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"Der Terror ist die Bedrohung, nicht die Religion"

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jetzt.de: Alexandra, du hast 2012 das Buch „Der Islam für Kinder und Erwachsene“ illustriert. Wie fühlst du dich bei der aktuellen Diskussion?
Alexandra Klobouk: Wir dürfen uns keine Angst machen lassen, aber das gilt für Zeichner genauso wie für den Rest der Gesellschaft, Muslime eingeschlossen. Allerdings befinde ich mich auf der anderen Seite des Spektrums als Charlie Hebdo, weil es bei meinen Illustrationen zum Islam ja nicht um Provokation, sondern um Vermittlung geht. Ich will muslimische und nicht-muslimische Lesern neugierig machen und Grundlagen, die so vielleicht nicht bekannt sind, spannend vermitteln.

Haben Zeichnungen wie die von Charlie Hebdo den Spalt zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen vertieft?
Zeichnung ist ja erstmal ein neutrales Mittel wie Text oder Musik. Zum einen glaube ich nicht, dass es sich bei muslimischen und beispielsweise konfessionsfreiem Leben um zwei Welten handelt - wir leben alle miteinander und beeinflussen uns gegenseitig und haben wesentlich mehr Eigenschaften als unsere Religionszugehörigkeit. Zum anderen denke ich nicht, dass die Zeichnungen zu einer Spaltung beigetragen haben, auch wenn sie bestimmt viele Gläubige verletzt haben. Was spaltet, ist dass Menschen über den Islam sprechen, wenn sie Terrorismus meinen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Alexandra illustriert die Frage: Warum tragen muslimische Frauen Kopftuch?

Du kommst aus Regensburg und bist keine Muslima. Wie kam es, dass ausgerechnet du ein Buch über den Islam illustriert hast?
Während meines Studiums in Berlin ist mir aufgefallen, dass ich hier mit vielen türkischstämmigen Leuten zusammenlebe und trotzdem keine Ahnung von ihrer Kultur habe und teilweise auch unbewusste, schräge Vorurteile. Ich habe deshalb mein Auslandssemester in Istanbul gemacht, dabei konnte ich kaum Türkisch. Aber durch meine türkischen Freunde hatte ich das Glück, die Kultur sozusagen von innen heraus kennen zu lernen. Als ich zurück kam, haben mich viele gefragt, wie es denn in Istanbul für mich war, als junge Frau in einem muslimischen Land. So kam ich auf die Idee, meine Istanbul-Erfahrungen in einem Buch zusammenzufassen - um meinen persönlichen Einblick in die Kultur auch anderen zugänglich zu machen. Als das Buch rauskam, war Sarrazin mit seinen Thesen über Migration gerade sehr präsent, absurderweise habe ich davon profitiert, denn so wurde mein Buch als Gegenentwurf gesehen – eine junge deutsche Frau, die sich für die türkische Kultur begeistert. Eine Mitarbeiterin beim Beck-Verlag hatte zu diesem Zeitpunkt wiederum das Manuskript für ein Buch über den Islam vorliegen und dachte dann, ich wäre eine gute Illustratorin dafür.

An wen richtet sich das Buch?
Von Seiten der Autorinnen Lama Kaddor und Rabeya Müller, zwei liberalen Islamwissenschaftlerinnen, war das Buch für junge muslimische Leser gedacht, der Verlag aber wollte, dass es sich an jugendliche Leser jeglichen Glaubens richtet, deshalb ist auch Basiswissen über den Islam erklärt. Aus meiner Sicht ist es ein Buch, das in den Schulunterricht gehört, denn momentan ist nichts wichtiger, als dass die Leute endlich anfangen, miteinander zu reden – und zwar alle Seiten. Seit dem 11. September verbreitet sich eine latente Angst vor dem Islam. Blätter wie der Focus titeln jede zweite Woche zur „Bedrohung Islam“. Der Terror ist die Bedrohung, nicht die Religion. Auf der anderen Seite soll das Buch jungen Muslimen umfassende Informationen über die Quellen ihres Glaubens zu geben. Es zeigt die Aussagen in ihrem geschichtlichen Kontext und vermittelt die verschiedenen Interpretationen, damit sie sich mit ihrer Religion selbständig auseinandersetzen und ihre Meinung bilden können.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Alexandra Klobouk, 31, arbeitet als Illustratorin in Berlin. Die gebürtige Regensburgerin verarbeitete 2010 ihr Auslandssemester in Istanbul in ihrem ersten Buch "Istanbul, mit scharfe Sauce?", das von vielen Kritikern als Gegenentwurf zu den Anti-islamischen Thesen von Thilo Sarrazin gefeiert wurde. 2012 illustrierte sie das Buch "Der Islam für Kinder und Erwachsene", in Zusammenarbeit mit den Islamwissenschaftlerinnen Lamya Kaddor and Rabeya Müller.

Was ist denn die Haltung des Buches zum Islam?
Das Buch ist aus einer liberalen muslimischen Warte heraus geschrieben. Die Autorinnen sind frauenrechtlich engagiert und diskussionsfreudig und vermitteln den Ansatz, dass es nicht eine einzigwahre Auslegung des Glaubenssätze gibt. Stattdessen wird jeder Muslim dazu aufgerufen, den Islam für sich selbst zu interpretieren.

In dem Buch werden auch heikle Themen angesprochen – die Rolle der Frauen, Islamismus, Homosexualität. Hast du dir beim Illustrieren dieser Themen Gedanken gemacht, ob das später Probleme verursachen könnte?
Mir war es wichtig, mich in den Darstellungenformen nicht beschneiden zu lassen. Ich arbeite viel mit Witz. Weil das Lesen Spaß machen muss. Und weil er es möglich macht, an Grenzen zu rütteln. Aber in diesem Kontext war es mir auch wichtig, niemanden zu verletzen. Es hilft nicht, jemanden vor den Kopf zu stoßen, mit dem man ins Gespräch kommen möchte. In dem Buch gibt es beispielsweise eine Auseinandersetzung mit dem Bilderverbot im Islam. Laut den Autorinnen findet sich kein konkretes Bilderverbot im Koran. Trotzdem gibt es Überlieferungen, nach denen - je nach Interpretation - bestimmte Dinge nicht dargestellt werden sollen. Deshalb wird das Gesicht Mohammeds auf islamischen Darstellungen oft verschleiert oder nicht gezeigt. Darüber haben wir diskutiert und uns dafür entschieden, sein Gesicht nicht abzubilden. Trotzdem wollte ich kein Tabu platzieren. Deswegen ist das Gesicht nicht verschleiert, sondern verschwindet zum Beispiel wie zufällig gerade hinter einem Ast.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

 Paradies und Hölle im Islam.

Du sagst, du willst niemanden vor den Kopf stoßen. Fandest du die Zeichnungen von Charlie Hebdo dann angemessen?
Charlie Hebdo ist Satire und Satire muss beißen. Meinungsfreiheit ist eine unserer größten Errungenschaften. Das heißt nicht, dass ich alles gut finde, was im Rahmen der Meinungsfreiheit so geäußert wird. Dass zum Beispiel Pegidas im 25.000-er Pack durch Dresden ziehen, um für die Idiotisierung des Abendlandes zu werben, geht mir ganz gehörig gegen den Strich.

Gab es denn überhaupt kritische Reaktionen auf deine Bücher?
Nein, es gab eigentlich ausschließlich positive Reaktionen. Insbesondere von Türkischstämmigen habe ich viel positives Feedback bekommen. Türkische Kultur war in Deutschland lange Zeit selten in einem positiven Kontext wahrgenommen worden, das hat sich in den letzten Jahren glücklicherweise etwas verändert. Auch Bedenken, dass es wegen der Illustration zum Islam für Kinder negative Reaktionen geben könnte, waren unbegründet.

Würde das Islam-Buch jetzt erst rauskommen – würdest du es anders illustrieren?
Ich habe mir ja vorher auch schon Gedanken gemacht und würde somit genauso arbeiten.Die Angst vor Attentaten ist sehr diffus – die Wahrscheinlichkeit ist vermutlich so hoch, wie an einem Papierschnitt zu sterben. Aber man muss vorsichtig sein, sich nicht von der Paranoia anstecken zu lassen und überlegt schon, welche Aussage vielleicht wen stören könnte. Deshalb achte ich jetzt mehr darauf, ob ich mich vielleicht doch präventiv zensiere – denn mir selber den Mund verbieten möchte ich auf keinen Fall.

Text: charlotte-haunhorst - Foto: oH, Illustrationen: Alexandra Klobouk

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