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Die schwierigen Ponys

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Am berühmtesten ist „Fury“. Fury ist der Held eines Romans aus den Vierziger Jahren, ein schwarzer Mustang, den ein Rancher in den USA einfängt und der nicht zu bändigen ist. Nur einer schafft’s, nur einer kann Fury reiten, nur auf die Rufe eines einzigen Menschen hört er. Und dieser Mensch ist das Gegenteil des sehr großen und sehr wilden Pferdes. Es ist Joey, ein kleiner Waisenjunge.

Es gibt viele dieser Geschichten. Sanftes Kind bändigt wildes oder rettet vom Tode bedrohtes Pferd. Ganze Jugendbuchregalmeter sind voll davon, von „Black Beauty“ bis „Das Mondpferd“. Robert Redford hat mit „Der Pferdeflüsterer“ die Chose sogar noch für Erwachsene verfilmt. Vermutlich hauptsächlich für Frauen. Wie auch die Bücher hauptsächlich von Mädchen gelesen werden. Und diesen Mädchen wird mit diesen Geschichten eine verklärend-romantische Einstellung eingeimpft: Es sind die schwierigen Ponys, die am interessantesten sind – und du bist am interessantesten, wenn du mit ihnen umgehen kannst. Manche tragen diese Einstellung ihr Leben lang mit sich herum. Und ersetzen „Ponys“ durch „Menschen“.

Meistens dann, wenn Jungs allmählich interessanter werden als Haflinger. Auch dafür gibt es ein literarisches Beispiel: Anna Todd, die Autorin, die mit ihren Fan-Fiction-Storys über die Boyband „One Direction“ bekannt wurde, machte aus Harry Styles, dem Sänger der Band und Protagonisten ihrer Geschichten, ein ziemliches Arschloch. Einen schwierigen, launischen Typen, der Tessa, die natürlich sehr sanft und sehr süß ist, immer wieder sitzen lässt. Aber sie ist total fasziniert von ihm und will unbedingt sein wahres Ich finden. Ihn zähmen eben. Die Roman-Reihe „After“, die daraus entstanden ist, ist wahnsinnig erfolgreich. Millionen Mädchen und sicher auch einige Jungs träumen vom Typ „schwieriges Pony“ und seiner Zähmung.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Dieses Zähmungs-Szenario ist so beliebt, dass es schon in ganz alltäglichen Situationen auftaucht. Denn mittlerweile bist du der Star in deinem Freundeskreis, wenn du es schaffst, dich in dem hippen Café, in dem die Gäste aus Prinzip schlecht behandelt werden, zum Stammgast hochzuarbeiten. Durch stete Präsenz und eine Art, die man am besten wohl als „sanftes Selbstbewusstsein“ beschreiben könnte. Bis der Kellner mit dem sonst so bockigen Gesichtsausdruck dich irgendwann freudig begrüßt. Deine Freunde aber weiterhin ignoriert. Sieg für dich.

Das ist das Gleiche wie früher auf dem Ponyhof, als alle staunten, wenn Lena die Stute, die eigentlich immer gegen die Bande tritt, wie eine Eins durch die Bahn ritt. Und es ist auch das Gleiche, wenn die Freundinnen heute in der Kneipe darüber sprechen, dass sie erst gar nicht verstehen konnten, wieso Jana mit Philipp, wo der doch immer so mies drauf, aber jetzt und mit ihr scheint er ja ganz anders, sie tut ihm so gut etc. pp. Sieg für Lena und Jana, die anscheinend innerlich so ausgereift und mit sich und allem anderen so im Reinen sind, dass sie noch genug Kapazität übrig haben, eine Stute oder einen Mann aufzurichten. Das alles natürlich nur unter der Vorgabe, dass sie die Stute oder den Mann sehr mögen, eh klar. Die machen das ja nicht für jeden.

Hinter der Faszination für das „schwieriges Pony“-Phänomen steckt zum einen der Gedanke, dass wer wild und schwierig ist, auch irgendwie edel und stolz ist. Wie Fury eben, der den Kopf immer sehr hoch trug und dessen Fell immer glänzte. Und jeder möchte ja lieber mit edlen und stolzen Menschen zu tun haben als mit Würstchen ohne Rückgrat.

Zum anderen spielt da ein Gefühl mit hinein, das eigentlich nie eine gute Grundlage für zwischenmenschliche Beziehungen ist: Mitleid. Die schwierigen Ponys aus den Büchern sind ja meist nicht ohne Grund schwierig. Irgendjemand war mal nicht gut zu ihnen, sie haben schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, sie sind verstört und ängstlich. Aber weil sie nun mal Pferde sind äußert sich das nicht durch Rückzug und Kopf-unter-die-Decke-Stecken, sondern leider, indem sie treten und beißen. Das Leid wird in Kraft umgewandelt, ein Effekt, den man schon spannend finden kann und der Pferden erlaubt ist. Und ja, anscheinend auch Menschen (vor allem Männern, denen zumindest immer noch mehr als Frauen). Da greift die alte Phrase von der harten Schale und dem weichen Kern. Die harte Schale wird mit der schwierigen Vergangenheit entschuldigt – und herzlichen Glückwunsch an denjenigen, der es schafft, sie zu knacken und zum weichen Kern durchzudringen.

Das ist der nächste Punkt, der die Sache mit den schwierigen Ponys so reizvoll macht. Nämlich der Gewinn für denjenigen, der die Schale knackt. Die Menschen, die die schwierigen Ponys zähmen, sei es nun Joey, der Weisenjunge, oder die sanftmütige Tessa, sei es nun Lena oder Jana, sie alle haben so eine Aura von Ruhe, Opferbereitschaft und Selbstaufgabe. Sie sind wie Heilige oder Magier, die ganz selbstlos handeln, ohne sich dabei zu verlieren oder daran zu zerbrechen. Sie machen die Welt ein bisschen besser, indem sie das Pony oder den anderen Menschen besser machen. Die Mär von diesen guten Menschen ist vielen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie allen, die gut mit schwierigen Charakteren können, automatisch eine positive Ausstrahlung und kraftvolle Ruhe zuschreiben. Sie machen wohl etwas richtig, das man nicht lernen kann, das angeboren ist, denkt man. Und die heiligen Dompteure selbst wissen das auch. Der Stammgast im Café ist stolz auf seine Sonderstellung und Jana ist stolz, dass Philipp ihr alleine aus der Hand frisst und die anderen darüber staunen.

Das Problem am „schwieriges Pony“-Phänomen ist, dass damit schlechtes Benehmen entschuldigt wird. Hufeisenabdrücke auf dem Oberschenkel genauso wie miese Laune, die man an jemand anders auslässt. Am Ende geht es bei all dem wohl um Macht – oder zumindest um ein Gefühl von Macht. Das schwierige Pony hat immer erstmal mehr Kraft und mehr Macht als du. Aber dann kommt die sanfte Hand ins Spiel und zeigt, dass sie eigentlich viel mächtiger ist. Scheinbar. Manchmal siegt das Sanfte ja wirklich. Aber manchmal belügt man sich auch einfach nur selbst und lässt alles mit sich machen, um einer der heiligen Dompteure zu sein.

In der Fernsehserie zum Fury-Roman gibt es immer wieder diese Szene, in der man das Verklärende uns leicht Kitschige am „schwieriges Pony“-Phänomen gut sieht: Joey ruft das Pferd und es kommt angaloppiert, die Mähne weht, die Steine spritzen. Dann stoppt es. Und damit der sehr kleine Junge auf den sehr hohen Pferderücken steigen kann, geht Fury vor ihm in die Knie.

Text: nadja-schlueter - Collage: Daniela Rudolf

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