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Die Garnelen-Gang

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"Ich habe das Gefühl, dass wir in den letzten Tagen mehr hätten schaffen können“, sagt Julian. Wolfgang nickt: „Wir müssen vor allem unsere Aufgaben untereinander schneller verteilen.“ Hannes greift zum Filzstift und schreibt „schneller delegieren“ an das Flipchart.

Die drei Jungs treffen sich an einem Augustnachmittag in ihrem Büro im Münchner Norden. Grauer Teppichboden, eine Pinnwand voller Post-its, eine Tischgruppe mit mehreren Laptops darauf. Im Bücherregal stehen faustdicke Wälzer über Meeresbiologie, Ratgeber zur Aufzucht von Wassertieren, Handbücher für Unternehmensführung – seit Monaten beschäftigen sich Hannes Rosenberger, Julian Müller und Wolfgang Niggl mit nichts anderem. Ihr Plan: Sie wollen Garnelen züchten. In Bayern.

Wolfgang ist 34 und promovierter Meeresbiologe. Julian, 27, war vor ein paar Jahren noch sein Student. Als Biologen wissen sie, dass die Abwässer von großen Garnelenfarmen in Südostasien und Mittelamerika ganze Korallenriffe zerstören können. „Ich habe schon lange keine Lust mehr, Garnelen aus dem Supermarkt zu essen“, sagt Wolfgang. Aber eine Garnelenaufzucht müsste doch auch nachhaltig möglich sein, haben sie sich überlegt. Und eine eigene Garnelenfarm irgendwo auf dem Land, das wär's doch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zukünftige Garnelenfarmer: Hannes, Julian und Wolfgang (v. l. n. r.).

Im Herbst 2011 saßen sie mit Hannes, 27, in einem Münchner Biergarten. Hannes und Julian sind zusammen aufgewachsen und haben schon zu Sandkastenzeiten beschlossen, später mal auf einem Bauernhof zu wohnen. Trotzdem haben Julian und Wolfgang eigentlich nur zum Spaß von ihrer Idee mit der Garnelenfarm erzählt. Aber Hannes war sofort begeistert. Er hatte gerade ein Thema für seine Diplomarbeit in BWL gefunden: „Strategieorientierte betriebliche Standortplanung für eine Aufzucht tropischer Garnelen in Deutschland“. Und mit der Garnelenfarm wurde es plötzlich ernst.

Sie haben sich eingelesen, im Internet recherchiert, mit Professoren gesprochen. Und sie haben sich mit dem „Projekt Bayerische Garnele“ für ein Gründerstipendium beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beworben. Im März 2014 wurde ihr Antrag bewilligt. Bis Juni diesen Jahres haben sie Zeit, eine Modellanlage zu bauen, im kleinen Maßstab Garnelen zu züchten und einen Business-Plan auszuarbeiten. Mit Finanzierungskonzept, Konkurrenzanalysen, Vertriebsmodell. Betreut werden sie dabei von einem Mentor an der TU München.

Ein Garnelenbauernhof in der bayerischen Provinz – das ist eine sehr kuriose Idee für ein Start-up. „Ein Start-up zu gründen ist wie forschen: Man versucht herauszufinden, ob eine Idee funktioniert oder nicht“, sagt Flörian Nöll, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutsche Start-ups. Die Gründerszene wächst dabei mit jedem Jahr: „Für den Zeitraum der letzten zehn Jahre lässt sich sicherlich sagen, dass wir im Moment den Höchststand erreicht haben.“ Dementsprechend schwierig ist es für ein junges Start-up, seine Nische zu finden. „In Deutschland gibt es derzeit etwa 5000 Start-ups“, sagt Nöll, „und jährlich kommen rund 1000 Neugründungen dazu“. Diese Zahl sei relativ, da jedes Jahr auch Gründungen aus dieser Statistik fallen. Weil sie sich als Unternehmen etabliert haben, oder aber, weil sie mit ihrer Idee gescheitert sind. Der Bundesverband setzt dabei eine klare Grenze: Nach fünf Jahren sollte eine junge Firma wissen, ob sie sich am Markt behaupten kann oder nicht. „Ungefähr die Hälfte aller Start-ups überlebt“, sagt Florian Nöll. Für die drei Freunde und ihren Traum von der bayerischen Garnele bedeutet das leider auch: Die Chancen stehen nicht sehr gut.

Zwei Wochen nach dem Treffen im Büro stehen Hannes und Wolfgang morgens um 7.30 Uhr vor dem Institut für Fischerei (IFI) in Starnberg. Wolfgang tritt aufgeregt auf der Stelle und schaut nervös auf sein Handy: „Endlich geht’s los.“ Sie warten auf Ulrich Pfeffer, einen professionellen Anlagenbauer, mit dem sie heute ihre Modellanlage aufbauen, genauer gesagt: ihre Kreislaufanlage. Dabei sind mehrere Becken miteinander verbunden und das Wasser wird von Becken zu Becken gepumpt. Am Ende läuft es durch einen Schmutzfilter wieder zurück. So muss es nicht ausgetauscht werden, das spart Energie und Wasser.

Während die Jungs in ihrem Büro die organisatorischen Arbeiten erledigen, passiert im IFI die praktische Arbeit. Seit Juli dürfen sie als Gäste des Instituts zwei Versuchsräume nutzen und für ihr Projekt forschen. „Technisch ist es ohne Weiteres machbar, tropische Garnelen in beheizten Anlagen aufzuziehen“, sagt Helmut Wedekind, der Leiter des Instituts. „Aber für die Kontrolle der biologischen Prozesse in den Zuchtanlagen braucht man Spezialwissen.“ Deshalb berät er die drei Jungs, trifft sich regelmäßig mit ihnen und hilft aus, wenn sie bei fachlichen Fragen nicht mehr weiterwissen. „Versuchsraum 3“ steht an einer der Türen, darunter „Zutritt nur desinfiziert!“ Öffnet man sie, dringt ein quirliges Blubbern in den Gang. Es ist die Sauerstoffanlage der Aquarien. Noch vor dem eigentlichen Testlauf mit der Modellanlage haben Julian, Hannes und Wolfgang eine kleine Lieferung Garnelenlarven bestellt und in herkömmliche Becken gesetzt. Um schon mal auszuprobieren, womit man die Tiere am besten füttert oder wie hoch der Salzgehalt des Wassers sein muss.

Endlich parkt der Anlagenbauer Pfeffer vor dem Eingang. Hannes und Wolfgang helfen, die unzähligen Bauteile nach drinnen zu verfrachten. Hannes hat sich zuvor noch in die passende Arbeitsklamotte geworfen: Zu seinem weißen T-Shirt trägt er rote Shorts mit Garnelenmuster.



Stundenlang drängen Pfeffer und die beiden Jungs sich um das Stahlgerüst, in dem die riesigen Becken befestigt sind. Sägen Plastikrohre zurecht, drehen Dichtungen in Löcher, schließen das Filterbecken an. Um 16 Uhr ist es dann so weit: Die Anlage steht, alle prosten sich mit ihren Speziflaschen zu. Bis dahin waren sie der Herr Pfeffer, der Herr Niggl und der Herr Rosenberger. Als das erste Becken mit Wasser vollläuft, sind sie der Uli, der Wolfgang und der Hannes.

„Wenn das Ding jetzt zusammenkracht, ist alles vorbei“, sagt Wolfgang in die Runde. Ein Witz. Dann aber: ein kurzes Knacken, schon zerspringt eines der Becken. Das Wasser strömt zu Boden, Hannes und Wolfgang stürzen vor Schreck aus dem Raum, Herr Pfeffer schaut nach der Ursache. Während Wolfgang in einen Aktivitätsrausch verfällt, nach Putzlumpen und Eimern eilt, steht Hannes einen Moment lang neben sich. Es ist vorbei – zumindest für diesen Abend.

Start-up-Gründer müssen viele Rückschläge hinnehmen. Gleichzeitig müssen sie weit in die Zukunft denken. Obwohl es noch gar keine Garnelen gibt, geschweige denn eine Garnelenfarm, müssen Hannes, Julian und Wolfgang in ihrem Testjahr alles durchplanen, sie müssen auf eine ungewisse Zukunft hinarbeiten als sei sie schon Gewissheit. Und sie müssen vor der Gründung herausfinden, ob sie als Team harmonieren. „Zwei Drittel aller Start-ups werden von mehreren Personen gegründet“, sagt Florian Nöll vom Bundesverband Deutsche Startups, „da merken viele nach einer Weile, dass das Team nicht funktioniert.“ Beobachtet man die drei Jungs bei ihrer Arbeit, bekommt man aber nicht den Eindruck, als müssten sie sich darüber Gedanken machen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Hannes' VW-Bus ist so etwas wie der Firmenwagen des Projekts Bayerische Garnele.

Im Oktober 2014 sitzen sie in Hannes’ silbernem VW-Bus, auf dem Weg nach Kirchweidach in Oberbayern. Hannes hat den Ort in seiner Diplomarbeit als passenden Standort ermittelt. Unter anderem, weil dort ein Geothermiekraftwerk steht, dessen Abwärme sie zur Beheizung ihrer Anlage nutzen könnten.

Als sie aussteigen, schlägt ihnen ein nasskalter Herbstwind entgegen. Der Besitzer des Hofes wartet bereits. Da er anonym bleiben will, nennen wir ihn Herr Huber. Er führt die drei Jungs in den Stall. Die Größe wäre ideal. Wolfgang und Hannes schildern Herrn Huber, was sie vorhaben. Erzählen von den Garnelen und den Becken. Sie sagen ihm auch, dass sie ein wenig umbauen müssten, den Boden begradigen, Büroräume schaffen. Herr Huber spricht es zwar nicht aus, aber man merkt: Das gefällt ihm nicht. Er ist ein eingesessener älterer Herr, gewohnt an seine Umgebung. Ein Bauer aus der Region, der den Stall ebenfalls pachten möchte, wäre ihm wohl lieber – der nämlich will den Stall nur als Lagerfläche nutzen. Nichts umbauen, nichts verändern.

„Herr Huber, haben wir denn eine Chance?“, fragt Wolfgang. Herr Huber weicht aus, gibt keine klare Antwort. Julian greift deswegen zur emotionalen Strategie: „Es hätte natürlich auch etwas Idealistisches, wenn Sie uns den Stall geben.“ – „Ach, für Idealismus bin ich zu alt.“ – „Aber es wäre doch auch schön, wenn wieder ein wenig Leben auf den Hof kommt.“ – „Nein, das wäre gar nicht schön. In meinem Alter will ich meine Ruhe haben.“ Eine Viertelstunde später stehen Hannes, Julian und Wolfgang an einem Feld in der Nähe des Geothermiekraftwerks, das sie ursprünglich schon einmal für ihre Anlage vorgesehen hatten – dann halt doch Gewerbegrund kaufen und eine Halle bauen. Spruchreif wird ihr Plan ohnehin erst, wenn eine ganz andere Frage geklärt ist: Ob die Tiere überhaupt wachsen. Ob es ihnen während ihres Testjahres gelingt, Garnelen aufzuziehen.

Der 9. Oktober 2014. Es ist der vorläufig wichtigste Tag für das Projekt Bayerische Garnele. Mehrere Wochen sind vergangen, seit der Riss den Beckenboden gesprengt hat. Mittlerweile ist alles repariert und die Modellanlage kann mit Garnelen bestückt werden. Hannes und Julian sitzen wieder im VW-Bus, diesmal auf dem Weg zum Münchner Flughafen. Seit gestern Abend wissen sie: Um 7.50 Uhr landen ihre Garnelen mit dem Flug DL130 aus den USA. 5000 Larven der Familie „Litopenaeus vannamei“ – besser bekannt als White Tiger Garnelen. Mit diesen Tieren wollen sie herausfinden, ob ihr Traum vom Garnelenbauernhof realisierbar ist.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Garnelenlarven haben Hannes, Julian und Wolfgang extra in den USA bestellt.

„Live Tropical Fish“ steht auf der Schachtel, sie ist bunt bedruckt mit Fischen, Algen und Sauerstoffblasen. Und überraschend klein. „Die hab' ich mir größer vorgestellt“, wundert sich Julian, als das Flughafenpersonal die Transport-Box auf einem Rollwagen durch das Tor schiebt. „Egal“, sagt Hannes, „lass sie uns schnell ins Auto packen“. Nach dem langen Flug in einer dunklen Box sollten die Larven möglichst kein Sonnenlicht abbekommen und vorsichtig akklimatisiert werden.

Wer in Bayern einen Garnelenbauernhof aufziehen will, braucht einen langen Atem. Hannes, Julian und Wolfgang merken das immer wieder. Denn sie setzen die Larven zwar erfolgreich in ihre Modellanlage ein – doch im Dezember sterben auf einmal viele von ihnen. Der Kannibalismus in den Becken ist hoch, die Tiere fressen sich gegenseitig auf. Aufgeben wollen die drei deshalb nicht: Ende Januar kommt eine weitere Ladung Garnelenlarven an. Ein neuer Versuch.

Jetzt haben sie noch drei Monate Zeit, dann läuft die Förderphase des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie aus. Bis dahin wollen sie weiter forschen, um zu verstehen, wie sich Garnelen in solchen Kreislaufanlagen verhalten. „Wir müssen noch viel lernen“, sagt Julian, „das wird auch nach dem Testjahr nicht vorbei sein“.

Die Jungs vom Projekt Bayerische Garnele können noch nicht abschätzen, ob ihre Garnelenfarm irgendwann Realität wird. Ob die Bank ihnen dafür Geld gibt. Ob es nicht doch eine Nummer zu groß ist. Manchmal zweifeln sie an ihrem Plan. „Jeder rät uns davon ab“, sagt Julian und zuckt mit den Achseln. Es seien hierzulande schon mehr Menschen auf die Idee gekommen, Garnelen zu halten. Viele seien gescheitert.

Warum glauben sie dennoch, dass es bei ihnen funktionieren könnte? „Weil wir bisher für alles eine Lösung gefunden haben“, meint Julian, „auch wenn wir noch nicht das größte Know-how haben“. „Außerdem sind wir gut vernetzt mit der Uni, das ist viel wert“, sagt Hannes. Wolfgang sieht noch einen anderen Vorteil: „Wir haben ein Jahr Zeit, das alles zu testen. Das hatten die meisten vor uns nicht.“

Es hängt viel von dem ab, was in den kommenden Monaten in Versuchsraum 3 passiert. Sicher ist nur eins: Wenn sie die ersten Tiere ernten, wollen sie ihre Freunde zum Essen einladen, sagt Julian. „Dann gibt’s Nudeln mit Garnelen.“


Text: josef-wirnshofer - Fotos: Juri Gottschall

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