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Vereinigte Saaten

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jetzt.de: Herr Westengen, Sie betreuen den Svalbard Global Seed Vault, einen Saatguttresor auf Spitzbergen. Die Anlage erinnert er an die Residenzen der Bösewichte in James-Bond-Filmen: viel Beton, weitab der Zivilisation, im ewigen Eis.
Ola Westengen: Ach, der Tresor steht gar nicht besonders weitab, er liegt in der Nähe des Flughafens Longyearbyen. Die Architektur ist aber tatsächlich einprägsam. Für das Lager wurden drei tunnelartige Kammern 130 Meter tief in den Berg gesprengt. Auf Spitzbergen herrscht Permafrost, der Boden ist immer gefroren, deswegen beträgt die natürliche Temperatur im Inneren minus vier bis minus sechs Grad. Die Räume werden aber, wie in einer Gefriertruhe, auf minus 18 Grad gekühlt.

Wie viele Saatgutsendungen erreichen Sie im Jahr?
Im Moment öffnen wir den Tresor drei- bis viermal im Jahr. Wir bitten die Genbanken, ihre Samen zu einer bestimmten Zeit nach Oslo zu schicken. Von dort organisieren wir den Transport nach Spitzbergen. Im April erwarten wir zum Beispiel eine große Lieferung Reis-Saaten vom International Rice Research Institute auf den Philippinen.

Wissen Sie, wie viele deutsche Samenmuster gerade auf Spitzbergen lagern?
13 000. Das sind allerdings Muster, die ihren Ursprung in Deutschland haben. Die gesamte Zahl der Sendungen vom IPK (Anm. d. Red.: Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, Gatersleben) ist höher.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Saatenbunker in Spitzbergen

Aber was hat das IPK von den Duplikaten mitten im Arktischen Ozean?
Machen Sie ein Back-up der Daten auf Ihrem Computer?

Nicht so häufig, wie ich sollte.
Genauso wie Sie ein Back-up Ihrer Daten machen sollten, macht jede gute Genbank ein Back-up ihres Saatguts. Bislang haben das aber nicht alle Genbanken auf der Welt gemacht. Mit uns haben sie dazu die Möglichkeit.

Wenn das so wichtig ist – warum hat es dann bis 2008 gedauert, ehe der Tresor eröffnet wurde?
Lange Zeit gab es in vielen Ländern Misstrauen, die eigenen Ressourcen zu teilen – die Sorge, andere könnten das Saatgut nutzen, daraus Geld machen oder es sogar patentieren lassen, war groß. Nach vielen Jahren mit Verhandlungen trat 2004 der „International Treaty on Plant Genetic Resources for Food and Agriculture“ in Kraft. Zum ersten Mal gab es einen rechtlichen Rahmen für den Umgang mit Saatgut, für die gemeinsame Nutzung in der Forschung oder in der Landwirtschaft.

Und als es diesen Rahmen gab …
… war es endlich möglich, einen Platz für ein globales Back-up vorzuschlagen. Norwegen bot an, das zu machen. 2008 war die Einrichtung fertig.

Dürfen Sie die Sendungen öffnen?
Nein. Wir lagern das Saatgut unter „Black Box Conditions“. Das ist wie bei einer Bank: Wenn Sie dort Juwelen in einen Tresor le- gen, dann haben nur Sie Zugang zu diesen Juwelen.

Hat schon eine Genbank auf das Back-up zugegriffen?
Nein. Aber einige der Genbanken, mit denen wir arbeiten, haben früher schon Probleme gehabt.

Welche?
Auf den Philippinen zum Beispiel gab es einen Taifun, der die Genbank beschädigte. Dieselbe Einrichtung wurde ein anderes Mal von einem Feuer heimgesucht. Auch ein Krieg bringt diese Sammlungen in Gefahr. Einer unserer größten Nutzer ist gerade eine Genbank im syrischen Aleppo. Die haben bei uns ein Backup von mehr als achtzig Prozent ihrer Muster hinterlegt.

>>> Ola Westengen über den Klimawandel, nordkoreanische Samen und darüber, wie lange die Saaten eigentlich haltbar sind.



Da gibt es nun diesen Ort im Eis, zwischen Nordpol und Norwegen, an dem verschlossene Boxen lagern, deren Inhalt – vielleicht – nach einer Katastrophe genutzt wird. Der Gedanke daran erzeugt ein unheimliches Gefühl. Geht es bei dem Lager wirklich nur um den praktischen Nutzen?
Der Saatguttresor hat auch einen symbolischen Wert. Die Tatsache, dass es ganz oben auf der Weltkugel einen Ort mit Samen gibt, mit denen man die Landwirtschaft neu beginnen könnte, übt einen gewissen Reiz aus. Waren Sie sich darüber im Klaren, dass Sie in Deutschland mit der IPK eine fantastische Genbank haben?

Nein.
Die machen sehr wichtige Arbeit, wenn sie forschen und die genetische Diversität bewahren. Nun mögen viele Menschen nie vom IPK gehört haben. Sie haben aber vielleicht von Spitzbergen und dem Tresor im Eis gehört. Die Lage macht es leichter, die Problematik zu verstehen.

Wie meinen Sie das?
Der Klimawandel ist eine Bedrohung für die landwirtschaftliche Produktion auf der Erde und für unsere Versorgung mit Nahrung. Mit dem Tresor können wir leichter kommunizieren, dass wir dringend genetische Variabilität brauchen, um die landwirtschaftlichen Kulturpflanzen dem Klima der Zukunft anzupassen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ola Westengen, 37, studierte Natural Resource Management und koordiniert heute den Betrieb des Tresors in Spitzbergen. Dort lagern derzeit mehr als 800 000 verschiedene Saatgutmuster.

Es geht also vor allem um eine Versicherung: Weil niemand das Klima der Zukunft kennt, heben Sie alle denkbaren Saatgutvarianten im Eis auf, um für künftige Anforderungen gewappnet zu sein?
Genau. Viele Pflanzen sind heute gut angepasst. Aber wir wissen, dass sich die Bedingungen ändern werden. Deshalb müssen wir Optionen konservieren.

Wie ist es, in den Kammern zu arbeiten?
Einmalig. An keinem Ort der Erde gibt es eine größere Biodiversität. Wir konservieren das natürliche und zugleich das kulturelle Erbe der Welt, unabhängig von Ländergrenzen. Im Tresor liegt zum Beispiel das Saatgut von Nordkorea neben dem von Südkorea.

Wie lange ist dieses Erbe haltbar? Die Samen halten doch nicht unendlich lange.
Das hängt von der Pflanze ab. Manche können nur wenige Jahre gelagert werden, ehe man neue ziehen und lagern muss. Andere können unter Umständen 1000 Jahre bleiben. Die Genbanken machen regelmäßig Tests zur Keimfähigkeit. Wenn ihre eigenen Saaten nicht mehr lebensfähig sind, ist es Zeit, neue zu ziehen, zu ernten und einzulagern. Der Tresor ist also keine Zeitkapsel, sondern ein dynamisches System.

Zeichnet es den Menschen aus, dass er in die Zukunft blicken und so etwas wie den Tresor anlegen kann?
Die Menschen haben Saatgut aufbewahrt, seit es Landwirtschaft gibt. Ein solches Lager ist eine fundamentale Ressource für unser Überleben.


Text: peter-wagner - Fotos: Mari Tefre & Cary Fowler; Global Crop Diversity Trust

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