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Teilt die Kummerkästen auf!

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Und dann weinte M.! Nur kurz – kleine, verzagte Schluchzer. Aber die schüttelten sie trotzdem ganz schön. Ein langes Stück Asche löste sich von ihrer heruntergebrannten Zigarette, an der sie noch kaum gezogen hatte, und fiel ihr auf den Schuh. Um den Balkon herum war Nacht und Ms Stimme hallte im Innenhof. Sie fragte: „Was würdest du denn an meiner Stelle tun?!“ Und dann schluchzte sie noch mal. Und ich würde jetzt nicht sagen, dass ich darauf gelogen habe. Aber direkt die Wahrheit gesagt habe ich eher auch nicht. Wie auch?! Die Wahrheit hätte gelautet: „Renn’! Schnell und weit, so lange du noch jung bist und die Kraft hast!“

Drei Stunden vorher, selber Balkon, selbes Thema, anderer Mensch: T. ist mit M. seit ungefähr zwei Jahren zusammen. Aber nicht so euphorisch. Emotional mehr Peripherie. Man merkt das zum Beispiel daran, dass er aus seiner kleinen Wohnung in absehbarer Zeit raus muss und deshalb gerade eine neue sucht. Lieber noch mal für sich alleine. Man merkt es auch daran, dass er wieder jedes Wochenende feiern gehen will. Nicht immer lieber für sich alleine. Aber manchmal schon. Unter anderem deshalb hatten die beiden sich vor ein paar Wochen zwischenzeitlich getrennt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zwei Menschen, die sich einen Kummerkasten teilen - funktioniert leider selten. Vor allem nicht, wenn die beiden ein Paar sind.

Deshalb, und wegen des großen Wortes „Perspektive“. M. hätte gerne irgendwann Kinder. T. wahrscheinlich auch. Aber eher noch nicht gleich und eine – da ist es – Perspektive, wann stattdessen, will er auch lieber nicht geben. Jetzt sind sie trotzdem wieder zusammen. „Ich schaue mir das jetzt eben noch mal an“, hatte T. gesagt, und zwar mit der Herzenswärme, mit der Menschen sonst über die Umsatzsteuervoranmeldung reden.

Die Verwendung von Insiderinformationen ist bei Börsenspekulationen eine Straftat. Das sollte auch bei Paarberatungen gelten.

Ich wusste das also alles und deshalb wusste ich nicht, was ich M. sagen sollte. Weil ich die wahre Antwort auf ihre Frage kannte, konnte ich ihr nicht antworten. T. hatte gemahnt: „Das muss aber unter uns bleiben“. „Das darfst du ihm aber bitte nie erzählen“, hatte auch M. gefleht. Ich war zum Kummerkasten geworden, in den beide Beziehungsparteien ihre stille Post geworfen hatten. Und das ist falsch. Man darf seine Freunde nicht in diese Position bringen. Wissen verpflichtet. Wer zu viel von beiden Konfliktparteien weiß, wird zum Diener zweier Herren. Wenn die Solidarität paritätisch verteilt ist. Oder zum Spion von einem. Wenn sie es nicht ist. Beides ist Mist. Herrschaftswissen ist gefährlich. Es gehört in den Kosmos der Geheimdienste. Nicht in soziale Beziehungen.

Deshalb müssen Paare ihre Sorgenkübel aufteilen. Haarklein und, falls es Grauzonen gibt, auch explizit. Die Dings kriegt den X und der Bumms die Y! Punkt. Bei Börsenspekulationen Insiderinformationen zu verwenden, ist in Deutschland eine Straftat. Das sollte auch für freundschaftliche Paarberatung gelten. Wer von einer Seite entscheidende Einblicke in ein Beziehungssystem hat, der darf auf der anderen nicht mehr eingreifen.

Was ich M. gesagt habe? „Ich glaube, ihr habt ein paar Themen, über die sich jeder von euch für sich klar werden muss.“ Das ist in seiner Erkenntniswucht ungefähr auf dem Niveau von „Morgen wird es Wetter geben“ oder „Wahrscheinlich ist vor Sterzing Stau“. Eine Aussage, die die Luft kaum wert ist, die für sie veratmet wurde. Selbst schuld!


Text: elias-steffensen - Illustration: daniela-rudolf

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