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Der Bonus-Track der Reise

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Es klang eigentlich wie die Hölle: 18 Stunden Zwischenstopp. Davor ein Flug so lang wie ein Arbeitstag, danach noch mal das gleiche, aber mit Überstunden. Sydney – Peking – München. Ich hatte echt Angst vor diesem Trip. Verfluchte mich selbst dafür, dass ich diese langwierige Variante gebucht hatte, weil ich so ein paar Euro sparen konnte. Danach dachte ich: Ein langer Zwischenstopp ist etwas wahnsinnig Tolles.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zwischenlandung! Geil!

Wir landeten im Morgengrauen und gingen in einen Park, in dem vor allem ältere Chinesen die absurdesten Formen von Frühsport betrieben, von Tangokursen bis zu einer Art Hackysack mit Federn. Wir aßen eine Pekingente. Wir überlegten kurz, einen Skorpion zu essen. Wir liefen durch die Verbotene Stadt und über den Platz des himmlischen Friedens. Wir sahen von einem Tempelberg die Sonne im Smog versinken. Wir drängelten uns in der Rushhour durch die U-Bahn und versuchten vergeblich, dem Taxifahrer zu erklären, dass wir gerne zu einem Geschäft fahren würden, in dem es diese coolen chinesischen Turnschuhe gibt.

All das ist eh schon spannend. Noch viel spannender ist es aber, wenn man einen Tag vorher noch in Sydney am Strand war und weiß, dass man morgen zu Hause ein Schnitzel in der Stammkneipe essen wird. Der Zwischenstopp verdoppelt den Kulturschock. Er lässt einen gleich zwei Mal auf nur einer Reise den Moment erleben, der das Reisen so toll macht: Irgendwo aus einem Flughafengebäude zu treten und zu spüren, in einer völlig anderen Welt zu sein. Einer Welt, die anders klingt, anders riecht 15 Grad wärmer oder kälter ist und anders aussieht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Das Beste am Zwischenstopp ist aber die besondere Erwartungshaltung, mit der man diesem Ort begegnet. Man ist so kurz da, dass der Druck, irgendwas gesehen oder gemacht haben zu müssen, gar nicht erst aufkommen kann. Man muss kein schlechtes Gewissen haben, weil man in Paris nicht im Louvre war oder in Amsterdam nicht im Coffee Shop. Man muss nirgends hin – denn streng genommen wollte man nie da sein.

Deshalb kann ein Zwischenstopp auch gar nicht wirklich schlimm werden. Man hat ihn sich nicht ausgesucht, also erwartet man auch nichts davon. Er ist wie der Bonustrack auf einem Album: Der hört sich auch von vornherein besser an, weil man überrascht wird und sich so freut, dass da überhaupt noch was kommt.

Der Zwischenstopp ist wie eine Gutenachtgeschichte, die kleine Kinder darüber hinwegtröstet, dass der Tag vorbei ist

In Peking irrten wir abends eine Weile einfach durch die Gegend – Teil zwei der Turnschuhladensuche. Sie blieb weiterhin erfolglos, führte uns aber zufällig auf einen Markt in einer kleinen Seitenstraße, wo Menschen Körperteile von Tieren aßen, über deren Herkunft ich lieber im Unklaren bleiben wollte. Das konnte nur passieren, weil wir uns auf Peking nicht vorbereitet hatten. Weil wir uns treiben ließen. Und das ist ein weiterer angenehmer Wesenszug des Zwischenstopps: Man plant ihn nicht. Hat keinen Reiseführer gekauft, keine Restaurantkritiken ausgecheckt, keine Routen gegoogelt – lohnt sich ja eh alles nicht. Der Plan für den Tag entsteht nach der Landung, mit Hilfe einer Karte von der Touristeninfo, Herumfragen und spontanem Bauchgefühl. Und das ist oft besser als den Rundgang aus dem Lonely Planet abzuklappern.

Der Zwischenstopp löst noch ein Grundproblem des Prinzips Urlaub. Er reißt einem die Scheuklappen herunter. Das Urlaubsziel wählt man nach Vorlieben und Interessen. Ich brauche für meinen Urlaub eine Küste mit Wellen, also fliege ich nicht in eine Stadt in der Wüste. Wer sich gerne antike Säulen anschaut, reist nicht nach New York. Man schränkt sich freiwillig ein, weil die Urlaubszeit begrenzt ist und man sie mit etwas verbringen möchte, das man echt gerne tut. Alles andere wird ausgeblendet. Bei einem Zwischenstopp ist dieser Filter ausgeschaltet. Wo wir landen, bestimmt keine unserer Neigungen, sondern ein Vorschlag der Flüge-Suchmaschine im Netz. Hätte eine dieser Suchmaschinen mir nicht mal sieben Stunden Aufenthalt in Atlanta verschrieben, hätte ich mir nie das Geburtshaus von Martin Luther King angeschaut und einen halben Tag damit verbracht, in einem Museum durch sein Leben zu wandeln. Ich wusste vorher nicht mal, dass King aus Atlanta stammte.

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Liegt der Zwischenstopp auf der Rückreise, hat er einen besonderen Zauber. Er zögert das Ende des Urlaubs – und den Beginn des Alltags – noch ein bisschen hinaus. Die Melancholie, die sich spätestens einstellt, wenn man beginnt, seine Koffer für die Heimreise zu packen, wird noch einmal unterbrochen. Der Zwischenstopp ist wie eine Gutenachtgeschichte, die kleine Kinder darüber hinwegtröstet, dass der Tag vorbei ist und man jetzt schlafen muss. Er ist wie die Continue-Taste, die man bei manchen Computerspielen drücken kann, damit man noch ein bisschen weiterspielen darf, wenn man alle Leben verloren hat.

Wenn ich das nächste Mal einen Langstreckenflug buche, werde ich wieder die Variante wählen, die eine solche Continue-Taste beinhaltet. Vielleicht sogar, wenn es ein bisschen teurer ist.


Text: christian-helten - Foto: dipso/photocase.de

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