Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Keine Droge macht per se sofort süchtig"

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



"High sein" ist ein Aufklärungsbuch über Drogen, das "niemanden erschrecken, verurteilen oder bevormunden will“. Es kommt ohne erhobenen Zeigefinger aus, stellt neben negativen auch positive Auswirkungen von Drogenkonsum dar und gibt Tipps zum Safer Use. Wir haben mit zwei der vier Autoren gesprochen: mit dem Studenten Immanuel Jork und dem Journalisten Jörg Böckem, der jahrelang selbst heroinabhängig war.

jetzt.de: Ihr seid nicht die Ersten, die ein Buch über Drogen geschrieben haben. Was wolltet ihr anders machen?
Immanuel: Wir wollten weg von der typischen Lehrer-Haltung, der Zeigefingerpose. Die Erfahrung zeigt: Abschreckung bringt nichts. Strafe schützt nicht vor Sucht und Missbrauch. Uns ist es viel wichtiger, aufzuklären. Wann geht es gut, wann geht es schief? Das wollen wir durch Protokolle verschiedener Drogenkonsumenten zeigen. Durch Geschichten realer Personen, zusammen mit wissenschaftlich fundierten Kapiteln.

Wann geht es denn schief?
Immanuel: Wenn falsch, zu häufig, zu viel, zu lang oder in willkürlichen Kombinationen konsumiert wird. Man sollte sich immer klar sein: Was nehme ich da? Warum? Und: Brauche ich vielleicht eine Konsumpause?

Wie schwierig war es, für so ein Projekt einen Verlag zu finden?
Jörg: Interessanterweise war es der Verlag, der mit der Idee auf mich zukam. Ich habe erst gezögert. Vorstellen konnte ich es mir nur zusammen mit jungen Co-Autoren und mit Henrik für den wissenschaftlichen Hintergrund. Ich wollte kein Buch machen, in dem ein Ex-Junkie irgendetwas über Drogen erzählt. Damit war die Verlegerin gleich einverstanden. Auch mit unserem liberalen Ansatz, der wahrscheinlich nicht überall auf Wohlwollen trifft.

Ihr habt für das Buch viele junge Drogenkonsumenten interviewt. Welche Eindrücke habt ihr bei der Recherche bekommen?
Immanuel: Dadurch, dass ich selbst in einem kleinen Dorf aufgewachsen bin, hatte ich dieses Klischee im Kopf: Drogen sind schlecht und machen dich kaputt. Dieses Bild hat sich durch die Arbeit an "High sein" verändert. Da ist beispielsweise Elena, die LSD genommen hat um ihre Denkmuster aufzubrechen und um zu sehen, wie ihre Wahrnehmungsfilter funktionieren. Die Geschichte von Laura zeigt dagegen, dass es auch schief laufen kann. Die lernt jetzt gerade in der Therapie, dass sie auch Freude empfinden kann, ohne dass Crystal Meth durch ihr Blut fließt.

Heftig fand ich die Geschichte von Kai, der die Wochenenden auf Meth durchfeiert und über die Montage in der Berufsschule sagt: "Wenn ich zu sehr schwitze oder es zu krass schmerzhaft wird, geh ich halt heim oder leg ein bisschen was nach."
Immanuel: Kai hat überhaupt keine funktionierende Selbstwahrnehmung. Der war im Interview extrem hibbelig und schnell aufbrausend, wenn er eine Nachfrage nicht so cool fand. Ich hatte teilweise Angst, mit ihm zu sprechen. Dann konnte er im Laberflash stundenlang Selbstinszenierung betreiben. Da haben wir schon diskutiert, ob man das so aufschreiben kann. Wir glauben aber, der Leser merkt, dass es ihm dabei nicht gut geht.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jörg Böckem (links) und Immanuel Jork mit ihrem Buch "High sein"

"High sein" legt großen Wert darauf, Drogen nicht zu verdammen. Es fällt der Begriff vom "auf lange Sicht erfolgreichen Drogenkomsum". Kann es den bei Substanzen wie Heroin oder Crystal Meth wirklich geben?
Immanuel: Da bin ich auch sehr skeptisch, ob ein erfolgreicher Konsum funktionieren kann. Ich kenne niemanden – möchte es aber nicht ausschließen.
Jörg: Keine Droge macht per se sofort süchtig. Aber es gibt natürlich Substanzen, bei denen das Risiko, Schaden zu nehmen, groß ist. Manche Menschen konsumieren über längere Zeiträume Heroin, ohne süchtig zu werden. Aber das ist natürlich sehr selten. Wir denken, dass man sich vom Blick auf die Substanz lösen sollte. Was süchtig macht, ist das Komsummuster: wie wir mit der Substanz umgehen. Dennoch hat Heroin ein höheres Abhängigkeitspotential als Ecstasy. Darum ist ja der Ansatz des Buchs, darüber aufzuklären, welche Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken einzelne Substanzen haben.

Ist das Risiko bei diesen Drogen nicht trotzdem so groß, das man sagen müsste: "Finger weg!"?
Jörg: Das ist immer der sichere Weg. Ich habe aber keinen Erziehungsauftrag für jeden Leser. Mir geht es darum, die Leute da abzuholen, wo sie stehen. Wenn jemand die Erfahrung unbedingt machen will, respektiere ich das und versuche ihm dabei zu helfen, mit dieser Entscheidung am Leben zu bleiben. 

Jörg Böckem / Henrik Jungaberle / Immanuel Jork / Julia Kluttig: High sein. Ein Aufklärungsbuch, Rogner & Bernhard, 312 Seiten, 22,95 Euro.

Text: christian-endt - Fotos: dpa/privat

  • teilen
  • schließen