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Katzen und Blitze und Killer aus Lego

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Nach einer guten Stunde ist die Aufmerksamkeit weg. Weggespült von dieser Flut an Bildern, Schnitten, Sounds. Katzen und Blitze und Skater und Killer aus Lego. Zu viele Ideen, zu viele Geschichten. Einerseits ist es gut, dass einen das so sehr überwältigt. Andererseits ist es schade, dass man deswegen irgendwann abschaltet.  

Denn die Webvideos, die hier „in Full HD und Dolby“ vor der Bühne 6 der Berliner Netzkonferenz re-publica gezeigt werden, sind die besten ihrer Art. „Es soll wie ein kleines Filmfestival sein“, sagt Markus Hündgen, Geschäftsführer des Webvideo-Preises. Also schaut man hier alle in diesem Jahr nominierten Clips hintereinander. Banal ausgedrückt bedeutet das: zwei Stunden Youtube-Binge-Watching. Nach diesem Abend gehen die Filme auf Kinotour nach Köln, Hamburg und München. 

Gesponsert wird die Tour von MLP, dem Finanzdienstleister. Dessen Vertreter erklärt: „Wir haben viel mit jungen Menschen zu tun. Deswegen sind wir hier.“ Auch der schwächelnde Internet-Pionier Yahoo schickt jemanden im Kapuzenpulli. Yahoo ist nämlich seit Kurzem ebenfalls mit selbst produzierten Videos präsent, pardon, „mit einer großen Video-Strategie am Start“. Die Film- und Medienstiftung NRW ist Schirmherr. Youtube, das bedeutet inzwischen auch Geld und Prestige. Aber jetzt los, keine Zeit mehr verlieren. Immerhin werden jeweils drei Nominierte in 19 Kategorien gezeigt. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der rote Faden: unernste Zitate und hintergründige Witze.

Den Anfang macht die Kategorie „Arthouse“ mit einem leicht sinnlosen, aber irgendwie auch schönen Film: Ein Techniker versucht sein Glück an zwei Türen, gerät in eine Schleife, rennt rein und raus, es wird dadaistisch. Dann eine Lego-Stop-Motion-Animation, die zum Splatter-Film mutiert. Es folgt eine Satire über Prokrastination, den Luxus-Lapsus der Generation Internet, die alles immer vor sich herschiebt. Dann: eine kurze Tour durch die Menschheitsgeschichte als Infografik. Dann: ein leicht hyperaktiv moderierter, aber stilsicherer Exkurs durch die musikalische Genetik des Hiphop, der in ein Musikvideo mündet. Dann: die gezeichnete Nacherzählung des Mauerfalls (Grenzsoldaten sagen: „Ist die Grenze jetzt offen? Whatthefuck!?"). 

Es ist nur wenig Publikum da, weil die Abendsonne scheint und die meisten beim Bier im Innenhof sitzen. Drei Studentinnen (Medien) sind zufällig vorbeigekommen. Sie diskutieren, welcher Youtube-Star eine gute Figur macht, und kichern über gelungene Gags. Sie sehen liebevoll produzierte, superschnell geschnittene Clips von nie mehr als ein paar Minuten Länge. Und Terrabyte voll Ironie. Wie ein geheimer Code durchziehen das nie ernst gemeinte Zitieren und Referieren und der hintergründige Witz alle Videos. Es ist dieser schnelle, intelligente Humor, für den man Kontextwissen und Denkbereitschaft braucht, der im Fernsehen fast keinen Platz hat. Ob im Publikum auch Fernsehschaffende sitzen? Und wenn ja, ob sie sich so alt, langweilig und trocken fühlen, wie das Fernsehprogramm gegen diesen Kreativitätstsunami aussieht? Was haben früher eigentlich „junge Leute“ gemacht, die Lust hatten, Bilder in die Welt zu schicken?  

Die Frage ist: Wer braucht alle drei Sekunden eine Pointe? Und gleich noch eine?


Nicht alle Clips sind gelungen. Manche verlieren sich in Nerdtum oder technischen Spielereien. Die Kategorie „Gaming“ zum Beispiel gerät arg selbstreferenziell, wenn persifliert wird, was die Mutter vom Daddeln hält (nichts). In der Kategorie „Comedy“ regiert der Flachwitz, wenn ausgerechnet Friedrich Lichtensteins „Supergeil“ und andere Werbespots parodiert werden: „Parshit – denn Singles haben viel Geld“. Und wer braucht alle drei Sekunden eine Pointe? Noch eine? Und noch eine? 

Aber: In ein paar Dutzend Sekunden Do-it-yourself-Erklärung des Dubsteps von „theclavinova“ steckt mehr Musik und Gefühl für Musik als in zwanzig Stunden Arte-Doku. Sehr spezielles Thema, klar, aber in dieser Form packt es einen. In der Kategorie „Special Effects“ leuchten liebevolle visuelle Spielereien heller als jeder Hollywood-Zauber. Und die Musikvideos sind spannender als alles, was noch läuft auf den siechenden Musiksendern. Zum Song „Barfuß am Klavier“ (Video: Martin Lamberty) sitzt Henning May von der Kölner Band AnnenMayKantereit im Abendlicht am Klavier auf der Straße. In einem Take aufgenommen singt er sein Lied. Mehr nicht. Das ist einfach, mutig, echt. Worte, die das Fernsehen gerne verwendet, um die Hüllen, die es als Inhalt verkauft, aufzuwerten. Und die man deswegen schon gar nicht mehr verwenden will. Aber sogar „authentisch“, die leerste Phrase der Medienwelt, wird von den Webvideos wieder brauchbar gemacht. Allein dafür muss man ihnen dankbar sein.  

Sie sind zu viel, diese zwei Stunden. Aber wie gut tut dieser Überfluss an eigenwilligen Bildern und Geschichten auch! Eine kreative Stoßlüftung für das Hirn. Und zum Glück kann man sich ja alles noch mal in Ruhe auf Youtube anschauen. 

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