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„Der war aber nett!“

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Wenn jemand nett zu einem ist, ist das etwas Schönes. Eigentlich ist es aber auch normal. Sollte es zumindest sein. Schon als Kind wird man zur Höflichkeit erzogen. Jede Begegnung funktioniert besser, wenn Freundlichkeit im Spiel ist. Steckt ja auch eine rational-strategische Überlegung dahinter. Nehmen wir zum Beispiel mal an, ich betreibe ein Restaurant: Sind meine Kellner besonders zuvorkommend im Umgang mit der Kundschaft, kommt diese wieder und ich sichere meinen Verdienst. Dieses Prinzip lässt sich auf fast jeden Beruf und fast jede zwischenmenschliche Begegnung übertragen: Nettigkeit zahlt sich aus.

Umso erstaunlicher, dass man fast täglich mindestens einmal entweder selbst den Satz „Der/Die war aber nett!“ zu jemandem sagt oder ihn von jemandem gesagt bekommt. Und er wird immer auf die gleiche Weise betont, nämlich sehr erstaunt und gleichzeitig niedlich angerührt. Eine Mischung aus: „Mensch, war der nett!“ und einem „Oooch, meine Güte, so was Nettes aber auch!“ So, als sei es ganz und gar nicht üblich, unter Menschen nett zueinander zu sein. Erst recht nicht im öffentlichen Raum, oder wenn es um praktische Belange geht. Beim Anruf im Finanzamt zum Beispiel. Bei der Krankenkasse. In den Gängen eines Drogeriemarkts. An der Bushaltestelle. Selbst im Hotel, wo es ja nun wirklich viel erwähnenswerter wäre, wenn jemand nicht nett wäre. Aber auch da sagt man es gern und erstaunt: „Das ist aber wirklich ein sehr, sehr netter Empfangsmensch!“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Auf der Straße unterwegs, jemanden nach dem Weg gefragt und zack: Wieder ein willkommener Anlass für den Satz "Der war aber nett!"

Ist die Welt wirklich so kalt und so gemein und sind alle Fremden so selbstverständlich unhöflich zu einem, dass man sich über jeden, der diese Regel bricht und einem entgegen aller Gesetze einfach mit Herzlichkeit begegnet, so dermaßen freuen muss?

Es muss auf jeden Fall eine Erwachsenenerfindung sein. Ein Kind sagt nie von selbst: „Der war aber nett!“. Ein Kind sagt eher „Der war aber doof!“ Und dann kriegt es von den Eltern einen auf den Dez, weil man nämlich nicht so hart sein soll in der Beurteilung anderer Menschen. Bemerkenswert, speichert man als Kind deshalb ab, ist also nicht, dass jemand doof ist, sondern dass jemand nett ist. Und die Eltern machen es einem ja auch vor, zum Beispiel in der Drogerie. Man ist mit Mama im Rossmann. Dort kriegt sie eine sehr herzliche Shampooempfehlung von einer Verkäuferin, die gerade einen unteren Regalboden auswischt.

Später sagt die Mama zum Kind: „Mensch, Toni, die war aber nett, ne?“ Und das Kind freut sich, weil es nicht nur schön ist, dass jemand nett ist, sondern weil dieser Satz vor allem auch eine Art Verbrüderung bewirkt und ein „Schau mal, da gehen wir beide durch die Welt und uns geschieht nur Gutes, ist das nicht schön?“ bedeutet. Das Kind antwortet dann: „Jaaa, die war nett!“ Und merkt: An dieser Übereinstimmung fühlt sich irgendetwas auf eine sehr harmlose, einfache Weise gut an. Es verkündet also fortan immer, wenn mal wieder jemand freundlich ist, mit schwer altklugem Tonfall: „Die war aber nett, ne, Mama?“ Und dann nickt die Mama und sagt: „Ja, die war nett!“ und das Kind wähnt sich auf der richtigen Seite im Leben.

Man muss das gar nicht schlecht reden, es ist ja tatsächlich eine sehr schöne Überraschung, wenn man, zum Beispiel, in irgendeinem Gefühl zwischen wutentbrannt und verzweifelt im Finanzamt anruft, auf fiese Bürokratenkommunikation vorbereitet ist, da dann aber einen Menschen an den Apparat kriegt, der sympathisch ist. Eine entspannte Frau mit fröhlicher Stimme, die auf einen eingeht und sogar noch ein kleines Witzchen macht – Mensch, ist man da gewillt zu rufen, da sitzt ja ein echter Mensch! Gar kein Roboter, der auf meine Zerstörung und Erniedrigung aus ist. Da sitzt jemand, der auch lieber lacht, als nervt. Jemand, der auch gerne liebt und genießt. Ach, wie nett! Wahrscheinlich wohnt der sogar irgendwo. Und ist manchmal traurig. Und hat ein Lieblingsessen!

Miteinander abzustimmen, dass jemand nett war, ist aber auch noch mehr. Es ist auch so eine schöne Selbstbestätigung: Wie schön, der war gut zu mir. Das heißt ja, dass ich es wert bin, gut behandelt zu werden. Vielleicht werde ich sogar ausnehmend gut behandelt, weil ich anders bin als die anderen, irgendwie besonders. Vielleicht werden wir beide Netten uns nun ein paar Tage lang nicht vergessen, weil wir heute herzlich zueinander waren in einer Welt, die an sich eher unherzlich ist.

Man kann sich dann zusammen ein bisschen fühlen wie die Guten in einer Geschichte, in der es viele Böse gibt. Da könnte theoretisch jetzt der dritte Weltkrieg über einen hereinbrechen, und es könnte einem doch nicht viel passieren, weil man eben nett ist und einander hilft. Weil es in der Not dann um nichts Großes mehr geht, sondern nur noch um die kleinen Gesten der Freundlichkeit im Alltag. Das haben die, die den dritten Weltkrieg provoziert haben, überhaupt noch gar nicht verstanden, das mit dem Nettsein. Der hätte dadurch nämlich verhindert werden können.

Und umso wichtiger ist es, dass wir, die Guten, das kleine Nettsein to go als Tugend loben. Als die einzig wahre Tugend überhaupt. Der einzige gemeinsame Nenner, den es geben kann unter zwei, drei, vier und sogar mehreren Millionen Menschen ist ja der der Zwischenmenschlichkeit. Ist das nicht nett? Total nett!

Text: mercedes-lauenstein - Foto: stm / photocase.de

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