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Teil 2: Manchmal werden aus Liebesbriefen Abschiedsbriefe

Text: hoseki

Wir haben Drachen steigen lassen, weil das unberechenbare Zerren des Windes in den Leinen das einzige Maß war, mit dem sich unsere ungebändigten Gefühle messen ließen.

Wir waren Schlitten fahren, weil wir die Kälte nicht spüren konnten, wenn wir beieinander waren, haben im wunderbar weißen Schnee eine gemeinsame Spur hinterlassen und vergessen, dass sich parallele Linien nie berühren.

Wir haben mit unseren Vanilleeislöffel- und Spaghettigabelzeptern weise und gerecht über das Land Netflix regiert und über jede dissonant mitgepfiffene Titelmelodie gelacht. Wie unmusikalisch wir sind, haben wir gesagt und geglaubt, dass das der Grund ist warum wir nie gemeinsam den gleichen Ton getroffen haben.

Wir sind gemeinsam durch Wochenmarktmenschenmassen geschwommen, die Berührung unserer Hände unser Anker im bunten Meer aus Früchten. Unsere Einkäufe griffen wie ein Regenbogen ineinander. Wir haben lange nicht gemerkt, dass das daran lag, dass wir die Farben des anderen nicht sahen.

Statt zu schlafen haben wir nachts Kaffee getrunken, um länger die Sterne anschauen zu können und wenn es keine gab, dann haben wir sie in unseren Atem an die Fenster gemalt. Irgendwann merkten wir, dass die Sterne jede Nacht gleich funkeln, wir wurden müde.

Wir haben über den Dächern der Stadt die Nacht zum Tag werden lassen und geglaubt, dass die Realität in das gnädig sanfte Licht des heranbrechenden Tages getaucht ist, dass die Dämmerung ewig dauert und dass auf die Dunkelheit immer goldene Helligkeit folgt.

Wir haben mit unseren Fingerspitzen Landkarten auf unsere Körper gemalt, haben immer neue Details ergänzt und immer noch eine weitere Höhenlinie eingezeichnet. Irgendwann waren keine weißen Flecken mehr da und wir wussten, dass du lieber die Berge magst und ich lieber das Meer.

Wir sind gemeinsam rausgegangen, durch Ebenen, Flussbetten, über Brücken, Berge, an Gletschern vorbei und durch Urzeittäler. Haben uns gemeinsam den Wind um die Nasen wehen lassen und uns nicht eingestanden, dass uns der Geruch nach Freiheit gefällt, wenn wir nachts alleine in unseren Schlafsäcken lagen.

Wir haben aufgehört zu sprechen und gesagt: „das ist die Vertrautheit“. „Man muss auch miteinander schweigen können“ haben wir gesagt.

Wir haben aufgehört uns anzusehen und gesagt: "das ist die Vertrautheit". "Es reicht mir deine Anwesenheit zu spüren" haben wir gesagt.

Wir haben aufgehört uns zu berühren, haben nicht gespürt wie das Feuer erlischt, habe nicht gesehen, wie die Funken verglühen, haben uns gewundert warum wir im Dunkeln stehen und frieren und als wir versuchten nacheinander zu rufen stellten wir fest, dass wir vergessen haben wie wir heißen.

Ich glaube Abschiedsbriefe sind die besseren Liebesbriefe.

Weißt du noch damals? Die Sonne, die Wärme, die ewigen Sommertage? Das Drachensteigen lassen, die Sternenhimmel? Erinnerst du dich an das goldene Licht, den Herbst, die aufblitzenden Figuren in wirbelnden Blätterhaufen, die Wolkentiere? Weißt du noch damals? Der schneeweiße Winter, der alles zum Leuchten gebracht hat? Eine riesige Leinwand für unsere Phantasie. Erinnerst du dich?

Leb wohl!

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