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Mädchen, warum dürfen wir keine Witze über euch machen?

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Die Jungsfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
Liebe Mädchen,   natürlich fängt das Problem schon damit an, dass das hier mit Tilo Jung anfangen muss. Dass wir uns also im Kosmos „Jungmoderator (immerhin aber Grimme-Preis-dekoriert) sucht Aufmerksamkeit“ bewegen. Seid also gleich versichert, dass es uns vielleicht sogar mehr weh tut als euch, wenn wir ihm hier jetzt irgendwie zur Seite springen. Aber leider dreht sich der jüngste Sexismus-Shitstorm nun mal um den Journalisten ("Jung und naiv", Krautreporter). Und leider ist es so, dass wir die Aufregung nicht komplett verstehen. Vielleicht finden wir sie sogar heuchlerisch. Augen zu und durch also:   Keine Diskussion müssen wir wohl drüber führen, dass der Witz – eine Bilderserie, in der eine Frau am Strand ins Wasser getreten wird; versehen mit der Bildunterschrift „Women’s Day“ – weder besonders lustig, noch besonders klug, noch auf irgendeiner Ebene geschmackssicher ist: 
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das ist ja aber auch nicht der Punkt, um den sich die Diskussion dreht. Jungs Arbeitgeber, krautreporter.de, hat vielleicht am besten zusammengefasst, worum es den Kritikern geht. Schließlich musste die Redaktion die ganzen Argumente ja auch für eine Stellungnahme bündeln:

Genau diese angenommene Kausalität ist es nun, an der wir hängenbleiben: Wer mit Gewalt gegen Frauen kokettiert, ist frauenfeindlich. Oder, eine Stufe tiefer gehängt: Wer sexistische Witze über Frauen macht, ist ein Sexist. Ist das so?

Wir fragen, weil es in anderen Lebensbereichen ja auch nicht so sein muss. Gleich wieder ein paar Stufen höher gehängt: Wer Witze über den Propheten Mohammed macht, ist ja auch nicht zwangsläufig ein Islam-Gegner. Wer sich über den Papst lustig macht, hasst nicht zwangläufig das Christentum oder auch nur die katholische Kirche. Vor drei Wochen war es der Welt noch sehr wichtig, dass Satire alles darf. Und jetzt kommt diese Diskussion und man kann das Gefühl bekommen: nur bei Frauen nicht.

Darf ein aufgeklärter Geist nicht auch mit Sexismus kokettieren?

Und das verstehen wir nicht. Beziehungsweise ist uns nicht ganz klar, wie ihr das seht. Wie sich das für euch anfühlt. Ich hätte jetzt gesagt, ein aufgeklärter Geist darf genauso mit Sexismus kokettieren wie mit Religionskritik. So wie Alice Schwarzer mit halbwegs abgeklärter Haltung sehr schlechte Witze - oder noch schlimmer: Essays - über den Viagra-Konsum alter, schlaffer Männer fabrizieren darf, müsste man ja auch über den Intimbereich von Frauen nach der Geburt reden können. Aber wenn der Jung das in seinem - wieder nicht sehr klugen - Format. Das Oder ist nicht rhetorisch gemeint. Das hier soll kein hohles Gezündel sein. Es ist eine ehrliche Frage.

Denn natürlich verstehen wir, dass es eklig ist, wenn der dicke Chef seiner Sekretärin einen anzüglichen Drecksspruch presst. Aber das ist doch nicht dasselbe, wie wenn wir das tun. Oder Tilo Jung, den man sicher als vieles empfinden kann, aber doch nicht als Bedrohung. Da ist doch kein Machtverhältnis mehr, das er oder wir zementieren könnten. Ihr und wir, das hat doch die plumpen Unterdrückungsmechanismen von früher hinter sich gelassen. Das ist doch keine Geschlechterfeindschaft mehr, sondern Augenhöhe. Und auf Augenhöhe darf man doch Witze übereinander reißen. Lieber gute. Aber auch schlechte.

Oder übersehen wir da jetzt irgendwas komplett? Ist das am Ende doch noch Blödsinn mit der Augenhöhe? Erklärt bitte mal. Oder, wenn wir jetzt grad echt hart daneben gehauen haben, drescht halt zurück. Tut dieser Kolumne ja auch mal gut.

Im Impressum der Süddeutschen Zeitung stehen 34 Namen. 28 davon sind männlich. Mein Chefredakteur ist ein Mann. Mein Redaktionsleiter ist ein Mann. Mein stellvertretender Redaktionsleiter ist auch ein Mann. Ich bin übrigens eine Frau. Hi! 
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

So viel zum Thema „Da ist doch kein Machtverhältnis mehr, das wir zementieren könnten“. Oder so viel noch, damit es auch wirklich, endlich, abschließend mal bei euch ankommt: Doch. D. O. C. H. Da ist noch ein Machtverhältnis, das ihr zementieren könnt. Ihr überseht das nur gerne. Weil ihr so cool mit uns zusammenarbeitet. Weil ihr keine dicken Chefs seid und wir nicht eure Sekretärinnen sind. Weil ihr denkt „Die können doch alles erreichen, was sie wollen!“ Oder sehr brachial gesagt: Weil ihr Männer seid. Ihr habt halt einfach das verdammte Problem nicht.

 

Und damit es heute mal so richtig schön trocken-brotig bleibt, machen wir gleich weiter mit dem Thema „Ein aufgeklärter Geist darf genauso mit Sexismus kokettieren wie mit Religionskritik“. Klar, das „Satire darf alles!“-Argument ist natürlich immer ein gutes, Meinungsfreiheit und so. Dein Vergleich von Mohammed-Karikaturen und frauenfeindlichen Witzen hinkt aber trotzdem. Sieht man schon an den beiden Begriffen, die du da benutzt hast. Religionskritik? Klingt sehr nach etwas, das man verteidigen muss, was unter die Meinungsfreiheit fällt. Sexismus? Klingt sehr nach etwas, das aus der Welt geschafft gehört. Auch, wenn man damit angeblich nur kokettiert (was ja an sich schon schwierig ist – mit Rassismus zum Beispiel kokettiert man ja auch eher selten).

 

Und dann kann man auch noch mal eins weiterdenken, um zu erkennen, wie sehr dein Vergleich wirklich hinkt: Eine Religion ist ein riesiges weltanschauliches Konstrukt mit unterschiedlichsten Auslegungen, Regelwerken, Ablegern, Ideologien, an denen man sich reiben kann, die vielleicht gegenläufig sind zur eigenen Weltanschauung, sich mit Regeln, an die man sich selbst hält, nicht vertragen und so weiter. Darüber muss man diskutieren dürfen, auch satirisch. Und jetzt ersetz da oben mal „Religion“ durch „Geschlecht“. Merkste was?

 

Steht man mit dem Witz für etwas ein, das es wert ist, Gefühle zu verletzen?

Wobei wir über die Sache mit dem „dürfen“ auch gerne noch mal reden können. Theoretisch, also wirklich ganz abseits von allen Fragen nach gutem Geschmack und gutem Humor, würden wir nämlich schon sagen: Ja, ihr dürft sexistische Witze machen. Aber wir dürfen dann auch was dagegen sagen. Jeder darf gegen alles etwas sagen. Ein Muslim etwas gegen eine Karikatur, die er als islamfeindlich empfindet. Eine Frau etwas gegen einen Witz, den sie als frauenfeindlich empfindet. Was er und sie nicht dürfen: Irgendwo reinrennen und zwölf Menschen erschießen. Um mal im Rahmen deines Vergleichs zu bleiben. Und, das sei der Vollständigkeit halber gesagt: Das macht ja auch keiner von denen. Das machen nur völlig Verblendete, die irgendwo auf ihrem Weg verloren gegangen sind. Aber das ist ein anderes Thema.

 

Also: Immer raus damit! Mit allem! Wer einen Witz reißen will, der soll ihn reißen dürfen, wer sich dadurch diskriminiert fühlt, der soll das sagen dürfen, wer zum einen oder zum anderen hält, soll sich auf dessen Seite schlagen dürfen. Im besten Falle weiß dann der Witzreißer am Ende, wie weit er gehen kann und will, ob er mit seinem Witz für etwas einsteht, das es wert ist, Gefühle zu verletzen, Klischees zu bedienen, Rollenbilder zu forcieren, oder nicht. Oder ob er einfach nur einen Fehler gemacht hat.

 

Zum Schluss vielleicht noch zwei Gedanken. Erstens: Dass sich beim Shitstorm gegen Tilo Jung hin und wieder im Ton vergriffen wurde, räumen wir gerne ein. Internetdiskussionskultur eben, an der müssen wir ohnehin arbeiten. Aber besser Internetdiskussionskultur als gar keine Diskussionskultur. Und zweitens: Wäre ich Satiriker, dann wäre ich jetzt ja schon ein kleines bisschen beleidigt, dass ihr mein Metier und dieses Foto, das Tilo Jung da gepostet hat, in einem Atemzug genannt habt. Obwohl ihr das natürlich dürft. Aber der Satiriker darf dann auch etwas dagegen etc. pp. Ihr wisst schon.  

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