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Ich verneige mich vor dem Leben und greife zu

Text: Kogato

(Manche Wahrheiten kann man vielleicht nur Papier anvertrauen. Aber wer hält das Schweigen des Blattes auf Dauer aus? Damit diese frische Empfindung erst wie Tinte trocknen kann, bevor ich mich verfrüht an andere damit wende, beschreibe ich dich, guter Zettel und ich weiß, dass du nicht die Gewohnheit hast, mich zu verurteilen. Aber lass dir gesagt sein: Selbst wenn du mich verurteilen könntest, würde ich mit einem Grinsen im Gesicht getrost darauf scheißen.)



Ich verneige mich vor dem Leben und greife zu



„Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen und du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren, nicht sein Feld, seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel, nichts, was deinem Nächsten gehört.“   (Aus dem Dekalog )



„Das ist das erste Mal, dass ich sehe, wie eine Frau einen Kerl antanzt und du reagierst nicht weil du eine Freundin hast, die nicht hier ist“  (Sergey, der Russe)



„Ich gehe eigentlich nicht los und mache Frauen an. Ich versuche schon treu zu bleiben.  Das ist so: Wenn es passiert, passiert es und dann sollte die Alte aber auch schon geiler sein als meine Freundin und meine Freundin ist richtig geil, alter!“( Armando, der albanische Knastbruder)



„Frauen sind da fast schon schlimmer. Schon sind wir aus dem Haus machen sie die Beine für den Nachbarn breit. Das ist bei verdammt nochmal JEDER so!“   (Harald, der weise Bauer)



Manche Männer würden einen Text solcher Art mit der Einleitung beginnen, sie hätten ihre Frau betrogen. Sie empfinden nun Reue und das schlechte Gewissen frisst das angespannte Gemüt auf. Vielleicht würden sie die Schuld auf den Alkohol schieben, der vernünftige Denkweisen vernebelte und dem Trieb freien Lauf gab. Ich möchte keines dergleichen tun. Ich möchte jemandem danken. Ich danke Gott und frage mich womit  ich die letzte Nacht verdient habe.  Ich habe meine Frau betrogen und die Lebensfreude überspült mein sonst so angespanntes Gemüt.



Es ist ungefähr kurz vor 1 Uhr als ich den Ballsaal betrete, ich fühle mich in meinem Anzug merkwürdig vollkommen und auch die schick gekleidete Gesellschaft um mich herum, sagt mir persönlich zu. Ich bin vielleicht 5 Minuten hier, da kommt die größte Schönheit, die ich je in meinem Leben sah, auf mich zu. Ich kenne sie von früher, habe sie in letzter Zeit selten gesehen doch in meinen Fantasien spielt sie schon seit geraumer Zeit stetig wiederkehrende Rollen, die immer der eigenen Stimulation ein rasches Ende bereiten. Sie ist in meinem Kopf schon so vollkommen idealisiert, dass ich mich mit dem Gedanken ihrer Unerreichbarkeit abgefunden hatte. Wir umarmen uns und ich nutze sofort die Gelegenheit um sie zu fragen, was sie trinken möchte. Sie hat bis Mitternacht gekellnert und könne nun kostenlos Sekt trinken. Daraufhin folge ich ihr auch schon in einen Raum, der für die Arbeitskräfte reserviert ist. Wir setzen uns an einen einsamen Tisch und stoßen an. Normalerweise traue ich niemals Sekt. Er schmeckt nach wenig und verursacht viel. Mit der begehrenswertesten Frau an der Seite, kann man seine Trinkgewohnheiten schon mal über Bord werfen.



Leute kommen und gehen doch letztendlich sind wir überwiegend allein. Sie ist heute anders. Die übliche Schüchternheit fehlt, ihre sonst so bedachten Äußerungen wandeln sich in anzügliche Bemerkungen. Man habe ihr geraten zu ihrem schwarzen Dress ein BH zu tragen, sie sei sich nicht sicher. Ich bin mir jetzt schon im Klaren darüber, dass ich alles dafür geben werde, ihr diesen BH später von ihrem Körper zu reißen.



 Ich frage nach ihrem langjährigen Verlobten. Er existiert noch in ihrem Leben, doch sie spricht mit einer latenten Verbitterung von ihm. Wir trinken und reden, rücken näher beisammen und meine Hand versucht so oft wie möglich ihr Bein zu streifen. Ich sage ihr, was ich an ihr besonders schätze, dass sie sicher wüsste wie wunderschön sie sei, dass jedoch niemanden spüren lasse. Ich bewunderte tatsächlich von jeher ihre fehlende Eitelkeit. Sie schaut mir tief in die Augen und meint, dass sie so etwas Schönes noch nie zu hören bekommen hätte. Ich bin mir nicht sicher ob sie übertreibt, oder alle Männer, die jemals ihr Glück bei dieser Schönheit versuchten, nicht den Hauch von Gespür dafür besaßen, was eine Frau zu hören bekommen möchte und sollte.



Sie muss auf Toilette und bittet mich darum nicht wegzugehen. Ich versichere ihr, dass ich keine Sekunde daran denken würde, den Platz an ihrer Seite zu verlassen. Ich verstehe die Welt nicht mehr und frage mich, wie ich in eine solch herrliche Situation geraten konnte. Für welche Tat ist dies die Belohnung? Oder ist dies eine Art Prüfung der Treue? Ich entschließe mich, die Idee der Treue für immer zu vergessen und das Leben zu genießen, wenn möglich ohne schlechtes Gewissen.  Ich prüfe mit ernster Miene mein Spiegelbild in den Fensterscheiben, die das Licht reflektieren. Ich sollte die Kontrolle bewahren. Diese Geschichte heute Nacht soll nur unter uns stattfinden, keine unnötigen Zeugen.



Die Atmosphäre beginnt langsam zu knistern, die Blickkontakte werden länger, die Annäherungen gezielter. Doch leider stoßen vermehrt Leute zu uns an den Tisch. Ein Kerl setzt sich neben sie und fängt an sich zu präsentieren. Er gefährdet die Situation, ich stehe daher bestimmend auf, nehme die schönste Frau auf Erden an die Hand und entführe sie an die Bar. Ich bestelle für uns zwei Drinks, angereichert mit vielen Prozenten und wir setzen uns in eine Ecke. Meine Hände werden unruhig, wollen fassen was so nah scheint, meine Zunge erzittert, möchte die Lippen dieser Göttin suchen. Ich schaue um mich. Überall sind Bekannte und Kollegen, die mich oder sie kennen. Manche zwinkern uns zu, manche schauen mit Argwohn. Nicht hier, es steht zu viel auf dem Spiel, ihre Beziehung, meine Beziehung.  Sie weist mich auf ihre Freundin in einer Ecke hin, die vom Rausch angeheizt, einen wehrlosen Kerl mit Küssen niederringt:  „Wenn sie sich in der Öffentlichkeit küssen, dann sind sie nun sicher offiziell ein Paar.“ Ich rücke näher an sie heran und flüstere ihr ins Ohr: „Dann muss ich dich heute hinter verschlossenen Türen küssen“.  Es ist keine abwehrende Haltung von ihr zu erkennen. Wider erwarten stimmt sie mir sogar zu. Ich versuche aus ihr heraus zu kitzeln ob sie ihren Verlobten betrügen würde.  Nach einer Weile schließt sie ihre Ausführungen mit der Bemerkung, dass ihr ein „Freifick“ zur Verfügung stehe. Ein wenig muss ich mich wundern, Göttinnen sollten nicht in dieser Form reden. Doch was in diesem Moment an Herrlichkeit in ihrer Person verlorengeht, nimmt an Gewicht unterhalb meiner Gürtelschnalle zu. Ich gehe in mich. In der Vergangenheit betonte ich immer wieder die Wichtigkeit eines Ehrenkodex unter Männer. Vergebene Frauen sind tabu. Ich bin es leid, mich in einem moralischen Zwiespalt vorzufinden und beende meinen inneren Monolog: Drauf geschissen! Dieser Ehrenkodex bringt doch nur etwas, wenn man den Gedanken nicht ertragen kann, dass die eigene Frau anderen Männern ausgeliefert ist. Heute bin ich der andere Mann. Ich will sie und ich möchte diese einmalige Gelegenheit nicht verpassen, für nichts und niemanden auf dieser Welt. Moralische Bedenken bezüglich der eigenen verletzten Treue sind bei ihrem Anblick keine vorhanden. Viel eher würde ich es mir niemals verzeihen, mich ihrem Körper oder ihrer Gegenwart zu entziehen. Ich kann nicht anders. Es käme einem Verbrechen gleich. Niemand möchte auf schöne Momente des Lebens spucken, niemand der weiß, dass selten solch günstige Konstellationen wie in dieser Nacht im trägen Leben zustande kommen.



Die Zeit wird knapp. Es ist 3 Uhr und nötig den Ort des Geschehens zu wechseln, falls das Morgengrauen die Nacht mit einem Happy End ablösen soll. Sie streift sich ihren roten Wintermantel über ihren magischen Körper. Die Signalfarbe lässt mich leicht erschrecken. Schon vor 2 Jahren trug sie selbigen oder ähnlichen Mantel. Ich erinnere mich gut, wie ich auf dem Heimweg meiner damaligen Liebe stets zum Ende eines Sonntags auf dem Bahnsteig in Bayreuth  nach diesem Rot Ausschau hielt. Ich versuchte insgeheim sogar meine Fahrtzeiten daraufhin abzustimmen. Wenn ich sie dann sah, fiel es mir stets schwer sie anzusprechen doch mit geballter Kraft schaffte ich es von Woche zu Woche immer besser und nun weiß ich, dass dieser Kraftaufwand die Grundlage der heutigen Nacht ist. Wir redeten von Station zu Station, schlängelten uns von Lebensgeschichten über Schicksalsschlägen bis hin zu unseren gemeinsamen Einsichten und Empfindungen. Eines Tages stand sie mit ihrem Verlobten am Bahnsteig. Ich stellte mich höflich vor und heuchelte verkrampft die Bemerkung aus mir heraus, dass ich mich bis zur Zugeinfahrt in eine andere Ecke gesellen werde, damit ich die Abschiedszeremonie nicht störe. Der Blick ihres Verlobten feuerte mit Flammen von Argwohn. Intuition ist eine gute Sache und Eifersucht trifft manchmal doch den Kern der Wahrheit. Als sie im Zug war und nach draußen winkte, setzte ich mich wieder zu ihr wie ein Hund, dem zuvor das Essen verwehrt wurde.   



Der Hund von früher ist gereift und weiß nun was er tut: Ich gebe der von anderen Gästen bestellten Taxifahrerin das Geld für den doppelten Fahrtpreis und 5 Minuten später sind wir in meinem Heim. 



Die Haustür schließt sich hinter uns, der Korken vom Rotwein ist gezogen. Ausgehungert stürze ich mich auf ihren Körper. Sie gibt sich mir völlig wehrlos und verfallen hin. Was sich unter ihrer Kleidung verbirgt, ist noch fantastischer als ich es mir in meinen Träumen je ausmalen konnte. Ich atme tief durch, danke meinem Gott, der nicht existiert, verneige mich innerlich vor dem Leben und greife feierlich nach dem, was sich mir heute als Geschenk aufdrängt. Noch nie in meinem Leben sah ich einen so anmutigen, makellosen nackten Körper. Ich zähle die Finger an meiner Hand, rekonstruiere vor meinem geistigen Auge die letzten Stunden, versuche der Schwerkraft zu trotzen, nur um letztendlich festzustellen, dass dies kein Traum ist. Ein Traum im anderen Sinne ist es dennoch, ein wahrgewordener. Ich bedecke ihren Körper mit wilden Küssen und versuche die letzte Stoffhülle von ihr abzuziehen. Ich bin heute ganz besonders gewillt in ihrer privatesten Zone mit meiner Zunge die Liebesschlachtplatte anzuheizen, da höre ich von ihrer Seite ein bestimmendes „Ich kann das nicht!“. Für gewöhnlich sind solche angemerkten Zweifel und Bedenken seitens der Frau normal. Meinem Gefühl nach dienen sie dazu, sich von allzu ergebenen Frauen abzugrenzen, das allzu Schlampige von sich zu weisen. So stört es mich nicht das Geringste, die Erfahrung hat gelehrt, dass ein paar Momente des Zurücklehnens, das Aussenden von Geborgenheit und ein erneuter Versuch, das letzte Tor aufzustoßen, innerhalb weniger Minuten Erfolg verspricht.  Die Taktik geht heute leider nicht auf und so beschleicht mich das Gefühl, dass sie den letzten Akt nicht heute beenden möchte. Sie versucht mir vorzugaukeln, ein Seitensprung wäre erst dann ein Seitensprung wenn es zum Sex kommt. Während ich ihre perfekten Brüste streichel und sie ab und an küsse, erkläre ich ihr, dass die Grenze der Untreue überschritten ist und halbe Geschehnisse nichts an ihrem schlechten Gewissen ändern werden. Ich spüre ihre Angst nur eine Nummer in einer Reihe von Eroberungen zu sein. Sie wird wiederkommen, denke ich mir, wenn es heute nicht sein soll, dann vielleicht später. Das Wort Affäre keimt in mir auf.



Wir liegen die restlichen Stunden bis zum Morgengrauen nackt nebeneinander und tauschen uns über Belanglosigkeiten aus. Sie muss weg. Wir versprechen uns die größte Geheimhaltung über das Geschehene. Ich bin mir sicher, dass sie es nicht für sich behalten wird. Irgendjemand ist da immer, der das Auffangbecken seelischer Gemütszustände ist und ich weiß, dass diese Nacht kräftig an ihrem Gewissen nagen wird und hoffe, dass auch im Herzen ein wenig  stürmischer Aufruhr herrscht.  Ich begleite sie, gebe ihr einen letzten Abschiedskuss und verschwinde. Auf dem Weg zurück, zwinkere ich dem Himmel entgegen, der die ersten Sonnenstrahlen überreicht. Ich schreibe meiner Frau ein paar nette Worte. Ich liebe sie und Ehen müssen gut gepflegt werden.  Als ich zu Hause ankomme erblicke ich neben dem Bett einen glitzernden Gegenstand. Sie hat ihren Armreif liegengelassen, ich hoffe mit Absicht.

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