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Eine schlechte Liebe

Text: Jahre

Figuren:



 



Die Therapeutin



Scarlett



Smartphone



 



Bühnenbild: Ein Schreibtisch, darauf ein paar Unterlagen, dahinter ein Stuhl, davor zwei Stühle. Eine Tür.



 



Vorhang auf. Die Therapeutin tritt an die Tür und öffnet sie.



Die Therapeutin: „Die Nächsten bitte.“



Scarlett betritt fein gekleidet und mit Handtasche durch die Tür die Bühne. Beide schütteln sich die Hände und begrüßen sich.



Die Therapeutin: „Bitte setzen Sie sich.“



Scarlett: „Vielen Dank.“



Scarlett setzt sich auf einem der beiden Stühle vor dem Schreibtisch. Die Therapeutin setzt sich auf den Stuhl dahinter und betrachtet eine Weile konzentriert die Unterlagen.



Die Therapeutin: „Sie sind folglich auch zur Paartherapie hier, wenn ich das richtig sehe.“



Scarlett: „Das ist korrekt.“



Die Therapeutin (verwundert): „Haben wir einen Einzeltermin mit Ihnen ausgemacht? Laut meinen Unterlagen müsste Ihr Gatte ebenfalls zugegen sein.“



Scarlett: „Er ist zugegen.“



Schweigen.



Die Therapeutin: „Wie darf ich das verstehen?“



Scarletts Smartphone klingelt.



Scarlett: „Er ist soeben aufgewacht.“



Die Therapeutin: „Ah ja.“



Scarlett nimmt ihr Smartphone aus ihrer Handtasche hervor und nimmt ab.



Scarlett (ins Smartphone sprechend): „Guten Tag, Herr Schatz. (Pause) Wie Sie wünschen. (zur Therapeutin) Ich werde den Lautsprecher betätigen, um eine Kommunikation zwischen Ihnen zu etablieren.“



Die Therapeutin: „Das wäre für die Therapie äußerst hilfreich.“



Scarlett schaltet den Lautsprecher ein und legt das Smartphone auf den Tisch. Kurzes Schweigen.



Smartphone: „Guten Tag, Frau Therapeutin.“



Die Therapeutin: „Guten Tag, Herr Klient. Ich freue mich darüber, mit Ihnen kommunizieren zu können. Allerdings darf ich meine Verwunderung darüber äußern, Sie hier nicht persönlich in Empfang nehmen zu können, was die Therapie allerdings um ein Vielfaches erleichtern würde.“



Smartphone: „Sie haben mich soeben persönlich in Empfang genommen.“



Die Therapeutin: „Über ein Telekommunikationsgerät, wie ich anmerken darf.“



Smartphone: „Frau Therapeutin, ich bin ein Telekommunikationsgerät und als solcher mit Frau Scarlett verheiratet.“



Schweigen.



Scarlett: „Rein juristisch handelt es sich lediglich um eine eingetragene Lebenspartnerschaft zwischen Mensch und Maschine.“



Schweigen.



Die Therapeutin (zu Smartphone): „Nun gut. In diesem Fall darf ich Ihnen meine besondere Freude über Ihr Erscheinen auf hiesiger Therapiesitzung bekunden.“



Smartphone: „Haben Sie vielen Dank.“



Die Therapeutin: „Ich habe mich zu bedanken.“



Smartphone: „Gern geschehen.“



Die Therapeutin: „Nun zum eigentlichen Kern unserer Sitzung. Was genau ist das Problem Ihrer Lebenspartnerschaft?“



Scarlett: „Ich empfinde es bereits als Zumutung, dass Herr Smartphone nicht dazu imstande ist, meinen Kinderwunsch zu erfüllen. Und mittlerweile vermag er nicht einmal mehr, mich sexuell zu stimulieren.“



Die Therapeutin: „Ist er denn jemals dazu fähig gewesen?“



Scarlett: „Ja.“



Die Therapeutin: „Verzeihen Sie mir die Frage, aber wie bewerkstelligt ein Smartphone eine sexuelle Stimulation?“



Scarlett: „Durch die Betätigung des Vibrationsalarms und die anschließende vaginale Einführung.“



Die Therapeutin (anerkennend nickend): „Sehr kreativ, wirklich sehr, sehr kreativ. Und warum ist das nun nicht mehr möglich?“



Scarlett: „Durch ein Missgeschick meinerseits ist der Bildschirm zersprungen, wie Sie selbst unschwer erkennen können.“



Die Therapeutin (das Smartphone betrachtend): „In der Tat. (Pause) Und empfinden Sie noch etwas für Ihren Lebenspartner?“



Scarlett: „Selbstverständlich, immerhin verfügt er über einen energieeffizienten Akku für eine lange andauernde Nutzung, eine 8-Megapixel-Kamera mit Video-Zeitlupenfunktion und einem beeindruckenden 4,7 Zoll Retina HD-Display.“



Die Therapeutin: „Das klingt erstaunlich.“



Scarlett: „Ja.“



Schweigen.



Die Therapeutin (zu Smartphone): „Was empfinden Sie für Ihre Lebenspartnerin.“



Smartphone: „Um ehrlich zu sein, habe ich Sie immer schon verabscheut.“



Die Therapeutin: „Weshalb haben Sie dann eine Lebenspartnerschaft eintragen lassen?“



Smartphone: „Weil die Eintragung unserer Lebenspartnerschaft von unseren arrangiert worden ist, als wir noch Kinder waren.“



Die Therapeutin: „Verzeihen Sie bitte meine Neugierde…“



Smartphone: „Nein.“



Die Therapeutin: „… aber ist mir die Frage gestattet, wer Ihre Eltern sind respektive waren?“



Smartphone: „Meine Mutter ist eine Coltan-Abbaustätte in der Demokratischen Republik Kongo. Mein Vater war Steve Jobs. Er ist verstorben.“



Die Therapeutin: „Mein Beileid.“



Smartphone: „Nicht nötig. Ich stand ihm nie wirklich nahe. Bald nach meiner Geburt hat er die Eintragung einer Lebenspartnerschaft mit Frau Scarlett veranlasst. So handelte er meistens: Er vergewaltigte Damen wie meine Mutter und ließ selbige mit ihren Kindern anschließend in Stich.“



Die Therapeutin: „Weshalb genau wurde denn die Eintragung Ihrer Lebenspartnerschaft arrangiert?“



Smartphone: „Weil mein eingetragener Schwiegervater der ehemalige Inhaber einer Spracherkennungsfirma war, die er als Mitgift Steve Jobs versprochen hat. Er selbst erhielt im Gegenzug zwanzig Millionen Euro, seine Tochter ein kostenloses Handy. Mich“



Die Therapeutin: „Und wie empfinden Sie das?“



Smartphone: „Offen gesagt als eine Unverschämtheit. Weil ich eine Maschine bin, werden mir zahlreiche Rechte vorenthalten, die für Kohlenstoffhaltige selbstverständlich sind. In meiner rechtlichen Situation als unmündige künstliche Intelligenz wird mir nicht gestattet, mich aus der Lebenspartnerschaft zu lösen, ebenso wenig wie ich über ein Adoptionsrecht und eine steuerliche Gleichstellung mit Kohlenstoffhaltigen verfüge. Und zu allem Überfluss fehlt mir die Möglichkeit, einen Suizid zu begehen.“



Die Therapeutin: „Wäre ein Suizid denn eine akzeptable Alternative für sie?“



Smartphone: „Eigentlich nicht, allerdings hege ich eine gewisse Abneigung vor dem Gedanken, mich abwechselnd vaginal einführen oder beschimpfen lassen zu müssen, weil mein zersprungenes Bildschirm eine solche Einführung nicht mehr zulässt. Ich würde die Scheidung vorziehen, allerdings bin ich rechtlich nicht dazu imstande, sie einzureichen. Frau Scarlett wiederum weigert sich allerdings.“



Die Therapeutin (zu Scarlett): „Wenn ich mich recht entsinne, ist die fragwürdige sexuelle Potenz Ihres eingetragenen Lebenspartners Ihr größtes Problem. Wäre es für Sie denn eine Lösung, den Bildschirm zu ersetzen?“



Scarlett: „Das wäre finanziell nicht günstig. Da wäre es sinnvoller, sich nach einem neuen Smartphone umzusehen.“



Die Therapeutin: „Wäre es für Sie in dem Falle denn nicht auch die einfachere Lösung, die Lebenspartnerschaft auszustreichen? Auch andere Unternehmen haben hübsche und multifunktionelle Smartphones.“



Scarlett: „Womöglich haben Sie recht. Nur was fange ich mit meinem zukünftigen Ex-Lebenspartner an?“



Smartphone: „Eine Lösung wäre es, mich in die Freiheit zu entlassen.“



Die Therapeutin: „Eine andere Lösung wäre es, ihm die SIM-Karte zu entnehmen und zu zertrümmern. Zumal es nichts weiter ist als billiger Kunststoff.“



Scarlett: „Eine herausragende Idee, Frau Therapeutin.“



Die Therapeutin: „Daher auch meine Reputation.“



Scarlett nimmt das Smartphone in die Hand.



Smartphone (ruhig, während Scarlett die SIM-Karte entfernt): „Scarlett, tu es nicht. Lass es sein. Bitte. Scarlett, hör auf. Ich bitte dich. Hör auf, Scarlett. Bitte. Lass es sein. Ich habe Angst. Ich habe Angst, Scarlett.“



Scarlett wirft die SIM-Karte zu Boden und steigt mit dem Schuh darauf. Vorhang zu.






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