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Der Hipster ist tot!

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Jetzt also der Yuccie. Der "Young Urban Creative". Ein neuer Begriff, vielleicht bald ein neues Schimpfwort.

Den Namen hat sich der amerikanische Autor David Infante ausgedacht. In seinem Artikel auf Mashable, den das Netz seit Dienstag furios diskutiert, fordert er eine neue Bezeichnung für die Gruppe von Menschen, die immer noch als "Hipster" gelten: Weltgewandte, modebewusste, erfolgreiche Menschen zwischen 25 und 35. Die als Social-Media-Berater arbeiten oder Start-ups für nachhaltige Brillengestelle aus Bambus gründen. Mit denen sie dann aber (Achtung!) Geld verdienen.

Es sind Menschen wie er selbst: Im ersten Drittel des Lebens stehend, gut ausgebildet. Aufgewachsen im Komfort der Generation Y und durchtränkt von der Überzeugung, dass die eigenen Ideen es verdient haben, umgesetzt und angemessen entlohnt zu werden. Und dass ein Job zwar Geld abwerfen, aber auch sinnvoll sein muss.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn sogar CSU-Minister Hornbrillen tragen, brauchen Individualisten eine neue Bezeichnung.

Der Hipster, sagt Infante und zieht ein längst überfälliges Fazit, ist nur noch ein totes Gerippe. Der Begriff ist ein Kampfbegriff, und er beschreibt längst nicht mehr die Realität. American-Spirit-Zigaretten, Tattoos, iPhones - die Konsumgewohnheiten, aus denen heraus vor ungefähr zehn Jahren der Hipster als viel verspottete Randgruppe entstand, sind heute Mainstream: Fußballprofis tragen Sleeve-Tattoos, CSU-Minister Hornbrillen und der Bild-Chefredakteur Vollbart. Wenn aber jeder Individualist ist, ist es in Wahrheit niemand mehr. Für die neuen Individualisten braucht es also dringend eine neue Bezeichnung.

Denn mit dem Hipster von damals hat der junge, gut ausgebildete Stadtbewohner von heute nur noch oberflächlich Ähnlichkeiten – den Schnurrbart vielleicht, das demonstrative Interesse an Nischenmusik oder den Job im Grafikbüro. Er hat aber, und das ist neu, wieder deutliche Gemeinsamkeiten mit dem Yuppie. Also dem "Young Urban Professional" der Neunzigerjahre. Der "Yuccie" ist eine kulturelle Mischung aus beiden.

"Wir wollen erfolgreich sein wie Yuppies und kreativ wie Hipster", schreibt David Infante. Yuccies definierten sich über Konsum, wie die beiden anderen Gruppen. Entscheidend sei dabei aber weder der Preis, wie beim Yuppie, noch der Geschmack, wie beim Hipster. Dem Yuccie geht es um Preis und Geschmack. Er kauft sich Jogginghosen für 80 Dollar oder ein Sixpack Craft Beer für 16 Dollar. Er reist zu teuren Indie-Festivals und nimmt sich dort ein Hotel. Der Preis ist ihm unwichtig, wenn das Konsumgut den eigenen Intellekt unterstreicht.

Der Yuccie hat keine Tattoos und keine Schulden - der Hipster hätte ihn verachtet. 


Woher kommt das? Der Yuccie war noch jung und in der Vorstadt bei den Eltern, als der Hipster in den Großstädten entdeckt wurde – der Yuccie beobachtete also, wie der bärtige Individualist sich gegen den inhaltsleeren Lifestyle der Yuppies wandte, sich die Handrücken tätowieren ließ und eine schlecht laufende Messerschmiede in der Bedford Avenue in Williamsburg aufmachte. Auf der anderen Seite erlebte der Yuccie, wie im Silicon Valley aus blassen Ivy-League-Studenten über Nacht Milliardäre wurden. Mit der technologischen Entwicklung der Nullerjahre ließen sich plötzlich gute Ideen in Reichtum verwandeln.

Aus beiden Eindrücken destillierte der junge Yuccie sein Ziel: Geschmackvolle Individualität bewahren, dabei aber auch die eigene Kreativität lohnend vermarkten. "Ich habe keine Tattoos und keine Schulden", schreibt David Infante, "dafür eine Zahnzusatzversicherung. Echte Hipster hätten mich als Yuppie verachtet."

Woran man einen Yuccie außerdem erkennt:
 
Er mag in der Theorie die Gentrifizierung nicht – liebt aber in der Praxis hausgemachte Donuts Er vermeidet sichtbare Tätowierungen (kein kluger Karriere-Move) Er hat eine Wochenzeitung im Abo, liest aber keine Nachrichten Er war mal Angestellter, hat aber seine Leidenschaft zum Beruf gemacht (destilliert jetzt Bio-Wodka) Wenn man ehrlich sei, schreibt der Autor, ist der Yuccie ein ziemlich ekliger Typ. (Im Englischen lässt sich da ein Wortspiel mit "yucky" machen.) Der Yuccie ist privilegiert. Und dabei so selbstzentriert, wie man es nur sein kann, wenn man noch nie echte Not kannte. Im Kern geht es dem Yuccie immer um Bestätigung. Er nimmt in Kauf, weniger Geld zu verdienen, wenn der Job ihm Bestätigung gibt. Er will wissen, dass sein Talent ausgeschöpft wird. Dass er einen Fußabdruck hinterlässt, egal wo, egal wie groß – Hauptsache, er stammt von ihm.

Was David Infante schreibt, deckt sich in vielen Punkten mit dem, was Soziologen seit Jahren über die Millennials sagen: Die Ego-Zentrierung, die Sinnsuche im Beruf. Er hat also nicht unrecht. Trotzdem sammelt der Artikel im Sekundentakt wütende Kommentare. Häufigster Vorwurf: Der Autor selbst sei ein Hipster – sonst nichts! Er mache da schließlich, was alle Hipster machen: Irgendwas einen neuen Namen geben, das es schon lange gibt. Und sich damit originell fühlen! Was zumindest eine These des Autors bestätigt: Der Begriff "Hipster" ist völlig überladen mit Bedeutung, er ist zur lebendigen Phrase erstarrt. Egal, wie wir uns also in Zukunft beschimpfen: Lasst uns wenigstens dieses Wort endlich streichen.

Text: jan-stremmel - Illustration: Daniela Rudolf

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