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An einem einzigen Tag

Text: EinfachLara
The Verve haben den Nagel auf den Kopf getroffen - "cause it's a bittersweet symphony, this life". Manchmal bin ich schier überwältigt davon, was alles innerhalb eines einzigen Tages geschehen kann. 24 Stunden. 1.440 Minuten. Immerhin 86.400 Sekunden. Das klingt wenigstens nicht so pseudo harmlos wie "ein Tag". Ich meine, das klingt doch nach nix. Der Grad der Gefahr, der gefühlt hiervon ausgestrahlt wird, ist etwa gleichwertig mit einem rotbäckigen 4-jährigen Mädchen, das gerade dabei ist Gänseblümchen zu pflücken.



Leben, manchmal frag ich mich, ob dir irgendwie in den letzten 3 Jahren langweilig geworden ist und du beschlossen hast, nur noch besoffen zu spielen. Looping Louie statt Schach. Nix mehr mit Logik und Überlegen und schlauen Spielzügen, die sich letztlich auszahlen. Nee, nee. Jetzt ist Anarchie und Achterbahn angesagt. Zugegeben, zu meinem Leben im Speziellen passt dieses Spiel ohnehin besser. Von Logik hab ich ja noch nie viel gehalten, aber ein wenig Meinungsvielfalt wäre eventuell zuträglich gewesen....



Der Moment, in dem Menschen in dein Leben treten, der tarnt sich manchmal auch als die kleine Blumen Uschi. Die Tür zu deinem Leben öffnet sich ganz unspektakulär. Kein Quietschen der Scharniere, kein eingeschlagenes Glas, keine Holzsplitter, die dir berstend entgegenfliegen. Wenn die Tür nebensächlich pfeifen könnte, dann würde sie das in diesen Momenten tun. So was ganz unauffälliges. Alle meine Entchen oder so. Geht dabei langsam Stück für Stück auf, immer mehr, immer mehr und eh du dich versiehst - sperrangelweit offen, die kleine hinterlistige Schlange. Und dann spaziert da jemand durch. Mindestens genauso abgeklärt wie die pfeifende Tür. Zack, drin. Lüpft den Hut, sagt "n'abend" und durchquert deine Welt. Einmal mitten durch. Auf dieser Reise hinterlässt er seine Fußspuren auf deiner Erde. Streichelt deine Seele. Kippt eimerweise Farbe auf weiße Wände. Zündet Feuer, die sofort in lodernde Flammen umschlagen, an denen du dich wärmen kannst. Baut Floße, schmeißt sich auf ihnen in deine Blutbahn. Fährt bis in jede Faser deines Körpers. Nimmt dich mit, zeigt dir unerkannte Orte und stürzt sich laut lachend mit dir den Wasserfall herab.



Schlussendlich streut er einen Samen in deine Erde und züchtet eine kostbare Pflanze. Eine, von der du dachtest, dass sie in deiner Fauna und Flora gänzlich ausgestorben sei. "Vertrauen" heißt die. Züchtet sie liebevoll mit täglicher Gabe von Aufmerksamkeit in Form von Anrufen und unzähligen Nachrichten. Nährt sie mit sich aufrichtig anhörenden liebevollen Worten. Stützt sie mit einem dicken Stamm aus Humor und Authentizität. Besprüht sie mit Offenbarungen seiner selbst und dem Öffnen der Tür zu seinem Leben. Trägt dich quasi eigenhändig mitten rein. Zwingt dich die wachsende Pflanze wahrzunehmen. Dich mit ihr auseinanderzusetzen. So lange, so ausdauernd und sorgfältig bis du keine Bedenken mehr hast. Du sie mehrmals umrundet hast, angeschubst und ihre Belastbarkeit getestet hast. Gemerkt hast, dass ja - sie immernoch steht. Und du beschließt, dass sie wohl diesmal wirklich gekommen ist, um zu bleiben. Du jetzt endlich auch hochklettern und die Welt von den Wolken aus sehen kannst. Und dann umfasst du den Stamm. Setzt einen Fuß auf, greifst nach dem ersten Ast. Er hält. Vorsichtig ziehst du den Fuß nach. Hält immernoch. Also geht es weiter hoch. Es ist furchteinflößend, es ist gefährlich und es ist schwer. Oh, es ist aber auch so aufregend, euphorisierend und zauberhaft. Und mit jedem neuen Meter überwiegt letzteres, bis du die Gefahr nicht mehr siehst. Und dann. Dann knickt dein Ast. Der Stamm fängt an zu bröckeln, so als habe es urplötzlich ein Erdbeben der Stufe 10 gegeben. Dein Baum löst sich von jetzt auf gleich auf. Und du fällst. An einem einzigen Tag.



Dann liegst du da. Nicht gestorben, so viel steht schonmal fest. Sonst würde man ja auch nicht merken wie Scheisse weh das tut. Checkst deine einzelnen Körperteile durch und stellst fest - nix irreversibles. Sogar nicht mal was gebrochen. Herz ist zwar n elender Jammerlappen (schon immer so ne kleine Heulsuse gewesen), aber man kennt die Masche ja schon - das tut immer so als würde die Welt untergehen und wenn man nur die Hälfte der Schadensmeldung glaubt, dann ist es wahrscheinlich trotzdem noch übertrieben.



Also stehst du auf. Inmitten der einzelnen Äste, der Trümmer des Baums. Machst dich an die Arbeit - hilft ja alles nix. Sammelst Ast für Ast, Rinde für Rinde, bis du im Prinzip den kompletten Baukasten für dieses Vertrauenszeug wieder hast. Ja gut. Ich mein, nur weil ich hypothetisch weiß wie man das wieder aufbaut, heißt das leider nicht, dass ich das allein kann. Aber das macht nichts. Es ist nicht schlimm. Ich kann mich ja auf meine Tür verlassen, dass sie sich unweigerlich wieder öffnen und mir jemanden in mein Leben schmeißen wird. Ich lass das Zeug für den Moment mal hier liegen. Gerade brauche ich es ja nicht.



Ich lauf durch mein Leben und betrachte die Spuren im

Boden, die er hinterlassen hat. Wenn man ganz lang davor steht, kann man fast beobachten wie sie in Zeitlupe verblassen. An der ein oder anderen Stelle haben sie ein hübsches Muster in meine Erde gemalt. Ich denke, dort werd ich sie vielleicht mit Beton ausgießen und behalten - es gefällt mir jetzt besser als vorher. Die ehemals weißen Wände bringe ich jedoch in ihren Ausgangszustand. Ich brauche den Platz für neue Farben.



Und manchmal - manchmal ist es eben auch umgekehrt. Da bin ich einfach nur unendlich verzaubert davon was nicht alles innerhalb eines einzigen Tages geschehen kann. 24 Stunden. 1.440 Minuten. 86.400 Sekunden. Von denen schon eine einzige das Blatt wieder wenden kann. Die Uhr sprang von 19:58 auf 19:59 in dem Moment, in dem meine Tür mir ein neues Geschenk gemacht hat. Und wenn ich mir jetzt meine Wände anschaue, trete ich einen Schritt zurück. Kann gar nicht fassen wie es hier aussieht...Aber gut. Ich weiß ja um die Kraft jeder einzelnen Sekunde - so gesehen dürfte es mich eigentlich nicht verwundern wie schnell manches geht. Und vergeht. Ich glaub, ich mag das. Für den Moment. Und ich lache wieder. Nicht nur an einem einzigen Tag.




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