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Schöne Heimat, scheußliche Heimat

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Im Jahr 2008 gab es im Zeit-Magazin eine Deutschlandkarte über Städte, die in Liedern besungen wurden und es damit in die Charts geschafft haben. Wenig überraschend ist Berlin dabei (From Paris to Berlin von Infernal zum Beispiel), und auch Hamburg wurde schon häufig besungen (In Hamburg sind die Nächte lang von Leinemann). Wenn man auf der Zeit-Magazin-Karte allerdings nach kleineren Städten sucht, wird es dünn. Einzig Delmenhorst taucht auf (wegen des gleichnamigen Songs von Element of Crime), außerdem Erlangen (Wissenswertes über Erlangen). Dann gibt es noch zwei Songs über Heidelberg. Und damit ist Schluss.

Eigentlich müsste man diese Karte mal aktualisieren. Denn als ich am Neujahrstag während einer sehr langen Autofahrt von Berlin nach München so ziemlich jede "Das tut sich in der deutschen Musikszene"-Sendung hörte, die die Radiostationen auf dem Weg hergaben, hatte ich das Gefühl, dass gerade dieses Thema aktuell deutsche Bands beschäftigt: Das Leben in der Provinz, oder zumindest der Kleinstadt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Thees Uhlmann besang in "Lat:53.7 Lon:9.11667" seine niedersächsische Heimatstadt Hemmoor mit "Hier kommt ein Supermarkt auf zehn Personen, Die in kaputten Ehen in zwanzig Häusern wohnen. Hier gibt es Restaurants, in die niemand geht (...)". Casper rappte über Bielefeld (Ich bin raus (...) Vielleicht weit hinter den Bergen / Vielleicht nur Bielefeld, doch dort, wo noch Grinsen was wert ist). Und OK Kid nennen Gießen ihre Graue Stadt ohne Meer. Der Tenor war jedes Mal ähnlich: Es ist dort überall alles andere als super, aber halt irgendwie auch Heimat, und die muss man auch lieb haben. Die genannten Künstler leben mittlerweile übrigens alle in Berlin oder Köln.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Trister Norden, schöner Süden? Klingt manchmal fast so. 

Je weiter die Reise allerdings Richtung Süden ging, umso mehr änderte sich die Einstellung der Songs zur Heimat. Cro ist ja sowieso immer bestens gelaunt und besang das Mädchen, das er theoretisch auch im Stuttgarter Rotlichtviertel besuchen würde (in am scheena kloana dorf am see do wohn i) und die zahlreichen Bands, die beim bayerischen Heimatsound-Festival auf dieser Autofahrt vorgestellt wurden, fanden allesamt ihr Zuhause richtig gut. Niemand sang da von der Langeweile Straubings oder der schlechten Verkehrsanbidnung in Passau.

Ebenfalls auffällig: Cro lebt immer noch in Stuttgart, die LaBrassBanda-Jungs sind ebenfalls nicht in Berlin. Was ist da los? Stimmt der Eindruck meiner Radioreise durch Deutschland? Werden die Bands wirklich provinzpatriotischer, je weiter man nach Süden kommt? Und warum? Sind norddeutsche Kleinstädte schlimmer als süddeutsche? Oder schlägt sich das Klischee des heimatverbundenen Süddeutschen einfach mittlerweile auch in der Popmusik nieder?

Prof. Udo Dahmen ist Professor für Popmusik an der Popakademie Baden-Württemberg und gleichzeitig auch deren Geschäftsführer und künstlerischer Leiter. Auch wenn eine sechsstündige Autofahrt natürlich nur mäßig empirisch belastbar ist, befrage ich ihn zu meiner Theorie vom Heimat-Riss, der sich musikalisch durch Deutschland zieht.

In einer Stadt wie Hamburg ist es nicht nötig, sich von anderen Städten abzugrenzen - man denkt da in Kiezen

Tatsächlich hat Dahmen selber 20 Jahre in Hamburg gelebt, bevor er nach Mannheim zog. Und findet, am Umgang der verschiedenen Städte mit ihrer Musikszene könne man bereits viel ablesen: "Mein Eindruck ist, dass Bands im Süden sich mit den Songs, die etwas Positives über ihre Heimat erzählen, von den Metropolen im Norden, also von Hamburg oder Berlin, abgrenzen möchten. Sie wollen zeigen: Wir können das hier genauso!", sagt Dahmen. In Hamburg sei man selbstbewusst gewesen, habe sich nur zwischen den verschiedenen Kiezen duelliert. Songs wie "Hamburg, meine Perle" verfestigen dieses Selbstbild. Sich von anderen Städten abzugrenzen, sei bei der Größe nicht notwendig. Außerdem merkt er an, dass man natürlich mit so einer These auch die verschiedenen Genres beachten müsste - im Hip-Hop spielte die eigene "Hood" schon immer eine starke Rolle. Dort über die Heimat und die Homies zu rappen, dass sie total öde seien - unvorstellbar. Und ein Zentrum für Hip-Hop war nunmal immer neben Hamburg Stuttgart - damit wäre also zumindest schonmal das schwäbische Selbstbewusstsein geklärt.

 

Dadurch, dass es im Süden viele mittelgroße, lebenswerte Städte gebe, die von den großen Metropolen im Norden allerdings eher belächelt werden, habe man angefangen zusammenzuhalten, erklärt Dahmen. Man grenzt sich dort innerhalb einer Stadt weniger gegeneinander ab, sondern sieht die Heimat als etwas, das man nach außen hin gemeinsam verteidigt. Hier im Südwesten sind das zum Beispiel Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen, die musikalisch vieles zusammen organisieren. Zwischen diesen Städten herrscht ein Verbundenheitsgefühl, das man auch nach außen vertritt.

 

Tatsächlich gibt es auch in Bayern, neben der Metropolregion München, zahlreiche mittelgroße Städte dicht beieinander - Regensburg, Nürnberg, Erlangen, Bayreuth, Würzburg, um nur einige zu nennen. Die Zivilisation ist von den eher licht bebauten Flecken dazwischen meist irgendwie erreichbar. In Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern ist das oft schwieriger, in Magdeburg hält nicht mal der ICE.

 

"Junge Musiker aus der Provinz wollen heute nicht mehr in die Großstadt"

Vielleicht ersetzen im Süden diese vielen Klein- bis Mittelstädte die Sehnsucht nach der Flucht vor der Provinz, wie sie die norddeutschen Bands immer wieder besingen. Nicht umsonst singt Thees Uhlmann von den 100 Kilometern, die es von seinem Heimatkaff bis zur nächsten Autobahn dauert.

 

Für eine weitere, positivere Wahrnehmung der Heimat im Süden, spricht aus Dahmens Sicht auch der Umgang mit Mundart: Bands wie Kofelgschroa oder LaBrassBanda sind damit erfolgreich. Das letzte bekannte norddeutsche Lied in Mundart, an das ich mich erinnern kann, war "Nordish by Nature" von Fettes Brot. Das war 1995 und die Band kam auch aus Hamburg - neben Berlin eben die einzige Großstadt im Norden. Dahmen spricht noch die Lieder von Wolfgang Niedecken und BAP an, Kölschrock nennt man das. Allerdings haben die 1976 angefangen.

 

Bleibt noch eine Frage offen - wie kommt es, dass momentan viele Bands so ein Bedürfnis verspüren, ihre Heimat in Songs zu thematisieren? Dahmen hat dafür eine gute Erklärung: "Früher war es so, dass viele Musiker in einer Kleinstadt groß wurden und dann in einem zweiten oder dritten Schritt in eine Metropole gingen, um sich weiterzuentwickeln. Ich beobachte immer mehr die Tendenz, dass junge Musiker aus der sogenannten Provinz heute gar nicht mehr so sehr in die Großstadt wollen. Die ist aus ihrer Sicht überlaufen und dieser Schritt ist dank des Internets auch nicht mehr zwingend notwendig." Früher sei man auch in die Großstadt gefahren, um neue Musik zu entdecken und Kontakte zu knüpfen, heute gehe das online. Und Inspiration für Songs lasse sich auch in der Provinz finden - ganz egal, ob diese Songs dann eher Liebe oder Hass gegenüber der Heimat ausdrücken.

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