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Unschuldige Diebe?

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7,4 Millionen Dollar Entschädigung müssen Pharrell Williams und Robin Thicke an die Erben des Soulsängers Marvin Gaye zahlen, das entschied nun ein US-Gericht. Der Grund: Ihr Song „Blurred Lines“ sei Gayes „Got To Give It Up“ einfach zu ähnlich. Aber ist das Lied wirklich ein Plagiat? Wir haben über das Urteil mit Heiko Maus, Musikwissenschaftler aus Hamburg gesprochen, der häufig bei Urheberrechtsprozessen als Gutachter im Einsatz ist.

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Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Herr Maus, wenn sie Gutachter in dem Prozess um „Blurred Lines“ gewesen wären, hätten Sie genauso entschieden? Heiko Maus: Ganz bestimmt nicht. Das Urteil überrascht mich wirklich, ich sehe das ganz anders. Und zwar wie? Ich sehe in „Blurred Lines“ keine Urheberrechtsverletzung. Das Lied von Marvin Gaye hat kaum eine explizite Melodie, sondern es lebt vom Rhythmus und vom Groove. Darin sind sich die Lieder natürlich schon sehr ähnlich und daran haben sich Pharrell Williams und Robin Thicke auch sicherlich mit Absicht angelehnt. Aber wir sprechen hier eben nur von einem Groove, einem Retro-Style, und der gilt eigentlich nicht als schutzwürdig.

Für sie gehört das also zur gleichen Kategorien, wie der Fall von Daft Punks "Get Lucky" und einem koreanischen YouTube-Video?

Im Prinzip schon, ja. Bei "Get Lucky" war es eben eine sehr einfach Akkordfolge, die zwangsläufig immer wieder von Komponisten genutzt wird, genauso wie eben ein bestimmter Rhythmus oder ein 1970er-Jahre-Stil. Schutzwürdig ist aber nur das, woran man die Eigenleistung und die Schöpfung des Musikers erkennt, etwas Einzigartiges wie zum Beispiel eine markante Tonfolge.

Pharrell ist jetzt – ich sag mal – nicht der verkopfteste und komplizierteste Songwriter. Das sieht man schon daran, dass gefühlt alle seine Lieder gleich anfangen.

Könnte das der Grund sein, dass ihm häufiger Plagiate vorgeworfen werden?

Das machen viele so, er ist da nicht der Einzige. Aber ja, klar, je einfacher die Musik ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Ähnlichkeiten oder Doppelschöpfungen kommt, dass also zwei Künstler unabhängig voneinander auf die gleiche Idee gekommen sind.

"Doppelkompositionen gibt es immer, keiner erfindet das Rad neu."

 

Wäre ein solches Urteil wie jetzt bei "Blurred Lines" auch in Deutschland möglich gewesen?

Ich glaube nicht. Das Urteil wurde in den USA ja nicht von einem Richter, sondern von Geschworenen getroffen und ich denke schon, dass die einfach beeinflusst wurden von anderen Sachen als den Fakten. Zum Beispiel, dass Thicke in Interviews posaunt hatte, er habe mitkomponiert und Gaye sei ihr klares Vorbild gewesen und im Gericht sagt er dann, er habe damit nichts zu tun und bei den Interviews sei er auf Drogen gewesen. Und am Ende singt er als Beweis irgendwas vor. Ich kann mir gut vorstellen, dass das die Geschworenen negativ gestimmt hat. Für mich hört sich das an wie eine amerikanische Anwaltsserie. In Deutschland ist das Rechtssystem weniger beeinflussbar, denke ich, die Fakten wiegen mehr und auch die Rechtslage ist ein bisschen anders.

Wird dieses Urteil in den USA trotzdem vielleicht bei uns irgendwas ändern?

Wie gesagt, in Deutschland liegen die Dinge ein bisschen anders. Aber es könnte schon sein, dass sich damit etwas verändert. Ich erinnere mich an den Prozess: Kraftwerk gegen Sabrina Setlur. Die Band hat den Prozess gewonnen, obwohl Setlur nur eine zweisekündige Sequenz benutzt hatte. Mehr einen Klang als eine Melodie oder Ähnliches. Bis dahin dachte man immer, Sounds könne man nicht schützen. Seit dem Urteil gehen aber immer mehr Künstler gegen Plagiate in diese Richtung vor.

 

Gary Moore verlor 2008 auch einen Rechtsstreit. Das Gericht entschied, dass sein Hit "Still Got The Blues" ein Plagiat des Songs einer deutschen Band sei, von der er vermutlich noch nie im Leben etwas gehört hatte. Gibt es für Künstler denn eine Möglichkeit, sich gegen solche Plagiatsvorwürfe abzusichern? Sonst kann ja bald jeder kommen und sagen, den Groove, den Sound oder die Melodie hatte ich schon vorher.

Das ist schwierig. Künstler können ihre Kompositionen beim Notar beglaubigen lassen, dann können sie zumindest beweisen, wann sie sie geschrieben haben. Und natürlich können sie Musikgutachter wie mich fragen, wie ähnlich eine Komposition einem bereits existierenden Lied sein darf. Aber Doppelkompositionen gibt es immer und das Rad neu erfinden kann auch keiner. Es war eben eigentlich alles schon da und wenn etwas Mode ist, klingt eben vieles gleich, das war schon im Rock'n'Roll so, oder Ende der 1980er beim Euro Dance. Das war auch alles eine Soße.

 

Geht es ihnen oft so, dass Sie die Charts hören und denken: "Oh man, wenn da einer klagen würde, die wären geliefert?"

Ja, so wie ich mich über manche Urteile wundere, gibt es mindestens genauso viele Fälle, bei denen ich mir denke: "Warum klagt da denn keiner?" Das denke ich vor allem bei Werbemusik. Dort ist es ziemlich üblich, dass Komponisten den Auftrag bekommen etwas zu liefern, "was so ähnlich klingt wie...", weil die Unternehmen oder Agenturen für den echten Song nicht zahlen wollen. Wenn auch das in Zukunft unter Plagiat fällt, könnten viele Werbekomponisten Schwierigkeiten bekommen.

 
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