Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Ich wusste, dass der mal ganz groß wird!

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Jetzt hat er es geschafft. Er wird bejubelt und gefeiert, als großer Satiriker und Entertainer. Wer etwas auf sich hält, hält etwas auf ihn: Jan Böhmermann ist angekommen, ganz oben. Und wenn ich das so sehe, dann möchte ich gerne sagen: Ich habe es ja gewusst. Immer schon. Oder zumindest schon sehr lange. Aber das darf man ja nicht sagen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sich öffentlich freuen, wenn ein alter Bekannter ganz groß wird: lieber nicht, wenn man nicht als Angeber gelten will.

„Ich habe den/die schon gekannt, als er/sie noch ganz unbekannt war“, das ist ein verbotener Satz. Ebenso alle artverwandten Sätze wie „Das erste Mal habe ich ihn bei einer ganz kleinen Lesung in einer Bar gesehen, in die nur 30 Leute passten“.

Wenn man solche Sätze ausspricht, wird einem Angeberei vorgeworfen. Man wird als arroganter Eigenlob-Verteiler abgestempelt, als Mensch, mit dem sich auf einer Party keiner gerne unterhält.

Am verpöntesten sind solche Äußerungen beim Thema Musik: Menschen, die betonen, dass sie heutige Major-Label-Bands vor fünf Jahren noch in einem kleinen Kellerclub beklatscht haben anstatt in der seelenlosen Mehrzweckhalle, in der sie heute spielt, gelten als extrem unsympathisch. Weil sie sich mit ihrem Musikwissen schmücken und es vor sich hertragen wie eine Medaille. Dabei wollen sie damit vielleicht vor allem eines sagen: dass sie sich freuen. Darum sollten sie sagen dürfen – nein, darum sollte jeder sagen dürfen, wenn er schon damals, schon immer gewusst hat, dass jemand mal Erfolg haben wird!

>>> Warum man sich freuen dürfen sollte - und was Jan Böhmermann mit einem Bernhardinerwelpen gemeinsam hat.




Immer, wenn Böhmermann in den vergangenen zehn Jahren irgendwo auftauchte und gelobt wurde, wollte ich „Ich habe es längst gewusst!“ oder „Ich kenne und mag den schon ganz lange!“ rufen. Damals, als er „Lukas’ Tagebuch“ für 1LIVE erfand und der WDR von Lukas Podolski verklagt wurde. Damals, als er im Fernsehen auftauchte, mit „echt Böhmermann“ und später mit „TV Helden“ . Damals, als er zum Team der neuen Harald-Schmidt-Show gehörte und das Buch mit dem sehr lustigen Titel „Alles, alles über Deutschland“ herausbrachte. Und so weiter, bis irgendwann Roche&Böhmermann startete und ich mit meiner Meinung nicht mehr alleine war. Ich freute mich. Hatte so ein „Der hat’s aber auch verdient!“-Gefühl. Und als er er kürzlich den Varoufakis-Musikvideo-Hit landete und vergangene Woche mit dem Mittlefinger-Fake-Fake das ganze Land durcheinanderbrachte, als alle schier durchdrehten vor Begeisterung und sogar sämtliche Feuilletons wohlwollend brummten und nickten, da hätte ich gerne die Humorwelt umarmt. Endlich geschafft, endlich der endgültige Durchbruch, endlich nicht mehr wegzudenken, der Typ!

So müssen sich Eltern fühlen, wenn Torben bei den Kreismeisterschaften den ersten Platz macht.

Vielleicht ist das ein blöder Vergleich, aber: Wenn man mitverfolgt, wie ein Künstler, eine Künstlerin oder eine Band groß wird, dann ist das ein bisschen, wie einen kleinen Bernhardinerwelpen zu haben, von dem man weiß, dass er grade noch als tollpatschig belächelt, aber später mal ein Pfundskerl sein wird, der im Gebirge Menschenleben rettet. Vielleicht ist es sogar noch eher wie die Geschichte vom hässlichen Entlein, weil der Künstler, die Künstlerin, die Band so total unterm Radar fliegt, ignoriert wird, keinen interessiert – bis dann irgendwann der Schwan draus wird. Das Gefühl, das man dann selbst, als eine Art treuer Unterstützer, hat, ist Freude und auch ein bisschen Stolz. Man hat ja das Potenzial erkannt und ist immer dabeigeblieben. So ähnlich stelle ich mir das Gefühl vor, das Eltern haben, wenn ihr Torben bei den Kreismeisterschaften den ersten Platz im Kraulen gemacht hat, was sie schon ahnten, als er das erste Mal im Teich plantschte.

Klar, irgendwie ist das auch Selbstlob, irgendwie findet man es auch ein bisschen geil, dass man den Erfolg vorausgeahnt hat. Man schreibt sich selbst einen guten Sensor zu. Aber wieso auch nicht – sich bestätigt sehen und das ausdrücken, ist ja nicht falsch. Zumindest nicht, solange man allen anderen nicht vorwirft, total ignorant zu sein und das neue große Genie jahrelang bewusst geschnitten zu haben. Und solange man keiner von denen ist, die den Künstler, die Künstlerin, die Band für sich beanspruchen und beklagen, dass der Mainstream ihnen etwas „wegnimmt“. Das ist vielleicht der Hauptunterschied zwischen Angebern und den guten „Ich habe es schon immer gewusst“-lern: Für letztere gibt es nichts Schöneres, als wenn ihre Entdeckung im Mainstream angekommen ist, ihr Bernhardiner also endlich den Suchtrupp im Gebirge anführt.

Und darum: Sagt es laut, wenn ihr schon 2004 zu „Arcade Fire“-Songs getanzt habt. Oder Benedict Cumberbatch schon in „Abbitte“ super fandet. Wenn ihr es immer schon gewusst habt und euch darum jetzt freut.

Im besten Falle können die, die es schon immer gewusst haben, noch etwas sehr Schönes tun: Davon erzählen, wie es früher war, als der Bernhardiner noch klein war. Was er damals Tolles gemacht hat. Die Late-Adopter können dann ein altes Album oder Buch leihen, eine alte Sendung anschauen. Und sich nachträglich mitfreuen. Also: Hört euch doch mal ein paar Folgen von

an. Oder schaut dieses Interview mit Sahra Wagenknecht aus der Harald Schmidt Show:

http://www.youtube.com/watch?v=RyFmqKTJH2Q



Text: nadja-schlueter - Illustration: Daniela Rudolf; Foto: ZDF / Ben Knabe

  • teilen
  • schließen