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Freiheitskrampf

Foto: blanche_neige_photography / photocase.de

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Es war ein sehr schizophrener Nachmittag. Mein Freund und ich hatten uns wirklich die gleiche Regenjacke gekauft und ich hatte diese Entscheidung einerseits wild befeuert („Kack doch drauf, was die Leute denken, ich hab überhaupt kein Bock an so was zu denken, ist doch ne voll geile Jacke!“) und andererseits strengstens verboten („„Das darf man nicht!“, „Jetzt ist alles vorbei!“, „Jetzt sind wir eins von diesen Paaren!“, „Das geht wirklich zu weit!“, „Das kann ich nicht vertreten!“, „So ein Leben will ich nicht leben!“). Jedenfalls hatten wir sie schließlich gekauft und geschworen, drauf zu scheißen. Aber eine Stimme tief in mir drinnen hörte nicht auf, mich als bequem gewordene Pärchenspießerin zu beschimpfen.

Weil: Es herrscht ja so eine Art Spottpflicht über Paare, die zu sehr Paar sind. Die gleich nach drei Monaten Verknalltheit zusammenziehen, fortan in einem großen Bett mit einer großen Bettdecke schlafen, die Tapete rosafarben, weil sie es süß fand und er sich ergeben musste. Zwei Leselampen, für jeden eine, immerhin, die aber doch meist gemeinsam ausgeschaltet werden, weil einer müde ist und Ruhe braucht. Paare, die die gleiche Regenjacke kaufen, weil es bequem ist. Einmal in den Laden, mit zwei Jacken wieder rauskommen – praktisch! Oder auch: Widerlich! Ich reihe mich bei dem Spott über solche Paare immer gern ein. Weil ich den Gedanken furchterregend finde, dass aus zwei vorher so interessant eigensinnigen Menschen innerhalb kürzester Zeit ein einziger, halbgarer Kompromiss wird.

So weit, so schön schwarz-weiß. Am besten funktioniert dieser Pärchenspott, wenn man Single ist. Problematisch wird es, wenn man irgendwann selbst in einer Beziehung ist, in der alles ein bisschen verschmilzt und man das sogar genießt. So erging es mir eines Tages. Plötzlich konnte ich all die postmodernen Cool-Single-Sätze meiner Discoschorlenvergangenheit nicht mehr glaubwürdig vortragen („Monogamie ist doch eh ein überkommenes Konzept“, „Nur Feiglinge und Schönfärber glauben an die ewige Liebe“). Jemanden zu haben, mit dem man durchs Leben gehen kann, ist vielleicht das Beste der Welt, ahnte ich. Aus, Ende, Punkt. Niemand will für immer einsam sein. Jeder will exklusiv geliebt werden, und wer was anderes sagt, lügt.

Eine Beziehung kann man natürlich auch maximal unbeziehungsmäßig führen – indem man zum Beispiel nicht sofort zusammenzieht (vielleicht auch nie), weiterhin getrennt in den Urlaub fährt, weiterhin eigene Freundeskreise behält, die man auch ohne den Partner aufsucht undsoweiter. War immer mein oberstes Ziel. Hauptsache ein eigener Mensch bleiben (was auch immer das überhaupt heißen soll). Nun bleiben ja gewisse Synchronisationsbedürfnisse auch in der solomäßig inszeniertesten Beziehung nicht aus, wenn man sie ernst nimmt. Man schafft sich früher oder später vielleicht ein gemeinsames Konto an, weil es praktischer ist beim Einkaufen oder beim Essengehen. Man richtet sich einen gemeinsamen Kalender für gemeinsame Termine ein, neben dem jeweils eigenen natürlich, weil es praktischer ist für die gesamte Alltagskoordination. Und weil man sich so mag und soviel teilt, interessiert man sich immer öfter für dieselben Dinge. Mag dieselben Regenjacke, denselben Duft, dieselbe Lampe, dieselben Klamottenmarken.

Bei jedem einzelnen dieser Schritte, Kompromisse, oder nennen wir sie schlicht: Entscheidungen, sei es das Konto, der Kalender oder dieselbe Lampe, hatte ich diese beknackte Angst im Bauch: Werde ich jetzt zu einem Pärchenwaschlappen? Was denken die anderen, wenn ich sage, dass ich erstmal in „unseren“ Kalender schauen muss? Was denke ich von mir selbst? Ich will doch cool sein. Für mich selbst stehen. Unabhängig sein. Und gleichzeitig war mir, wenn ich ganz ehrlich war, gar nicht so unwohl bei all den Gemeinsamkeiten. Ich wollte sie ja. Sie machten mein Leben einfacher. Und ich fühlte mich ganz und gar nicht, als ich hätte ich durch sie einen Teil von mir aufgeben müssen.

Nach der Sache mit den Regenjacken wurde mir dann endgültig klar: Nicht, dass man auf die gleichen Sachen steht oder einige praktische Kompromisse in einer Beziehung schließt, macht einen spießig. Spießig macht es einen, nicht mehr das zu tun, womit man sich wohlfühlt, sondern das, was einen nach außen hin cool aussehen lässt. Einen Dreivierteltag lang darüber nachzugrübeln, was jemand über einen denkt, aufgrund der Regenjacke, die man trägt, das ist spießig. Spießig ist die Angst.

Neulich war ich dann in der Stadt unterwegs und vor mir lief ein sehr cool aussehendes, sehr hübsches Paar, wahrscheinlich Ende 20. Sie trugen exakt dieselben Sneaker, sogar in derselben Farbe. Und ich dachte: Cooler Move. Wenn die das können, kann ich das auch.

Und dann fiel mir auf, dass ich schon wieder eine Erlaubnis von anderen gebraucht hatte, um mich nicht spießig zu fühlen. Und dann hatte ich es, ein für alle Mal kapiert: Es gibt nichts Spießigeres, als nicht spießig sein zu wollen.

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