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Zwei Tage

Text: sute

Schwanger. Die zarte Frühlingssonne fällt durchs Badezimmerfenster. Die Arbeit von gestern Nacht steckt mir noch in den Knochen. Schwanger. Ich hätte es fühlen sollen. Der Test wusste es sofort. Keine Minute und er zeigte zwei feine Striche. Ich bin verwirrt. Ich sollte glücklich sein.



'Das ist wunderbar Baby'. Mein Freund sitzt auf dem weißen Badewannenrand. 

Wunderbar? Ich fühle mich befremdlich. Da ist etwas in mir drin. Etwas Fremdes. Mein Körper ist nicht mehr meiner. Ich erschrecke. So was denkt man nicht. Er ist wie jeder andere. Wie jeder andere schwangere Körper. Das Badezimmer scheint in hellem weißen Licht. Sollte ich nicht glücklich sein? Sei froh, denke ich. Ach, lass dir Zeit. Das wird.



Der Tag und die Nacht vergehen. Ich arbeite wieder. Es ist voll. Fußball. Die Leute schreien. Die Leinwand schreit. Sie schreit mich an. Gerüche überall. Sie springen mich an. Lassen mich nicht in Ruhe. Eine kurze Pause. Ich brauche eine.



Ich sitze auf der Toilette und da ist Blut. Blut, habe ich gelesen, ist okay. Das ist normal. Keine Sorge. Weiter, mach weiter.



Fünf Stunden und sechs und sieben vergehen. Sie verschwinden in Gerüchen und Rausch. Nach Hause schnell. Ruhe. Morgen, da geh ich zum Arzt, morgen.



Schmerzen. Ich wache auf. Ich blute immer noch. In meinem Mund ist ein schlechter Geschmack. Warte bis morgen, nur noch ein paar Stunden. Ich drehe mich. Mein träumender Freund küsst mich. Nach jeder Drehung umarmen mich seine verschlafenen Hände wieder. Schlaf Baby, alles wird gut. Es sind die Schmerzen, die mich wieder wecken. Mein Körper krümmt sich. Wehrt sich. Ich drehe mich. Nochmal. Hilf mir, denke ich, wach auf, halte mich. Mir geht es nicht gut, flüstere ich. Schlaf Baby, alles wird gut.



Entscheide dich! Woher kommt dieser Gedanke? Er ist ganz klar. Mein Körper kämpft und mein Kopf sagt: Entscheide dich. Entscheide dich für Schmerzen, für Blut, für Kinder. Für Kampf.



Ich schweige. Es ist so viel, alles zu viel. Dieser Schmerz, ich will ihn nicht. Ich kann nicht. Ich schweige, ich kann es nicht. Die Aufforderung verhallt.



Mein Körper, ich überlasse es dir. Du kannst das, flehe ich. Bring mich da durch. Ich zähle die Stunden, die Nacht.



Endlich. Ich wähle die Nummer. 'Mein Schwangerschaftstest war positiv...'-'Das ist ja wunderbar!' Die Frau am Telefon klingt glücklich. Sie freut sich sogar für mich. 'Aber...'. Ich erkläre. 'Kommen Sie sofort vorbei!'



Durchhalten. Ich stehe in der Straßenbahn. Ich habe fast keine Slipeinlagen mehr. Ob mein Gesicht weiß ist? Sieht man mir es an? Mein Körper gibt mir Halt. Ich bring dich da durch, flüstert er. Durchhalten.



Etwas Warmes läuft an meinem Bein herunter. Mir wird heiß. Oh nein, denke ich. Ob man was sieht? Jemand lacht. Sehen sie mich? Hilfe. Toilette, sagt mein Körper, Ruhe.



Die grauen Wände einer Toilettenwand. Grauer Boden. Auf meinem Schuh liegt ein perlengroßer Hautklumpen. Ich hebe ihn sorgfältig mit etwas Toilettenpapier auf. Eine Ahnung schleicht sich an. Es geht vorbei. Ich fühle mich besser.



Der Arzt sitzt vor mir, seine Stimme ist ruhig. Während ich rede, schreibt er ernst mit. Er faltet die Hände. 'Frau S., sie haben eine Fehlgeburt.' Eine leise Spur Mitgefühl schleicht sich mit seinem Ton mit. Fehlgeburt? Lächerlich, denke ich. Zwei Tage schwanger, was soll ich mit dem Mitgefühl? Ich schlucke. Tränen drücken von innen gegen meine Wangen.



Mit einer Zange holt der Arzt etwas Blutiges aus mir heraus. Er runzelt die Stirn. Lächerlich, denke ich. Blut, mehr nicht. Die Arzthelferin streichelt meine Hand. Es ist okay, sagt sie. Und es ist okay. Es ist egal. Ich bin dankbar. So sehr. Hilf mir, sagen meine Augen.



In der Frühlingssonne ist es vorbei. Weg ist es. Raus. Ich bin froh, so erleichtert.



Und doch verfolgt es mich. Ich sehe Frauen überall. Ich sehe Schmerzen. Wir alle sind geboren durch Schmerzen. Ich schlucke. Das denkt man nicht. Eine Träne läuft meine Wange herunter. Es tut mir leid, mein Baby. Ich war zu schwach. Ich habe nicht gekämpft. Es tut mir leid.



Ich wollte dich nicht.

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