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Das Rap-Rezept

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Was haben Jan Böhmermann und das Polish National Radio Symphony Orchestra gemeinsam? Sie haben gerade Youtube-Hits gelandet, und zwar mit etwas, das nicht ihr Kerngeschäft ist: mit Hip Hop.
 
Jan Böhmermann veröffentlichte vor eineinhalb Wochen seine „Deutsche Rapgeschichte“. Das 11-Minuten-Video, in dem er und Dendemann sich nach Vorbild von Jimmy Fallon und Justin Timberlake () durch die deutsche Sprechgesangshistorie arbeiten, haben bislang mehr als 1,1 Millionen Menschen gesehen. Böhmermann war wieder in aller Facebook-Timelines. Das polnische Orchester streicht und bläst sich ebenfalls durch die Meilensteine des Genres und wird dafür seit ein paar Tagen bejubelt, durch die Blogosphäre gereicht und geteilt.

http://www.youtube.com/watch?v=iKsa41Ly1m8

http://www.youtube.com/watch?v=_3QH7_0JV38

Bitte nicht falsch verstehen, das soll jetzt nicht nach Meckern und Mäkeln klingen. Aber: Eigentlich ist dieser Erfolg doch verwunderlich. Nicht, weil es an der Qualität was zu beanstanden gäbe. Das Orchester spielt exakt und professionell, J Bizzy, wie sich Böhmermann als Rapper nennt, ist besser als mancher MC, der das Rappen seinen Beruf nennt. Aber trotzdem: Warum so ein Begeisterungssturm, wenn ein Moderator und ein klassisches Orchester ein paar Handvoll Rap-Hits der vergangenen Jahrzehnte aneinanderreihen? Warum waren auch Fallon und Timberlake mit ihrer Rap-History so erfolgreich, dass sie der Erstausgabe fünf weitere Auftritte folgen ließen?
 
Für den ersten Teil der Antwort muss man auf die Reaktionen der Zuschauer achten. Auf die Schreie und den Applaus, die zuverlässig genau dann erklingen, wenn die Musik gerade von einem Lied ins nächste gewechselt hat und das Publikum den Song erkennt. Die Menschen freuen sich dann, weil sie eine Überraschung erleben. Weil die Spannung, welcher Track als nächstes kommt, sich auflöst. Man kennt das Gefühl aus dem Club: Auch da jubeln wir, wenn der DJ beim Übergang von einem Lied ins nächste den Crossfader ganz auf die Seite der neuen Platte schiebt. Je bekannter und beliebter der Song, desto größer der Jubel, wenn er für die Feiernden klar erkennbar wird. Die Medleys reihen solche Freudenmomente in kurzen Abständen aneinander: Das Orchester presst 29 Songs in acht Minuten, Böhmermann schafft 35 in elf Minuten – die Videos sind ein Schnellfeuergewehr für Songerkennungs-Endorphine.

Wir wollen keine rückwärtsgewandten Oldtimertypen sein - warum teilen wir es dann trotzdem?

Der zweite Teil der Antwort hat etwas mit Nostalgie zu tun. Mit der ist es ja immer etwas kompliziert. An die gutenZeiten von früher denken wir alle gerne – einerseits. Andererseits wollen wir keine rückwärtsgewandten, hängengebliebenen Oldtimertypen sein, die sich nur an das krallen, was vor zehn Jahren geil war. Bei Nostalgie kommt es also sehr auf die Dosierung und die Haltung an. Und beides stimmt bei Böhmermann, Fallon und dem Symphonieorchester bis ins letzte Detail. Die einzelnen Songs werden gerade lange genug angespielt, dass man sie erkennen und sich freuen kann. Ehe man merkt, dass „Susanne zur Freiheit“ vielleicht doch nicht der klügste Track aller Zeiten war, fährt schon der Beat von Afrobs „Reimemonster“ rein. Und ehe man sich erinnert, dass die Massiven Töne nicht nur die Urheber von „Unterschied“ sind, sondern auch die von „Wir Cruisen“, hört man schon die 5 Sterne Deluxe. Vielleicht noch wichtiger: Man muss eben nicht die alten Songs noch mal in ihrer Originalversion hören. Man bekommt sie in neuem Gewand serviert, von einem klassischen Orchester oder eben diesem Moderator, den cool zu finden gerade sowieso zum guten Ton gehört.
 
Dabei teilen wir nicht jedes Video, das uns erheitert, glücklich macht oder sonst irgendwie bewegt. Wir teilen ein Video, wenn es uns vor unseren Freunden gut aussehen lässt. Wenn es jemandem, der den Post in seine Timeline gespült bekommt, zeigt, dass wir Humor und Geschmack haben. Und genau das schaffen diese Rap-Medleys vorbildlich. Sie lassen uns als Rap-Kenner erscheinen, die es zu würdigen wissen, dass jemand diese Meilensteine der Popkultur so trefflich geremixt hat. Trefflich heißt dabei auch: in einer Art, die klar macht, dass das alles nicht hundertprozentig ernst oder gar dogmatisch gemeint ist. Und das hat vor allem einen Grund: Selbstdarstellung.

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