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Deutschland, schaff dich ab!

Text: nolimenta

Den Text habe ich letztes Jahr im Spätsommer geschrieben, als es zwar noch kein Pegida gab, aber doch ein unangenehmes Rauschen in diesem Land, das ich gerne abwatschen wollte.



de religio in Germania



Wie fängt man an über ein Thema zu schreiben, das die Gemüter so vieler so sehr erhitzt und das unsere Zeit zu bestimmen scheint wie kein anderes? Die schrecklichen und so komplett aus der Zeit, aber eben doch gerade in unsere Zeit, gefallenen Bilder der Kopf- und Halsabschneidenden Islamisten des IS wuchten das Thema Religion mit unerbittlicher Grausamkeit in eine Arena, auf der nur außen „Diskussion“ steht. Innen jedoch hat das angsterfüllte Umsichwerfen mit Plattitüden, Verallgemeinerungen und populistischer Hetze nichts von einem argumentativen Austausch von Gedanken, den der Markenname „Diskussion“ am Eingang eigentlich einfordert. Innen gibt die Angst, die uns Menschen ja dazu nützlich ist uns zu schützen und zu warnen, damit wir uns vor einer heraufziehenden Gefahr rechtzeitig in Sicherheit bringen können, vor, wie das Ende der Diskussion lauten muss: Raus mit den Moslems! Und die Juden – man weiß ja nie, oder besser gesagt, man hat es ja schon immer gewusst – am besten gleich hinterher!



Was ist das aber eigentlich für eine Angst? Wovor fürchten sich so viele Deutsche, dass sie bereit sind Rechtspopulismus bei Wahlen und Unterschriftenaktionen ihre Stimme zu geben und hinterher zu behaupten, dass es sich darum nicht handele, sondern um die – einzige verbliebene – Vertretung bürgerlicher Ansichten, nebst der Wahrung unserer abendländischen Identität? Haben sie wirklich nur Angst davor, dass das Abendland untergehen wird, indem seine Identität verwässert wird, wie es ein Ex-Finanzsenator aus dem armen Berlin propagiert? Kann das als Erklärung herhalten dafür, dass man Menschen, die nicht diesem eigenen Bild entsprechen so sehr ausgrenzen möchte, nämlich im Wortsinne vor die Türe unserer deutschen Staatsgrenze zu setzen?



Vielleicht haben sie Angst davor, dass der Islamist, wenn der Bürger nichts dagegen unternimmt, sondern die Ausbreitung des Islams in Deutschland still hinnimmt, bald mit dem Krummsäbel vor der Tür steht und die Frage aller heutigen Fragen stellt: „Trittst du über zum Islam (so wie sie ihn nennen) oder soll ich dir den Kopf abhacken und deiner ganzen ungläubigen westlichen Familie gleich mit?“ Ganz ehrlich, vor dieser Horrorvision habe ich auch Angst. Aber ich halte sie nicht für sehr wahrscheinlich und falls sie doch Wirklichkeit werden sollte, hier, in Deutschland, dann halte ich nicht „die Moslems“ oder „die Türken“ oder „die Araber“ dafür verantwortlich, wie das der Populismus tut.



Dem Populismus ist es zu eigen, selbst die kompliziertesten Sachverhalte, die gedanklich zu durchsteigen eine Klettertour durchs komplette Himalaya bedeuten, so zu versimplifizieren, dass eine – und zwar nur eine – einfache Antwort auf das komplizierte Problem gegeben werden kann. Aber wie stellt der Populismus das an? Hauptsächlich lässt er alles, was er für nicht wichtig hält weg und sucht sich einen Sündenbock. Diesem wird dann das komplizierte Problem angelastet und sofort ist das komplette, undurchdringlich scheinende, nicht zu greifende riesige Problem leicht zu erkennen, personifiziert und damit greifbar. Man muss sich nun überhaupt keine Gedanken mehr über das gesamte Problem machen, denn alle Aspekte des Problems sind auf den Sündenbock übergegangen. Man kann ihm schließlich sogar vorwerfen, komplett undurchdringlich, nicht greifbar und extrem kompliziert zu sein, er ist jetzt das Problem, und zwar das Problem überhaupt. Und da es sich jetzt nicht mehr um eine Himalaya-Komplettdurchquerung handelt, sondern um den Sherpa, der einfach zu blöd ist, ein paar Sachen zu tragen und eine gescheite Route zu planen, alle Teilnehmer im Blick zu haben, die aktuelle Wetterlage zu beobachten und Fotos von der fröhlichen Reisegruppe zu machen, ist es auch einfach ihm und seinesgleichen die Schuld zu geben, wenn das Unternehmen scheitert, oder auch nur nicht richtig in die Gänge kommt. Der Populismus verschweigt aber hierbei, dass die Jahreszeit mit schweren Herbstschneestürmen und Lawinen falsch gewählt ist, er verheimlicht, dass die Reisegruppe ohne Voranmeldung im Basislager erschienen ist und den Start binnen 24 Stunden verlangt, er lässt unerwähnt, dass keiner der Wandersleute auch nur ansatzweise genügend Geld für die Bezahlung der Leistung der Bergführer zu zahlen bereit ist, er verschleiert, dass die von den Abenteurern mitgebrachte Ausrüstung aus Schnorcheln, Badmintonschlägern und Peitschen besteht, er unterschlägt, dass die Sherpas zwar extra Englisch und teilweise sogar ein paar höfliche Worte auf Deutsch sprechen können, während aber die Touristen ihr Hochdeutsch nur mit starkem und damit letztlich unverständlichem Dialekt sprechen und der Populismus erzählt nichts davon, dass man keine aktuellen Karten für das Gebiet dabei hat, sich nur fünf Tage Zeit eingeplant hat, für die Vorbereitung gar keine Zeit aufgewendet hat, und dass die Großeltern der Geführten, die Großeltern der Führer aus Gründen ermordet haben, die vielleicht dem Zeitgeist, nicht aber auch nur irgendeiner menschlichen Moral entsprochen haben. Weil er all dies beim Vortragen seiner Lösung nicht miterzählt, versteht man natürlich die einfache Lösung, statt sich über sie zu wundern, dass allein die Sherpas Schuld sind sofort und hinterfragt sie auch nicht, denn sie ist in ihrer verführerischen Einfachheit höchst plausibel.



Wenn das oben beschriebene Horrorszenario also tatsächlich in Deutschland wahr werden sollte, dann wird dies nicht am Islam liegen und es wird nicht an meinem früheren Klassenkameraden Muhammad, nicht an meinem Kollegen Ali und nicht an meinem Nachbarn Cem liegen. Es wird daran liegen, dass einige Menschen, die keinen Sinn mehr im Leben sehen, außer durch einen „gerechten“ Krieg ins Paradies zu kommen und dafür auf grausamste, bestialischste Weise morden, offenbar alles menschliche an sich verloren haben und sich schon jetzt als außerhalb dieser Welt wahrnehmen. Es wird an Menschen liegen, die ihr blutlüsternes Abschlachten von Menschen, die andere Ansichten haben als sie, für die Ausübung von islamischer Religion halten. Und es wird an Menschen liegen, die glauben, islamische Religion werde tatsächlich ausschließlich so ausgeübt und die dadurch mitsäen auf einem Nährboden für gewaltbereite Ausgegrenzte.



Junge, in Deutschland aufgewachsene Menschen, die ihr Leben lang nichts anderes von Deutschen, die sich wegen ihrer blonden Haare oder christlichen Taufe oder atheistischer Säkularität für die wahren, aufgeklärten, westliche Werte vertretenden und schließlich – das ist immer am wichtigsten – hart arbeitenden und Steuern für Alle zahlmeisternden, Deutschen halten, gehört haben, als dass sie hier fehl am Platz seien, dass sie asozial, nicht integrationsfähig und –willig, arbeitsfaul, statt arbeitsam, seien, und die allesamt ihre Frauen mindestens mit Kopftüchern unterdrückten und dasselbe mit den unseren vorhätten sowie aufgrund ihrer schizophren einerseits „ekelig“ genannten Südländerküche, die andererseits gerne gegessen wird, stänken wie zehn Kamele, haben selbstverständlich absolut kein Recht darauf ihre Probleme auf so verabscheuungswürdige Weise an anderen Menschen auszulassen. Aber sie haben sehr wohl ein Recht darauf, dass sie in dem Land, das ihre Heimat ist, nämlich Deutschland, auch so leben können, wie in dem Land, das ihre Heimat ist. Stattdessen gibt man ihnen von Klein auf zu verstehen, was man in Wahrheit von ihnen hält, selbst wenn man das (meistens?) nicht offen äußert.



Doch das verschämte Äußern von islamfeindlichen Ansichten ist – spätestens im Verlauf des letzten Jahrzehnts – längst zu einer offenen und öffentlichen Kritik geworden, für die sich scheinbar niemand mehr zu schämen braucht. Ein Verweis auf den um sich greifenden Islamismus genügt den meisten wohl als Feigenblatt, um Äußerungen zuzustimmen, die an Fremdenfeindlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Hierbei wird der Islamismus ganz bewusst mit dem Islam verwechselt, weil die komplette, unpopulistische Wahrheit schon gar nicht mehr interessiert, angesichts der Vorurteilsgebäude, in denen wir es uns so bequem gemacht haben. Gläubige Moslems, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung längst nicht nur schätzen, sondern akzeptieren und nach ihr leben, werden weiter unter Generalverdacht gestellt und weiter geschmäht, nur weil sie „anders“ sind. Es bleibt mir indes unbegreiflich, warum dieses Anderssein einen Grund darstellt, jemanden auszugrenzen und eine diskriminierende Behandlung zu rechtfertigen. Mit unserem Grundgesetz, das ja vorgeblich verteidigt werden soll, hat das jedenfalls nichts zu tun, nicht mit Artikel 1, nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz, nicht mit der garantierten Religionsfreiheit und nicht mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Gegen was soll unsere Verfassung da also eigentlich verteidigt werden von den Rechtschaffenen, den Bürgern, die teilweise von sich behaupten, in „Notwehr“ handeln zu „müssen“? Sie sollte gegen Verfassungsfeinde verteidigt werden, das steht fest. Dass echte Islamisten, die tatsächlich danach streben, die Scharia als Rechtsnorm zu etablieren und dafür auch vor Anschlägen nicht zurückschrecken dazu gezählt werden müssen, steht fest. Dass Leute, die angeblichen Ungläubigen danach trachten die Köpfe abzuhacken oder sie zu steinigen, mit aller Härte unseres Rechtsstaats verfolgt und bestraft werden müssen steht fest. Aber ebenso steht fest, dass, jemandem das Recht auf freie Ausübung seiner Religion abzusprechen, gegen unsere Verfassung und all unsere westlichen Werte verstößt und deshalb ebenfalls durch unseren Rechtsstaat geahndet gehört. Und damit sind sicherlich nicht die in überwältigender Mehrheit friedliebenden und –lebenden deutschen oder in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime gemeint.



Wir sollten endlich aufhören vor Neuem Angst zu haben, indem wir es erkunden und kennenlernen. Wir sollten endlich aufhören mit dieser bewussten Verwechslung von Islam und Islamismus. Und wir sollten endlich aufhören zu behaupten, wir verteidigten unser Grundgesetz und unsere westliche, christlich geprägte Grundordnung durch solches Handeln. Für mich gehört zum christlichen Glauben als Fundament die Liebe und damit auch die Nächstenliebe, vorbehaltlos. Darauf dürfen wir Christen jederzeit bauen. Wenn wir aber wirklich so viel Angst davor haben, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden (deutschen) Frauen eines Tages – Gott bewahre! – Kopftuch trägt, und wenn wir wirklich befürchten, dass damit das deutsche Vaterland mitsamt dem westlichen Abendland untergeht, wenn wir diese Todesangst, die wir deshalb auszustehen scheinen wirklich nicht imstande sind zu überwinden, und es nicht schaffen es auszuhalten, dass jede und jeder hierzulande nach ihrer oder seiner Façon glücklich werden möchte, dann sind wir wahrlich ein Volk von meckernden, mosernden, mimosenhaften Jammerlappen, um dessen Ausscheiden aus dem Genpool es nicht schade wäre.

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