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#ZDFbleibtuncool

Text: Axelsandra








Der Junge, der über meine Mattscheibe flimmert, ist dünn und blass. Genauso wie das Logo links oben. ZDF. Der Sender für die Durchschnitts 61-Jährigen. Hier versendeten sich einst „Forsthaus Falkenau“, „Der Landarzt“ und „Diese Drombuschs“. Meine persönliche Fernsehprimetime hat sich zwar von 19.25 Uhr auf 21.45 Uhr verschoben, aber um 00.00 Uhr wird in der Regel immer noch entweder geschlafen oder geraucht. Seit kurzer Zeit steht da jedoch dieser schlaksige Typ, mitten in der Nacht, der doch bestimmt grade erst seinen Kapuzenpulli ausgezogen hat, oder? Das Logo ist schlanker, das Studio ist größer geworden. Im Shiny Floor spiegelt sich der gebührenfinanzierte Anzugträger wider. Neben ihm hocken auf der einen Seite Dendemann und die Freie Radikale, auf der anderen Seite steht Vintagepulliträger William Cohn, von dem man nicht genau weiß, ob man als Kleinkind bedenkenlos die von ihm gereichten Süßigkeiten angenommen hätte. Der Junge guckt manchmal so, als müsse man sich fragen, was er da eigentlich macht: Fernsehen oder Hashtag Fernsehen? Late-Night oder Hashtag Late-Night? Kommentiert er die neuen Medien oder kommentiert er die Kommentare der neuen Medien? Oder kommentiert er am Ende doch nur seine Kommentare? Auf jeden Fall kommentieren die Medien ihn.



Für den klassischen ZDF-Zuschauer sind Joko und Jan und Klaas „und wie sie alle heißen“  erst einmal schwer auseinander zu halten, obwohl sich doch alle redlich Mühe geben mit Markenzeichen nicht zu geizen (Siehe: groß und Brille, klein und Fred Perry-Logo, groß und blass). Nun doch die nötige Differenz: Jan Böhmermann sollte nicht wie Joko und Klaas Pro Sieben neue Mediathekzuschauer bescheren, sondern junge Zuschauer an das ZDF binden (Zuschauer, die wissen, dass Beef mehr als nur Rindfleisch ist.). Deshalb ist er von der einen Teppichfabrik in die andere in Köln-Ehrenfeld gezogen. Durfte sich neue Anzüge maßschneidern lassen und sich einen neuen Schreibtisch kaufen. Hängt ein ROYAL an NEO MAGZAIN. Und sonst? Macht er das Gleiche wie auch bei ZDFneo. Dachte ich. 



Liest man jedoch, was über den Sendestart vom NEO MAGAZIN ROYAL am 05. Februar 2015 geschrieben wird, stelle ich fest, dass ich unter ganz falschen Voraussetzungen hingesehen habe. Hier wird nämlich gar nicht das NEO MAGAZIN ROYAL von Jan Böhmermann vom Spartenkanal in die Spartenzeit verlegt, hier wird nach Deutschlands neuem Harald Schmidt gesucht. Daraufhin stellt „Der Spiegel“ scheinbar enttäuscht fest: 



„Die Ablöse für Harald Schmidt? Eher nicht.“



Ach ja, der Schmidt, er hat ein tiefes Loch in die Nacht gerissen. Jetzt haben sich alle, die kein Sky empfangen, so lange Zeit mit so versoffenen Formaten wie Inas Nacht und  Ü 30-Witzen von Pastewka herumschlagen müssen. Dass Jan Böhmermann nun derjenige sein soll, der alles wieder witzig, ironisch und fresh macht, ist ebenso enttäuschend, wie in den Griechenlandurlaub zu fahren und von der Krise gar nichts mit zu bekommen. Weit hergeholt ist der Vergleich zwischen beiden nicht, denn neben einem klassisch deutschen Vornamen teilten sich Schmidt und Böhmermann auch eine Zeit lang denselben Arbeitsplatz, der eine vor, der andere hinter der Kamera. Die „Süddeutsche Zeitung“ will ihre scheinbar große Enttäuschung darüber, dass der eine den anderen deshalb aber noch lange nicht nahtlos ersetzen kann - man sollte sich in dem Zusammenhang fragen, ob man sich wünscht, dass die Sprechstundenhilfe bei der nächstbesten Gelegenheit den Arzt ersetzt - auf einen kleinen Punkt bringen:



„So strampelt sich Böhmermann dann von Pointe zu Pointe, beleidigt wahlweise sich selbst oder das Publikum, und die Band spielt dazu.“ 



Die „Süddeutsche Zeitung“, die neben dem Wetterbericht aus München auch in langer Tradition über das deutsche Fernsehen schreibt, brachte auch die erste Folge des NEO MAGAZIN auf ZDFneo zusammenfassend auf einen Punkt. In der Kritik vom 1.11.2013 kann man lesen:



„Das ist irre. Das ist peinlich. Das ist kongenial. Das ist Böhmermann.“



Heute jedoch versichert sie, dass alles, was im NEO MAGAZIN noch so „kongenial“ daher kam, nun leider im Hall des großen Studios verkümmert: 



„Zumindest zu Beginn wird er künftig, wie sein Fernsehziehvater Harald Schmidt, im Stehen die ersten Gags bestreiten. Eine Disziplin, die Schmidt virtuos beherrschte. Das Geblödel Böhmermanns hingegen, das sonst immer prima funktioniert, wirkt in der vergrößerten Umgebung zum ersten Mal eine Nummer zu klein.“



Stimmt vielleicht, aber nur wenn man denkt, dass „Homo Faber“ von Max Frisch am Strand gelesen ein genialeres Buch ist als „Homo Faber“ in der U7 vom Hermannplatz nach Rudow.
Neben der Suche nach dem neuen Harald Schmidt, zu der es scheinbar keine Julia Leischik sondern nur ein Augenmerk auf das Hauptprogramm benötigt, gibt es aber auch noch „Die Welt“, die neben dem Selbstversuch des Bloggers Airen (der es einen ganzen Monat! ohne Masturbation versuchen will), ebenfalls über das deutsche Fernsehen schreibt. Sie titelt: 



„Jan Böhmermann macht einen auf Harald Schmidt.“ 
Und weiter: 
„Hollywood-like inszeniert sich Jan Bähmermann in seiner neuen Show im ZDF-Hauptprogramm.“ 



Wer einmal in das NEO MAGAZIN ROYAL gezappt hat, wird feststellen, dass der einzige Hauch Hollywood von Sophia Tomalla zwar ausgestrahlt, aber auch direkt wieder weggeweht wurde (Alter, isch kenne deine Mudda!). 



Jeder Schmidt hat natürlich auch einen Andrack. „Die Welt“ stellt fest, dass Herr Cohn mit seiner süßen „Opi-Strickjacke“ sehr wohl Herrn Andracks Sidekick-Niveau gewachsen ist. Aber was ist ein guter Sidekick ohne gute Vorlagen? Die Vorlagen liefert Jan Böhmermann neben dem gesprochenen Wort, sei es nun im Stehen oder im Sitzen, auch mit den aufwendig produzierten Einspielfilmen. Nun heißt es einerseits, Herr Böhmermann wolle zu viel in zu wenig Zeit (was die Sendezeit von 30 Minuten betrifft: Aufgepasst mit unüberlegten Wünschen! Böhmermann dreht in seiner zwei-stündigen Radioshow „Sanft und Sorgfältig“ gemeinsam mit Olli Schulz erst richtig auf!), andererseits würden in der ersten Sendung Formate wie „Prism is a Dancer“ und „Trendvulkan Mitte“ sowie „Schlimmer als Hitler“ vollständig fehlen. Wenn eines dieser Formate in einer der Sendungen fehlt, ist es ja zum Glück nicht so, als würden Helene Fischer die Kostüme ausgehen. Mit etwas Geduld hätte man bereits eine Woche später sehen können, dass der Spaß am Einspielfilmchen produzieren mit mehr Geld auch dem Produzententeam der Bildundtonfabrik nicht verloren gegangen ist. Und da Jan Böhmermann sich nicht nur mit Hitler sondern auch mit Musicals ausgezeichnet auskennt, konnte man auch in den folgenden Sendungen Hymnen auf joggende Politiker wie Peter Tauber und Songs about Yanis Varoufakis hören. Aber Geduld ist eben keine Tugend des schnellen Urteils.
Auch der Berliner „Tagesspiegel“, der neben dem BER-Desaster auch über deutsche Fernsehneuheiten schreibt, geht auf die Genealogie des Schmidt-Böhmermannschen Stammbaums ein:



„Da zeigt sich, dass Böhmermann nicht mal der ganz ganz ganz ganz kleine Bruder von Harald Schmidt ist. Eher der Bruder von Anke Engelke. Stand-Up ist nicht seine Welt. Das Gag-Niveau, höhenmäßig nicht Alpen sondern Berg & Tal. Viel Tal.“



Festzustellen ist, dass auch die Rezensionen des Tagesspiegels über das NEO MAGAZIN / NEO MAGAZIN ROYAL einer Berg und Tal Fahrt gleichen. Denn einst sahen sie die Unterhaltungsshow ganz weit oben:



„Das ist Fernsehen. Alles andere ist irgendetwas anderes. Es sollte auch nicht um die Frage gehen, ob Böhmermann nicht innerhalb des ZDF für größere Aufgaben bereit sein müsste, (...) es müsste ausschließlich darum gehen, wie gut dieses Format ist, jetzt, im Herbst 2013. Es ist sehr gut. Und der Grund dafür liegt darin, dass Böhmermann und sein Team augenscheinlich Lust auf Fernsehen haben, Lust auf diese Sendung, Lust darauf, die Zuschauer eine halbe Stunde lang zu unterhalten. Das spürt man. Und das ist im deutschen Fernsehen so selten.“



Während der Fußball-WM 2022 im ZDF wird sich dann konsequenterweise hoffentlich jemand fragen, ob Katar in die Fußstapfen von Russland (Austragungsort 2018) treten kann, zumindest was die politische Dimension des Austragungsortes betrifft. Und wenn man schon dabei ist, kann man ja auch gleich überprüfen, ob Matthias Opdenhövel (ehemals Viva-Moderator) in die Fußstapfen von Günther Netzer treten kann (Fußball-Kommentator-Legende). Denn was Fußball und Late-Night vereint ist: Alles kommt im Fernsehen. Und Fernsehen hat mit Ferne zu tun. Was in der Ferne sichtbar wird, kann weggeschaltet oder angesehen werden. Vom Gefühl her ist ZDFneo weiter weg als ZDF. Das mag der Grund sein, warum Formate, die dort laufen, irgendwie erträglicher scheinen. Wie bei Gewitter: Wenn es noch weit genug weg ist, stören einen die Blitze im Wald ja auch nicht so richtig. 

Die Suche nach einem neuen Harald Schmidt geht also weiter. Schade ist nur, dass dabei übersehen wird, dass Jan Böhmermann mit seiner Sendung das tut, was die genannten Zeitungen in Hinblick auf ihre Kritik daran nicht tun: sich selbst kommentieren. Mehr Selbstreferentialität geht bei Böhmi nicht. Und das ist gut so. 
Liebe Presse, lass dich nicht als Lügenpresse beschimpfen. Schreib kaputt, was dich kaputt macht. Aber überleg doch mal, was wäre, wenn Helene Fischer immer noch Folklore auf Stadtfesten singen würde. Das wär doch auch irgendwie schade. Nur weil der Shiny Floor ein bißchen mehr glänzt, heißt das nicht, dass der Inhalt seinen Glanz verliert. So scheint es auch „DIE ZEIT“ zu sehen, die ihren Harald Schmidt längst in den Ruhestand verabschiedet hat und deshalb frei von Enttäuschung darüber, dass Böhmermanns Witze im Sitzen besser als im Stehen zünden, urteilen kann:



„Was Jan Böhmermann macht, könnte man als Inszenierung zweiter Ordnung bezeichnen. An der Inszenierung der Welt durch die Medien, ihrer Darsteller und ihrer Kritiker nimmt Böhmermann erst teil und inszeniert diese Inszenierung dann neu, sodass durch die geschaffene Distanz deutlich wird, auf welchen Grundlagen dieses ganze Spiel um Aufmerksamkeit basiert.“



Weiter schreibt „DIE ZEIT“, dass Böhmermann das ZDF „um Lichtjahre in die Zukunft katapultiert“ habe. Die zitierten Zeitungen halten es mit der Zukunft wohl eher wie mit dem Gewitter: Solange sie weit weg ist, ist sie eher unbedrohlich. Und deshalb kann in gewohnter Manier weiterkritisiert werden. Fazit: Man kriegt den Schmidt zwar aus der Late-Night raus, den Gottschalk von der Couch weg und sogar den Förster aus Falkenau vertrieben, aber die Nostalgie des (Fernseh-)Kritikers, sie wird bleiben. 




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