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Zart behaart

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Ein versehentliches Zeichen der Zugehörigkeit: Das Fremdhaar auf der Schulter.

„Die nächste links?“, bellt der Taxifahrer und beschleunigt aus der nächsten Kurve, bis die Stadt zu Lichtern verschwimmt. Er sieht aus, wie jemand, der die letzte Nacht nicht geschlafen hat und die nächste durcharbeiten muss. Dann, beim Schulterblick, schimmert ein blondes Frauenhaar auf seinem Pulli. Und mir wird ein bisschen wärmer in der klimatisierten Luft.

Das passiert immer, wenn mir ein langes Haar an Menschen auffällt, zu denen es eigentlich nicht gehört. Wenn es sich kaum merklich vom Bart des Kollegen abseilt, am Revers des Professors in der Sprechstunde klebt oder eben beim grantigen Taxifahrer auf der Schulter hängt. Dann denke ich: Wie schön! Denn das einzelne Haar ist eine Tratschliese, die wunderbar indiskrete Dinge zu erzählen hat. Das Haar sagt: Hier war gerade noch jemand anderes. Jemand, der den, der jetzt so ernst guckt, so gern hat, dass er ihm ein paar Haare geschenkt hat. Beim Kuss, bei der Umarmung oder im Bett, als die Welt noch verschlafen war und die Lichter noch aus. Da ist jemand, der mit dem anderen Zähne putzt und Einkaufslisten schreibt und weiß, wie er in Jogginghosen aussieht.

Wenn ich jemanden sehr gern habe, verteile ich Haare. Auf Kopfkissen, auf Bodendielen und in Abflüssen. Wenn ich weg bin, bleiben meine Haare da. Deswegen schickt mir mein Freund manchmal SMS über neuste Fundorte: Mütze, linke Socke, Sandwichbox. Würde ich die Dame kennen, deren Haar der Taxifahrer durch die Nacht fährt, würde ich ihr gerne eine Nachricht schreiben: Linke Schulter oben.

Das Haar sagt: Dieser Mensch hat bald wieder einen Kopf zum Wuscheln in seiner Nähe. Auch wenn er gerade müde in der Konferenz sitzt. 

Als die Menschen den Affen noch näher waren – also sich noch keine Nachrichten über Haare oder Nacktfotos bei Snapchat schickten – trugen viele Liebende stattdessen eine Haarlocke des anderen bei sich. Hochromantisch, dieser kleine Schnipsel vom geliebten Menschen. Dabei sind Begegnungen mit Fremdhaar sonst eher unschön: In der Suppe, auf der Klobrille oder zwischen den Zähnen graust es uns, dieses Überbleibsel irgendeines fremden Körpers. Das Haar des Partners aber ist liebenswert, auch wenn es sich um die Zahnbürste windet. Es gehört eben zu einem ganz bestimmten Kopf, dessen Inhalt man genau so liebt, wie das, was daraus herauswächst. 

Wenn Affendamen verliebt sind pflücken sie ihren Auserwählten Läuse aus dem Fell. Weil es da beim durchschnittlich gepflegten Menschen nicht mehr so viel zu pflücken gibt, entferne ich bei meinem Freund auch mal Haare vom Pulli. Diese (nicht bei allen beliebte) Geste heißt: Ich kümmere mich um dich. Ich hab dich nicht nur so gern, dass ich dir ein paar Haare schenke, ich räume sie auch wieder auf. Und ich darf das auch. Dass der Mensch, der sonst Haare verteilt und wieder wegzupft, gerade nicht da ist, sieht man dann am einzelnen Haar. Ein Frauenhaar durch die Welt zu tragen, ist deshalb ein bisschen so, als ginge man mit einem Fetzen Toilettenpapier unter der Schuhsohle vor die Tür: Der Träger offenbart versehentlich etwas sehr Privates. 

Wenn ich dieses kleine Zeichen der Zugehörigkeit entdecke, weiß ich: Auch der Kollege hat einen bestimmten Schopf gern in Bartnähe. Und bald pflückt dessen Besitzerin ihm wieder Fussel und Haare vom Pulli.  Dann gibt es wieder einen ganzen Kopf mit Haar zu verwuscheln und zu beschnuppern. Auch wenn er oder sie gerade in Doppelschicht mit dem Taxi durch die Nacht fährt oder verschlafen in der Konferenz sitzt.

Verhasst ist das Haar bei Liebenden nur in einem Fall: Dann nämlich, wenn man ein anderes am Revers des Partners entdeckt. Dann packt man am besten Zahnbürste und Jogginghose ein und macht sich erst mal einen Zopf.

Text: sina-pousset - Foto: nicolasberlin/photocase.de

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