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Ich liebe Frauen, ich suche einen Mann

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Nachdem Mariam Khalil ihren Eltern vorgestellt hat, ist es still im Raum. Das junge Paar sitzt etwas schüchtern auf dem Sofa. Dann endlich sagt die Mutter, dass sie findet, dass die Beiden sehr gut zusammenpassen. Mariam antwortet mit einem nervösen Lächeln und verschüttet beinahe den Kaffee, den sie sich gerade einschenkt. Nach dem Abendessen verabschiedet sich das Paar mit Küsschen links, Küsschen rechts. Als Mariam die Tür hinter Khalil schließt, steht ihre Mutter zufrieden daneben. Endlich wird ihre einzige Tochter unter die Haube kommen. Was sie nicht weiß: Ihr Schwiegersohn in spe ist schwul. Und Mariam ist lesbisch. Nicht nur ihre Mutter darf davon nichts wissen. Niemand darf es erfahren. Denn hier im Libanon ist Homosexualität noch immer strafbar. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mariam lebt in Beirut, hier lernte sie ihre erste große Liebe kennen: Doch ein lesbisches Paar hat in Libanon keine Zukunft.

Der Nachmittag bei Mariams Eltern ist jetzt zwei Jahre her. Die 25-Jährige erinnert sich aber noch sehr gut daran. An das Herzklopfen, die feuchten Hände, die Angst, der Schwindel könnte auffliegen. „Lavendel-Ehe“ nennt sich das Konzept, in dem ein Schwuler eine Lesbe oder Heterofrau heiratet, um seine Sexualität geheim zu halten. Eine Ehe ohne Sex wird als weiße Ehe bezeichnet, der abgewandelte Begriff der Lavendel-Ehe hat sich über Jahrzehnte hinweg in der Homosexuellenszene entwickelt – angeblich war der Lavendelstrauß im frühen 20. Jahrhundert ein Erkennungszeichen unter Homosexuellen. Berühmtheiten wie Oskar Wilde und Elton John sollen Lavendel-Ehen mit heterosexuellen Frauen geführt haben. Seltener kommt es vor, dass beide Partner homosexuell sind wie Mariam und Khalil. 

Im Libanon kämpfen einige Aktivisten für mehr Toleranz gegenüber Homosexuellen. Seit mehr als zehn Jahren setzt sich Helem (dt. Träume) als erste arabische Organisation für die Interessen der lesbischen, schwulen, bi- und transsexuellen Szene (LGBT) ein. Sie geht vor allem gegen Artikel 534 des Strafgesetzbuches an, der besagt, dass „unnatürliches Sexualverhalten“ mit bis zu einem Jahr Gefängnis geahndet werden kann. Auch gleichgeschlechtlicher Sex kann angezeigt und bestraft werden. 

Helems Bemühungen zeigen erste Erfolge: 2012 schaffte das Justizministerium die Rektaluntersuchung bei Verdacht auf homosexuelle Handlungen ab und ein Jahr später gab die libanesische Psychiatrie-Vereinigung bekannt, dass sie Homosexualität nicht länger als mental-geistige Störung einstuft. Die Lavendel-Ehe dürften die Aktivisten von Helem allerdings kritisch sehen – denn sie fordern von den libanesischen LGBTs mehr Offenheit, anstatt sich zu verstellen. 

„Meine Eltern dürfen niemals erfahren, dass ich lesbisch bin“, sagt Mariam, als sie am Abend in einer Beiruter Künstlerkneipe sitzt. Sie ist eine hübsche, zierliche Frau mit wallender Lockenmähne. Um den Hals trägt sie eine Kette mit einem silbernen Kreuz daran. Mariam ist sehr religiös. Ihre Mutter ist griechisch-orthodox und der Vater syrisch-maronitisch. Die Maroniten sind eine der größten christlichen Religionsgemeinschaften im Libanon. Mariam wuchs mit der Kirche auf, besuchte jede Woche den christlichen Jugendkreis. Bis heute praktiziert sie ihren Glauben. Doch für sie ist er etwas Privates, anders als für ihre Eltern, die Teil der konservativen libanesischen Gesellschaft sind. 

Mariam hat große Angst, dass die Familie sie verstoßen könnte, käme heraus, dass sie auf Frauen steht. Im Libanon werden Homosexuelle gesellschaftlich geächtet. Und vor allem im Berufsleben kommt man nur schwer ohne das sogenannte „wasta“ voran: die Vetternwirtschaft und Kontakte der Familie. Für Mariam gibt es deshalb nur einen Ausweg: „Meine Familie erwartet, dass ich bald heirate. Eine Lavendel-Ehe würde den gesellschaftlichen Druck von mir nehmen.“ 

Mit 15 verknallte sich Mariam das erste Mal in eine Mitschülerin. „Ich wusste nicht so richtig, was das bedeutete. Niemand hatte mir erzählt, dass Mädchen auch Mädchen lieben können“, sagt sie. Mit 16 vertraute sie sich einem Freund an, der ihr ein Jahr später gestand, dass er schwul ist. Zusammen suchten sie nach Gleichgesinnten und fanden das Acid. Der Underground-Club eröffnete in den Neunzigern, kurz nach dem Ende des 15-jährigen libanesischen Bürgerkrieges, und war lange Zeit der einzige seiner Art in Beirut.  

„Die Nächte im Acid waren irre. Ganz Nahost flog in den Libanon, nur um dort zu feiern. Es gab einen Haufen Drogen. Arm und Reich, Lesbisch und Schwul tanzten bis in den Morgen“, sagt Mariam. Die Behörden schlossen das Acid mehrere Mal wegen Prostitution und Drogengeschäften. Doch der Clubbesitzer verfügte über viel „wasta“ und eröffnete immer wieder neu. Erst 2010 zwang ihn die Stadt, das Acid endgültig aufzugeben. 

Mariam traf im Club ihre erste große Liebe. Ihren Eltern erzählte sie, dass die neue Partnerin lediglich eine gute Freundin sei. Daher sagte niemand etwas, wenn die beiden Mädchen sich in Mariams Zimmer zurückzogen. Um wirklich ungestört zu sein, fuhren sie hoch in die Berge über Beirut. Obwohl die Beziehung gut lief, machte Mariam nach drei Jahren Schluss, weil sie keine Zukunft mit ihrer Freundin sah: „Eine lesbische Liebe im Libanon ist zum Scheitern verurteilt. Am Ende stehen kein Happy End, keine Heirat und keine Kinder.“ 

Dann traf sie auf einen schwulen Libanesen, der ihr das Konzept der Lavendel-Ehe erklärte. „Er erzählte mir etwas von einer Fake-Ehe. Wir würden heiraten, Kinder bekommen, all das nur, um den Schein zu wahren.“ Mariam will eines Tages Kinder haben. Daher gefiel ihr der Plan sofort: Sie würde eine Familie gründen und nebenher Beziehungen zu Frauen führen können. Doch mit ihr und dem schwulen Mann wurde es nichts. Nach gerade mal drei Dates brach sie den Kontakt ab. „Ich war für ihn nur ein Projekt – das fehlende Teil in seinem Puzzle. Ihm ging es nicht um mich als Person.“ Von da an setzte sich Mariam in den Kopf, den perfekten schwulen Ehemann zu finden. Er dürfte nicht zu feminin wirken, müsste, wie sie, gläubig und gebildet sein, und natürlich sollte es auch menschlich passen. 

>>> Flirt-Apps für Homosexuelle werden im Libanon mehr und mehr zu schwul-lesbischen Heiratsbörsen.



Dass jemand so offen über die Lavendel-Ehe im Libanon redet wie Mariam, ist selten.

An schwulen Anwärtern mangelt es im Libanon nicht. Vor allem in Flirt-Apps wie „Grindr“ für Schwule und „Brenda“ für Lesben wimmelt es von Heiratswilligen. Die Plattformen entwickeln sich mehr und mehr zu schwul-lesbischen Heiratsbörsen. Auch Mariam benutzt die Apps, um Frauen und potenzielle Ehemänner kennenzulernen. Sie klickt auf ihrem Smartphone auf den neuesten Eintrag: „Lavendel-Ehe: Ich suche nach einer Frau, die heiraten und Kinder möchte. Ich tue das nicht nur für meine Familie, sondern auch für mich.“ Sie speichert den Kontakt. In den letzten Monaten hat Mariam fünf schwule Männer gedatet. Zwei von ihnen möchte sie wiedersehen. 

Dass jemand so offen über die Lavendel-Ehe im Libanon redet wie Mariam, ist selten. Zu groß ist die Angst, dass das geheime Leben auffliegen könnte. Während der Recherche in den einschlägigen Flirt-Apps schreibt eine Userin auf Anfrage: „Lasst uns in Ruhe! Dass es die Lavendel-Ehe im Libanon gibt, darf niemand wissen.“ Doch Mariam will, dass ihre Geschichte publik wird. Sie selbst kennt niemanden, der in einer schwul-lesbischen Beziehung lebt, aber sie ist sich sicher, dass im Libanon schon viele solcher Arrangements existieren. Die Offenheit im Umgang mit dem Thema ist ihr kleiner Kampf gegen die Repression von Homosexuellen in ihrer Heimat – ein letztes Aufbäumen, bevor sie sich den gesellschaftlichen Zwängen ergibt und einen, wenn auch schwulen, Mann heiratet. 

Ein Jahr nach dem Ende ihrer ersten richtigen Beziehung trat Khalil in Mariams Leben. „Er übertraf all meine Erwartungen. Er war charmant, gut aussehend, lustig und selbstverständlich schwul. Bei unserem ersten Date saßen wir stundenlang in einem kleinen Kaffee am Meer“, erzählt sie. Zwischen den beiden hat es sofort gefunkt. Khalil teilte dieselbe Vorstellung von einem gemeinsamen Leben. Er wollte Kinder und eine Partnerin an seiner Seite. 

Mariam und Khalil wurden beste Freunde. Nach einem halben Jahr machten sie ihre Beziehung offiziell. Mariam erzählte sogar ihren engsten Freunden, dass sie nun einen Mann liebte. Die hielten das anfangs für einen schlechten Scherz, doch je länger die Beziehung dauerte, desto glaubwürdiger wurde die Geschichte. Und tatsächlich waren da Gefühle, die über eine bloße Freundschaft hinausgingen: „Manchmal hatte ich Schmetterlinge im Bauch, wenn ich an ihn dachte. Wir spürten, dass wir zusammengehören.“ Mariam hatte zwar immer noch Dates mit Frauen, aber Khalil war ihre Priorität. 

Nach einiger Zeit schlichen sich dennoch erste Zweifel ein. Die zwiespältigen Gefühle füreinander gewannen die Oberhand. Sie stritten häufiger wegen Kleinigkeiten. Darüber verloren sie den großen Plan aus den Augen: Heirat und Kinder. Plötzlich war alles doppelt kompliziert. Nach einem Jahr zog Khalil den Schlussstrich. 

Ist Mariams Projekt damit gescheitert? Sie schüttelt energisch den Kopf. „Ich weiß nun, dass es in meiner nächsten Beziehung mehr Kommunikation und Planung braucht. Wir müssen uns frühzeitig auf die Hochzeit und unser gemeinsames Leben vorbereiten.“ Und wie stellt sie sich das später mit dem Kinderkriegen vor? Mariam lacht. „Eine Flasche Tequila, dann Augen zu und durch.“ Es wäre für sie das erste Mal mit einem Mann. Doch nach ihrer Erfahrung mit Khalil schließt sie nicht aus, irgendwann für ihren Partner so zu empfinden, dass auch eine physische Beziehung kein Problem wäre. Das ist aber nicht ihre Absicht. Sie liebt Frauen und alles andere ist pure Spekulation. 

Am nächsten Morgen macht sich Mariam auf den Weg in die Berge. Dort gibt es einen Ort, der ihr viel bedeutet: Harrisa, eine Pilgerstätte für Christen aus aller Welt. Eine meterhohe weiße Madonnenstatue – im Volksmund „Lady des Libanon“ genannt – thront dort über der Küste des Mittelmeers. „Jedes Mal, wenn ich hierher gekommen bin, hat ein neues Kapitel in meinem Leben begonnen. Dann bete ich zu Gott oder danke ihm“, sagt Mariam.  Sie steigt die Stufen hinauf, die sich um den Turm zur Lady des Libanons winden. Oben angekommen holt Mariam einen Stift aus der Tasche und schreibt etwas auf das Podest. In etlichen Sprachen stehen dort Botschaften zu den Füßen der Madonna. Was schreibt Mariam? Sie lächelt geheimnisvoll: „Meinen Namen, einen anderen Namen und ein Dankeschön.“ Mehr will sie nicht verraten. Vielleicht ist es der Name eines Mannes, vielleicht der einer Frau. 



Text: juliane-metzker - Foto: Juliane Metzker

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