden sind.



Und das ist die Basis, zu der heute Selahattin Demirtas, Ko-Vorsitzender der pro-kurdischen Partei HDP spricht. „Lasst Euch nicht provozieren!“ sagte er, als ein Tag vor den Wahlen eine Bombe auf einer Wahlveranstaltung von HDP in Diyarbakir explodierte. „Der Frieden wird gewinnen“ beharrte er darauf. Das war für mich der Punkt, wo ich ihn nicht nur als kurdischen Politiker sondern als einen lauteren Friedensverteidiger sah.



Und warum HDPs Erfolg für mich eine Hoffnung ist…
Nicht, weil ich Kurdin bin; sondern deshalb, weil HDP universelle Rechte verteidigen will. Demirtas selbst war mehrere Jahre als Menschenrechtsaktivist und Anwalt tätig. Ich habe ihn mal auf einer Veranstaltung in Dortmund sprechen können. Er überzeugte mich über seinen Glauben an den Frieden. Auch in seinem Wahlkampf betonte er immer wieder: “Glauben Sie nicht mir als Person, sondern den Werten, mit denen wir eine echte Demokratie aufbauen wollen.”



Deshalb sind sie eine Hoffnung… Aber wehe die HDP hält nicht ihre Versprechen,
– alle ethnischen und religiösen Minderheiten der Türkei zu schützen;
– die Rechte der Frauen und anderer diskriminierten Gruppen wie Homosexuellen zu stärken
– und die Demokratie zu stabilisieren!



Dann bin ich eine der Ersten, die die HDP kritisieren werden.

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