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Wie werde ich gelassener?

Collage: Daniela Rudolf

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Es gibt sie, diese Tage, an denen man sich fragt, warum man nicht einfach zu Hause geblieben ist, am besten unter der Bettdecke. Man hat verpennt. Für Frühstück oder Dusche reicht es nicht, man rennt zur U-Bahn, die einem die Türen vor der Nase zuhaut. Es regnet. Man quetscht sich in die nächste Bahn, sie ist überfüllt, die Scheiben beschlagen, es riecht nach Schweiß und nassem Hund. Menschen treten einem auf den Fuß. Menschen drücken einem ihre Taschen und Schirme in die Seite. Menschen reden zu laut über anstrengende Themen. Menschen riechen, zu streng oder zu parfümiert. Die U-Bahn bleibt stecken. Die Luft wird dicker, der Sauerstoff weniger. Mitmenschen können anstrengend sein.

Ärger steigt auf. Hass auf die Menschen um einen herum. Man ist genervt davon, dass man ärgerlich und immer gereizter wird und gerade gerne laut herumschreien würde. Dabei sieht man sich selbst doch viel lieber als entspannter und friedfertiger Mensch. Man weiß auch, dass die Wut auf die anderen weder etwas bringt noch gerechtfertigt ist. Aber wie wird man sie los? Wie bleibt man gelassen, wenn Alltagskleinigkeiten bis zum Ausrasten nerven?

Ärger oder Wut sind Basisemotionen des Menschen. Also ein Grundgefühl, das kulturübergreifend ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Existenz ist.

Ich frage den Sozialpädagogen Andreas Sandvoß. Sandvoß ist Anti-Aggressivitäts-Trainer, Coolness-Trainer, Dozent und Geschäftsführer des Zentrums für Konfrontative Pädagogik. Er meint, dass Ärger vor allem dann aufkommt, wenn sich eine Person hilflos oder gescheitert fühlt. In dem Beispiel beginnt der Tag also vielleicht schon mit einem leichten Gefühl des Scheiterns, da ich verpennt habe. Dass ich in der U-Bahn mit all diesen Menschen gefangen bin, lässt mich hilflos fühlen.

Zum allgemeinen Umgang mit Ärger rät er: „Feststellen was ärgerlich macht. Dieses dann entweder vermeiden oder sich einen geeigneten (nicht-aggressiven) Umgang damit aneignen. Konfliktmanagement lernen.“ Im Beispiel mit der Bahn wäre eine Möglichkeit, in Zukunft ein anderes Verkehrsmittel zu wählen, wenn man es dort einfach nicht aushält oder zu versuchen, besser in den Tag zu starten. Oder eben: In der U-Bahn bleiben, tief durchatmen, Kopfhörer aufsetzen, entspannte Musik hören, bis es weitergeht. Zum Beispiel.

Ein gewisses Ausmaß an Ärger sei sowieso normal, das kenne jeder Mensch, meint Sandvoß. Pathologisch werde es dann, „wenn nichts mehr Freude bereitet. Wenn alle alltäglichen Begegnungen und Vorkommnisse nur noch Ärger auslösen.“ Dann müsse professionelle Hilfe her, etwa in Form einer Therapie oder besagten Trainings.

Wichtig sei auch, wie man in die Welt tritt. Erwarte ich Missgunst von außen, könne das zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen: Ich erwarte Unangenehmes, zum Beispiel Ablehnung von meinen Mitmenschen, trete also misstrauisch nach außen und rückgemeldet bekomme ich – welch Wunder – Unangenehmes. Vielleicht also versuchen, in der Bahn nicht ganz so böse vor sich hinzustarren, sondern offen zu bleiben, ob vielleicht der eine oder andere um einen herum doch eigentlich ganz in Ordnung sein könnte.

Das Konzept der Achtsamkeit ist eine Alternative zwischen Ausrasten und Herunterschlucken des Ärgers

Als weitere Möglichkeit bieten buddhistische Traditionen mit dem Konzept der Achtsamkeit (engl.: mindfulness) eine Alternative zwischen Ausrasten und Herunterschlucken des Ärgers. In vielen Studien wurde gezeigt, wie hilfreich dieses Prinzip zur Emotionsregulation, so auch zur Regulation von Ärger, ist. Immer häufiger werden Achtsamkeitstrainings daher in Psychologie, Pädagogik, aber auch in alltäglichen Kontexten eingesetzt.

Achtsamkeit ist eine bestimmte Art der Aufmerksamkeit, in der es darum geht, seine Wahrnehmung absichtsvoll auf den gegenwärtigen Moment zu richten, das Innen und Außen genau wahrzunehmen, das Wahrgenommene aber nicht zu bewerten. Sie besteht, kurz gesagt, aus Präsenz und Akzeptanz. Es ist also wichtig, die Emotion (Ärger) zwar wahrzunehmen, nicht aber zu bewerten („Ich sollte mich nicht immer so ärgern“), sondern zu akzeptieren („Ich bin jetzt eben sauer“).

Wenn man in sich hineinfühlt, wo der Ärger sitzt, wie er sich anfühlt, wird man bemerken, dass die Emotion an sich keine schlimmen Konsequenzen hat und sich nach einer gewissen Zeit meistens auch einfach von selbst wieder verzieht. Übertragen auf das Beispiel hieße das dann: Ich bleibe in der U-Bahn, atme einmal tief durch, fühle in mich hinein und „betrachte“ mein Ärgergefühl, ohne davon auch noch genervt zu sein. Und dann geht es bestimmt auch bald wieder weiter.

Achtsamkeit hat man entweder von Natur aus, oder man kann sie lernen. Mit der Zeit gelangt man dadurch zu einer besseren Selbsteinschätzung und durchschaut viel schneller, was einen wann und warum sauer macht und was man dagegen tun kann.

Unsere Autorin Lucia Heller versucht nun, die ganzen guten Tipps gegen Ärger zu beherzigen. Sie rastet auch nur noch selten in der U-Bahn aus.

Fünf Tipps zum Umgang mit Ärger:

  • Versuche feststellen, was genau dich eigentlich ärgerlich macht. Wenn Ärger aufkommt, hole tief Luft und versuche, einen klaren Kopf zu bewahren. Dann kläre einige Dinge vorab. Entscheide, ob der Gegenstand des Ärgers etwas ist, das du ändern kannst, oder nicht. Wenn du es ändern kannst, versuche es zu ändern.
  • Ist es etwas, das du mit anderen aushandeln musst? Wenn ja, trete in Kontakt. Überlege dir genau, was du eigentlich mitteilen willst, versuche dabei sachlich zu bleiben.
  • Wenn es nicht zu ändern ist, versuche es entweder zu vermeiden oder, besser noch, zu akzeptieren (siehe 5.).
  • Schlucke den Ärger nicht einfach runter. Dauerhaft unterdrückte Wut kann krank machen und zu psychosomatischen Erscheinungen führen. Überspitzt gesagt, kann zuviel „Wut im Bauch“ auf lange Sicht sogar zu Magengeschwüren und Ähnlichem führen.
  • Achtsam werden. Versuche, die Emotion (Ärger) zwar wahrzunehmen, nicht aber zu bewerten („Ich sollte mich nicht immer so ärgern“), sondern zu akzeptieren („Ich bin jetzt eben sauer“). Das gilt übrigens für alle Emotionen.

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