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Bevor du ins Gras scheißt

Text: matesino

Bei „Wer wird Millionär“ würde ich es niemals zur Million schaffen. Wahrscheinlich nicht mal bis zur 1000-Euro-Frage. Das liegt an meinem Umgang mit deutschen Redewendungen. Der ist, wie soll ich es am besten ausdrücken ohne über die Klinke zu springen: etwas ganz besonderes.



Regelmäßig sage ich Sachen wie, „Der hat keine Haare auf der Zunge“, „Da liegt der springende Punkt begraben“ oder, „Das holt doch keinen aus dem Ofen.“ Punkt. Das „hervor“ vergesse ich, ohne es zu bemerken.



Für mich klingt das vollkommen plausibel. Wer auf den Zähnen seine Haare stutzt, rasiert die Zunge gleich mit. Damit der springende Punkt still bleibt, wird er in der Erde verbuddelt. Und im Ofen macht man es sich gern bequem, da ist es schön gemütlich und warm, wer kommt da schon freiwillig hervor?



Was will man überhaupt dahinter? Da ist doch die Wand. Und kein Platz, um sich zu verstecken. Es sei denn, man ist ein gelutschter Frosch. Oder Dorsch. Oder recht forsch.



Keine Ahnung, aber wenn ich vor einer schwierigen Aufgabe stehe, ist das für mich zum „Läuse lecken“ und auch absolut logisch so. Es macht Sinn. Denn ist es nicht viel schwieriger eine Laus zu lecken, als eine Maus zu melken?



Die „Made im Speck“ ist für mich die „Renate im Speckmantel“. Eine angesagte Performance-Künstlerin, die sich mit frischen Schweineschwarten kleidet, um den Menschen die Absurdität, tote Tiere als Mantel zu tragen, vor Augen zu dirigieren.



Beim Barte des Proleten, Freunde. Deutsche Redewendungen und Sprichwörter sind für mich böhmische Bahnhöfe und potemkinsche Dörfer. Ich habe sie nicht mit der Muttermilch aufgezogen, ich wurde auf kroatisch gestählt, daraus wird nie ein fitter Turnschuh für mich.



Sicher ist dieser Text für euch jetzt zum Hals umdrehen und euer Hund wird in der Pfanne verrückt. Aber vielleicht bleibt ja auch kein Stein auf dem Trockenen, weil sie allesamt im Bad ausgeschüttet werden. Zusammen mit dem Baby.



Schwierig wird es ernst, wenn ich auf andere Sprachfaschisten treffe und in ihrer Gegenwart über allerlei linguistische Fetttreppchen, beziehungsweise Treppfettchen stolpere. Unter ihnen fühle ich mich wie ein Top-Model unter Normalos. Hübsch, aber dumm.



Neulich, als ein befreundeter Poet erzählte, seine Heizung gehe nicht, riet ich ihm, doch einfach den Heizungssanitäter zu rufen. „Und der verpasst ihr dann eine Mund zur Rohrbeatmung und massiert ihr Thermostat, um sie vor weiteren Heizrhythmusstörungen zu bewahren, oder was?“ zog er mich aus.



Da war ich so sauer auf den Typ, dass ich ihn rau aus dem Fenster werfen wollte. Aber ich hatte Angst, dass er nach dem Sturz kreuzschlitzgelähmt bleibe. Da hätte ihn auch ein Rettungsfachmann für Knochen, Muskeln und Organe nicht mehr gerade gebogen.



Solche Momente verunsichern mich ein wenig, dass ich mich eine Weile nicht traue, etwas auf meine Art zu sagen. Statt „Bellende Hunde beißt man nicht“, sage ich dann „Lass ihn in Ruhe“, anstelle von „Das kannst du nicht alles über eine Schere kämmen, sage ich, „Hör auf zu pauschalisieren“ und obwohl mir ein„ Du hast mit dem Nagel den Kopf getroffen“, im Kopf herum spuckt, kommt lediglich ein „richtig“ aus meinem Mund.



Dabei ist das doch das Schöne an Sprache. Man kann sie biegen und brechen, ihren Inhalt zerstückeln, die Syntax zerfetzen. Und wenn alles in Trümmern liegt, lässt man sie einfach von Gastarbeitern neu zusammen bauen. Wie Lego. Und etwas Neues entsteht. Jeder auf seine Art trägt etwas dazu bei. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dem Lachen sowieso nicht. Und das ist auch gut so.



Wenn ich also eines Tages vor Günther Jauch sitze und er mich fragt, „Welches Verb folgt auf die Redewendung „Salz in die offene Wunde … A: streuen, B: streunen, C: streuseln oder D: pfeffern?“, werde ich ohne zu zögern „D“ sagen, weil „D“ für mich vollkommen plausibel und absolut logisch ist. Es macht Sinn. Sprachlich, poetisch, kreativ. Ich pfeffere dir Salz in deine offene Wunde, damit sie schön würzig bleibt. Punkt.



Dass ich auf diese Art die Million verpasse, macht die Ente auch nicht dick. Auch ohne Gold lässt sich ein glänzendes Leben führen. Hauptsache ist doch, man bleibt sich stets treu, bevor man am Ende ins Gras scheißt.




Eine bebilderte Redewendung aus der Geschichte findet ihr hier

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