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Das Geschirr ist schnell erledigt. Ich schwinge den hölzernen Baseballschläger über den gedeckten Tisch. Bäng! Gläser und Teller fliegen an die Wand und zersplittern zu kleinen Scherben. Lauter Punkrock dröhnt aus den Lautsprechern an der Wand. Ich fühle mich groß und stark.

Dann sind die Elektrogeräte dran. Auf einer Kommode warten ein Drucker und ein Scanner auf meine Wut. Ich muss nur kurz an den letzten Totalabsturz meines Computers denken, schon fühle ich alten Zorn in mir aufsteigen. Ich hebe den Schläger über meinen Kopf – nehmt das, ihr Quälgeister des Arbeitsalltags – und lasse ihn auf die Gehäuse niedersausen. Die Geräte machen einen Satz, Glas und Plastik brechen, dann quellen die aus Platinen und Chips bestehenden Innereien heraus.  Insgesamt eine halbe Stunde habe ich Zeit, um die Einrichtung des schummrig beleuchteten Zimmers in Schutt und Asche zu legen. Ich bin in Deutschlands erstem Wutraum in Halle an der Saale.

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Marcel Braun und Ronny Rühmland haben ihn Ende August in einem leerstehenden Hinterhaus nahe des Bahnhofs eröffnet. „Schlag dich fit“ steht auf einem Schild neben der Eingangstür. Dahinter warten zwei Räume zum Austoben auf Besucher. Eingerichtet sind sie mit Möbeln vom Sperrmüll, ausrangierten Fernsehern und Computern. Weggeworfene Bilderrahmen, Blumenvasen und Geschirr runden das Schlachtfeld ab. Für 89 Euro dürfen über 18-jährige Besucher alles kurz und klein hauen. Zur Verfügung stehen ihnen dafür Baseballschläger aus Holz und Metall sowie Vorschlaghämmer in mehreren Gewichtsklassen. Das Werkzeug hängt griffbereit an der Wand. Maschinell betriebenes Gerät wie Kettensägen ist tabu, das Selbstverletzungsrisiko sei dann zu groß, erklärt Braun.

 

Ein Angebot für Menschen, die im Berufsleben die Nerven bewahren müssen

Die halbe Stunde im Wutraum soll den Besuchern helfen, angestaute Aggressionen abzubauen. In den ersten fünf Monaten hat das Angebot vor allem Menschen angelockt, die im Berufsleben die Nerven bewahren müssen, unter ihnen ein Unternehmensberater, eine selbstständige Gastronomin und ein paar Promotions-Studenten. Eine Ärztin mit viel Stress in ihrer eigenen Praxis bekam den Besuch im Wutraum von ihrem Mann geschenkt. „Sie hat uns erzählt, dass sie schon lange nicht mehr so entspannt zur Arbeit gegangen ist, wie am Tag, nachdem sie hier war“, sagt Rühmland zufrieden.

Heute sind außer mir noch der Kindererzieher Martin und seine Freundin Colette zu Gast. Sie haben nach etwas Besonderem gesucht, um Colettes 27. Geburtstag zu feiern. Martin freut sich schon lange auf diesen Besuch, er verbucht ihn als Wellnesstag. „Da kann ich endlich mal alles abreagieren, was sich so anstaut“, sagt er und grinst. Besonders wütend wirkt er allerdings nicht. Eher strahlt er die Freude eine Kindes aus, das den Turm aus Bauklötzen nun umschmeißen darf.

Das Paar legt Overalls, Helme und Schutzbrillen an. Kurz darauf hört man die beiden zwischen dem Krach zersplitternder Einrichtung laut lachen. „Geil, Massivholz“, freut sich Martin, als er mit seinem Vorschlaghammer den großen Tisch bearbeitet. Das Möbelstück braucht einige beherzte Schläge, bevor es nachgibt.

Zum Wutraumanbieter wurde Marcel Braun eher zufällig. Der 32-Jährige, hauptberuflich Manager bei DHL, surfte aus Langeweile im Internet nach Geschäftsideen. „Ich habe nach Modellen gesucht, für die man nicht viel Startkapital braucht.“ Dabei stieß er auf den Anger Room in Dallas in den USA, der vor drei Jahren eröffnet hat. Das Konzept war leicht zu realisieren. „Wir brauchten günstige Räume, in denen man laut sein kann. Die haben wir hier schnell gefunden.“ Und zweitens musste der Nachschub an alten Möbeln gesichert sein.

Für den sorgt Ronny Rühmland. Er ist selbstständiger Handwerker und kennt einige Firmen, die Haushalte auflösen. Bisher haben sie Möbel, die keiner mehr braucht, auf die Mülldeponie gefahren. Nun bringen die Entrümpler sie stattdessen in den Wutraum. Bezahlen müssen Rühmland und Braun diesen Service nicht, nur für die anschließende Entsorgung der Trümmer aufkommen.

In meinem Zimmer sind inzwischen nur noch große Möbelstücke intakt. Ich wechsle vom Baseballschläger zum Vorschlaghammer. Der wiegt schwer in den Händen. Um den nötigen Druck aufzubauen, denke ich an alltägliche Situationen, die mich wütend machen. Mir fallen auf Radwegen parkende Autofahrer ein. Zwei Schläge später habe ich einen Stuhl zertrümmert.

Geld für Webung musste bisher kaum ausgegeben werden

Seit seiner Eröffnung vor fünf Monaten wird der Wutraum etwa zwei bis drei Mal pro Woche gebucht, oft von Paaren oder Gruppen, die sich gemeinsam austoben wollten. Weil im Weihnachtsgeschäft rund 30 Gutscheine verkauft wurden, könnte die Besuchermenge zu Beginn des neuen Jahres leicht zunehmen, schätzt Braun.

Geld für Werbung mussten die beiden bislang kaum ausgeben, denn die Medien zeigen anhaltend hohes Interesse am Wutraum, weil der sich bestens als Story eignet: Echte Menschen zeigen dort ein großes Gefühl. Und alles läuft in einem kontrollierten Rahmen ab. Zorn und Zerstörung dürfen ausgelebt werden, die Leute können sich dabei beruhigen. Kann das falsch sein?

Schon Aristoteles glaubte an das Konzept der Katharsis. Indem die Zuschauer einer antiken Tragödie Trauer und Mitleid für die Handelnden auf der Bühne empfanden, sollten ihre Seelen von negativen Gefühlen gereinigt werden. Diesen Gedanken aufgreifend argumentierte Freud, wer ab und an feindliche Gefühle heraus lasse, reduziere seine Aggressionen. 

„Will jemand Aggressionen abbauen, ist es viel hilfreicher, sich mit Gefühlen abzulenken, die mit Ärger und Wut in Widerspruch stehen“

Empirische Forschungsergebnisse ließen allerdings Zweifel an der Idee aufkommen, sagt die Sozialpsychologin Barbara Krahé von der Universität Potsdam: „Eine ganze Reihe von Experimenten zeigt: Aggressionen auf symbolische Weise auszuleben reduziert Wutgefühle nicht, sondern verstärkt sie noch.“ Als Beispiel nennt sie eine Versuchsreihe aus den USA. Dort sollten die Versuchspersonen Co-Teilnehmer aggressiv behandeln. Die Forscher zeichneten dabei die Herzfrequenz der Probanden auf. Das Ergebnis: Diejenigen, bei denen der Puls durch die aggressive Handlung am stärksten sank, bei denen sich also die größte kathartische Wirkung zeigte, waren in der zweiten Phase des Experiments wiederum die aggressivsten Akteure.

Dafür gebe es eine einfache Erklärung, sagt Krahé. „Wenn Menschen bei aggressiven Handlungen ein gutes Gefühl bekommen, werden viele das wiederholen wollen.“ Der Wutraum wirke daher seinem erklärten Ziel genau entgegen. „Will jemand Aggressionen abbauen, ist es viel hilfreicher, sich mit Gefühlen abzulenken, die mit Ärger und Wut in Widerspruch stehen“, sagt Krahé. Sie schlägt vor, an etwas Lustiges zu denken oder ein Tierbaby zu streicheln. „Dadurch werden die Ärgergefühle abgeschwächt und aggressive Verhaltensimpulse unterdrückt.“

Von meiner Wut ist nicht mehr viel übrig, als ich bei einem Nachtschränkchen ankomme. Ich kann den Hammer kaum noch halten, in meinen Schultern und Armen hat sich Müdigkeit breit gemacht. Das Schränkchen geht unter meinen Schlägen einfach nicht kaputt und ich beginne, die darin steckende Wertarbeit zu bewundern. Dadurch verliere ich die Lust an der Zerstörung. Ich habe genug für heute.

Im Raum nebenan haben Colette und Martin ganze Arbeit geleistet. Die Einrichtung liegt vollständig in Trümmern. Eine Staubwolke vernebelt das Zimmer. Lachend werfen sich die beiden gegenseitig letzte einzelne Teile zu, um sie mit dem Baseballschläger an die Wand zu klatschen. Martin bilanziert: „Das war ein großer Spaß.“ 

Natürlich wollen die Unternehmer Braun und Rühmland nicht, dass ihre Besucher beginnen, auch zu Hause auf Dinge einzuschlagen. „Dafür ist ja unser Raum da“, sagt Braun. Sein Kompagnon Rühmland weiß allerdings auch, dass die Wirkung des Wutraums bestenfalls vorübergehend ist. „Wenn die Leute das Gefühl behalten wollen, mit dem sie hier herausgehen, müssen sie uns nach einigen Wochen wieder besuchen.“ Den beiden Betreibern kann das nur recht sein. 

Nachdem ich meine Zerstörungsorgie beendet habe, bekomme ich eine Flasche Wasser. Ich bin fix und fertig. Braun und Rühmland beginnen, die Trümmer in den großen Container vor der Tür zu werfen. Zehn bis zwanzig Räume passen hinein, bevor alles zur Mülldeponie gebracht wird. Im Selbstversuch hat Marcel Braun festgestellt, dass ihm das Zerstören eher schwer fällt. „Ich bin ein ziemlich ausgeglichener Typ. Wenn man mit dem Vorschlaghammer auf die Möbel losgeht, muss man sehr aus sich herausgehen. Das ist nicht leicht“, sagt er. Zum Aufräumen schaltet er die Stromgitarrenmusik aus – und legt stattdessen Liebeslieder von Max Herre auf.

Text: Clemens Haug - Fotos: Clemens Haug

So werdet ihr die Wut auch wieder los: 

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