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Unter Wächtern der Wertegemeinschaft

Text: JanoschSiepen

Die Bonner Regionalvertretung der EU-Kommission gibt es nun schon seit 60 Jahren. Am 17. September feierte sie ihr Jubiläum – mit Prominenz aus Brüssel, die einiges zu sagen hatte.



Von Janosch Siepen



Stephan Koppelberg muss an diesem Abend viele Hände schütteln. Immer wieder wird er angesprochen, von Journalisten, Freunden und Kollegen. Man müsse ihm, dem Bonner Vertretungsleiter der EU-Kommission, gratulieren zu diesem tollen Abend. Es ist Mittwoch, der 17. September. Inmitten von Bonn, im Haus der Bonner Regionalvertretung der EU-Kommission, tummeln sich die Gäste. Hinter dem Rednerpult schaut Koppelberg als Eröffnungsredner sichtlich zufrieden in die Menge. In diesem Jahr jährt sich zum 60. Mal die Gründung der Kommissionsvertretung, was gebürtig gefeiert wird. Wichtige Gäste wurden geladen: Vertreter politischer Stiftungen, der Bonner Abgeordnete des EU-Parlaments Axel Voss, Bundestagsabgeordnete, Vertreter unter anderem aus Belgien und Russland. Und sie alle wissen, worum es an diesem Abend geht.



1954 wurde die erste Pressevertretung der sogenannten Hohen Behörde, dem indirekten Vorgänger der EU-Kommission, gegründet. Eine Vertretung, die heute somit die traditionsreichste der 37 in ganz Europa ist. Auch Koppelberg weiß das und weiß vor allem um die Bedeutung dieses Jubiläums. Hier in Bonn war man in den 50er Jahren in den ersten Geburtsstunden der Europäischen Union ganz nah dabei. Bindeglied zwischen europäischer Politik der Montanunion und der Stimme des Bürgers.



Heute, 60 Jahre später, ist das noch immer so.



Koppelberg und seine Kollegen sind auf einer Mission – die darin besteht, alle zu bekehren, die noch nicht an die gemeinsame europäische Sache glauben. Viel zu tun, schließlich betreut die Regionalvertretung 29 Millionen Bürger in vier Bundesländern. Ihre stärkste Waffe im Kampf gegen die bürgerliche Ahnungslosigkeit ist die Information. „Die Bürger wählen Parteien wie die AfD, weil sie nicht genügend informiert sind“, sagt Koppelberg bestimmt. Vor allem bei der Jugend setzt das Organ an: Jugendkongresse und Planspiele in Schulen sollen den Schülern die europäische Idee bewusst machen. Die Vertretung stößt junge Leute an, bei gleichaltrigen für Europa zu werben. „Europa von unten aufbauen“, nennt Koppelberg das. Sie unterstützt Europaschulen und arbeitet mit Partnern und anderen Europäischen Organen zusammen. Alles, um zu zeigen wie man Einfluss nehmen kann.



Auf die Frage, welche Gefahr denn von der europakritischen AfD ausgehe, winkt er ab: „Optimisten bringen die Welt voran; Pessimisten wie die AfD, die zurück ins 19. Jahrhundert wollen, haben keine Zukunft und sind nur kurzfristig erfolgreich.“ Er klingt überzeugt und gleichzeitig beschwörend. Es scheint die Verschiebung nach rechts auf dem politischen Spielfeld in Europa zu sein, die ihn treibt.



An diesem Abend wird er immer wieder in politischen Smalltalk verwickelt, mal auf englisch, mal auf französisch, mal auf spanisch. Der 55-Jährige spricht 5 Sprachen fließend, 4 weitere gut. Ein optimistischer Muster-Eurokrat mit Fliege und Lachfalten, dessen Miene aber ernst wird, wenn es um die wichtigen europapolitischen Fragen der Stunde geht: Sparpolitik, die neue EU-Kommission, zunehmende Europakritik und -verdrossenheit. Große Themen, die er nur kurz anreißt. Er ist schließlich nicht der einzige an diesem Abend, der zum Jubiläum und zu Europa etwas zu sagen hat.



Neben ihm treten noch weitere Redner vor das Pult: Georg Streiter, stellvertretender Regierungssprecher und Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, der ein wenig bemüht die Jubiläumszahl 60 auf ihren Symbolgehalt zu interpretieren versucht. Und dann ist da noch der Star des Abends: Günther Oettinger, frisch berufen für das Digitalressort der neuen EU-Kommission.



Oettinger, ein fleißiger Mann, der laut eigener Aussage nur 4 Stunden Schlaf braucht, hat viel zu sagen. Er weiß für Europa zu begeistern, wenn er den Mund aufmacht. Seinen schwäbischen Dialekt kann er dabei nicht verbergen – seinen Pathos auch nicht: stolz erklärt er die Alleinstellungsmerkmale Europas in der Welt und wie Deutschland von Europa profitiere.



Doch der EU-Kommissar hat vor allem mahnende und nachdenkliche Worte an die Zuhörer. Er ist ganz nah bei Gauck, wenn er von deutscher Selbstzufriedenheit spricht und für mehr Verantwortung Deutschlands in Europa plädiert. Er warnt vor einer ganzen Generation, die ihren Glauben an die EU verliere, wenn man den Arbeitsmarkt für junge Menschen nicht verbessere. Er mahnt: „Wir stehen vor großen Aufgaben und brauchen eine klare Zustimmung zur europäischen Idee.“ Doch was genau ist diese Idee eigentlich? Immer wieder bezeichnet der 61-Jährige Europa als Wertegemeinschaft, als Friedensunion. Er ist einer ihrer Wächter. Jemand, der für sie werben will, um sie vor rechtspopulistischen Parteien wie der AfD oder Front National zu hüten. Dazu brauche es einiges: man müsse die Präsenz außerhalb von Brüssel verstärken, Politiker müssten beständig werben, man benötige mehr Meinungsträger und Botschafter.



Leute wie Oettinger und Koppelberg haben die Gefahren für die EU erkannt. Und gerade jetzt scheinen sie noch mehr daran zu setzen, durch ihre Arbeit die Menschen für Europa zu gewinnen. Ob das gelingt, entscheidet sich spätestens bei der nächsten Europawahl. Oettinger gibt sich beruhigt: „Im Moment gibt es jedenfalls keine populistische Partei in der EU-Kommission.“ Noch nicht.

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