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Finger weg - von der Moral!

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Ein „Ausschuss für den Umgang mit sexuellem Fehlverhalten“ hat an der amerikanischen Privatuniversität Harvard eine Richtlinie herausgegeben, die aus einem Ehrenkodex ein weitreichendes Verbot macht: Ab dem Wintersemester dürfen Donzenten keine romantischen oder sexuellen Beziehungen mehr mit Studenten haben. Bislang galt dies nur, wenn ein unmittelbares Betreuungsverhältnis vorlag. Auch die Universitäten in Yale und Kalifornien haben die Beziehungen von Dozenten und Studenten unter Strafe gestellt und ein Büro eingerichtet, das Anzeigen wegen sexuellen Fehlverhaltens prüft. Wäre so etwas auch in Deutschland denkbar? Kian Fathieh ist Sexualstrafrechtler in Heidelberg und kennt den universitären Kosmos auch aus der Dozentensicht.

jetzt.de: Man könnte ja sagen, was die Leute in ihrer Freizeit tun, geht keinen etwas an. Solange jeder volljährig ist, ist es eine Beziehung zwischen zwei erwachsenen Menschen. Was sagt denn das deutsche Strafrecht dazu?
Fathieh: Amouröse oder sexuelle Beziehungen zwischen Dozenten und Studenten sind nach dem deutschen Strafrecht straflos. Es gibt im Strafgesetzbuch Bestimmungen zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Personen in Ausbildungsverhältnissen. Das ist der Fall beim Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Der greift, wenn die Person unter 16 Jahren ist und sich in einer Ausbildungssituation befindet, oder wenn die Person unter 18 Jahren ist und der Täter die mit dem Ausbildungsverhältnis verbundene Abhängigkeit der Schutzbefohlenen missbraucht.

In den USA ist man ja erst mit 21 Jahren volljährig...
Genau, in vielen Bundesstaaten ist das so. Die Studenten sind noch ziemlich jung und auch stärker abhängig, was etwa die Bindung an den Campus angeht. Der Campus dort ist ein sehr abgeschlossener Kosmos. Der Lehrkörper hat deutlich mehr Einfluss darauf, wer dort bleiben kann und wer nicht.

Sie waren selbst mal Lehrbeauftragter an der Universität in Heidelberg. Würden Sie ein ähnliches Verbot auch in Deutschland begrüßen?
Ich sehe in Deutschland keinen Bedarf, an den gesetzlichen Regeln etwas zu ändern. Das, was Harvard jetzt zu regeln versucht, ist eher eine moralisch-ethische Frage, keine juristische.

Und wäre es rechtlich möglich, ein Beziehungsverbot in Arbeitsverträge oder in Satzungen von Unis schreiben?
Das würde sicher verfassungsrechtliche Probleme geben. Sex ist auch persönlichkeitsbildend und deshalb von der allgemeinen Handlungsfreiheit, Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz, geschützt. Wenn man so weit geht, Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden zu verbieten, verbietet man ja den Leuten, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten.

Hier geht es ja um einvernehmliche Sexualverhältnisse. Sind die, wenn sie bekannt werden, juristisch immer genau zu bestimmen?
Ich erinnere mich an Medienberichte, in denen Fälle aufgegriffen wurden. Wenn zum Beispiel eine Studentin von den Noten nicht die Möglichkeit zur Promotion hätte, aber durch das sexuelle Verhältnis mit einem Professor doch dazu gekommen ist, dann wäre das ein Amtsdelikt, nämlich Vorteilsannahme. Der Vorteil muss also nicht materieller Art sein. Es kann jede Leistung sein, die die wirtschaftliche oder persönliche Lage objektiv besser stellt. Also auch sexuelle Hingabe.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Kian Fathieh

Die Regelung in Harvard gilt ja auch dann, wenn Dozenten keinen unmittelbaren Einfluss auf den Notenerfolg der Studenten haben.
Das halte ich für indiskutabel, weil es die allgemeine Handlungsfreiheit erheblich einschränkt – das sollte der Gesetzgeber auf keinen Fall entscheiden. Wenn man beispielsweise als Mitglied der Universität Geschichte unterrichtet und eine Beziehung mit einer Medizinstudentin haben will, es also keinen akademischen Kontakt gibt, warum sollte das verboten sein?

Die amerikanische Kette Walmart hat 2005 versucht, Liebe am Arbeitsplatz zu untersagen, ist damit aber vor Gericht gescheitert. Auch das ist also Privatsache?
Das halte ich für ebenso indiskutabel. Wenn keine Minderjährigen betroffen sind, dann muss ich da nichts regeln. Jemand, der unter 18 und im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, ist schützenswert. Aber bei erwachsenen Personen muss man meiner Ansicht nach – über die bereits geltende Rechtslage hinaus – nichts regeln.

Im Vergleich zu den USA sind wir also noch sehr liberal?
Das Strafrecht ist ja ein ethisches Minimum. Der Staat sollte sich da auf die wichtigen Dinge beschränken, die für ein gedeihliches Zusammenleben der Menschen nötig sind. Also nur das unter Strafe stellen, das unverzichtbar ist für eine funktionierende Gesellschaft. Ob die Leute sich an der Uni oder am Arbeitsplatz verlieben oder sexuelle Beziehungen haben ­– da sollte sich der Staat raushalten.

Text: lisa-bruessler - Fotos: photocase/cydonna, privat

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