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Helfen im Hölzl

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Manchmal reicht ein gemütliches Bier mit einem Freund in einer Kneipe und man ist mittendrin in einer Sache, die man vorher nur so am Rande wahrgenommen hat. Carola ist Grafikerin und seit fast einer Woche hilft sie jeden Tag im Kapuzinerhölzl: „Ich kannte die Flüchtlings-Problematik natürlich und wollte helfen, wie ganz viele da draußen, die nicht wissen wo. Ein Freund von mir ist beim KJR (Kreisjugendring, Anm. d. R.) und somit war die Verbindung da.“  

Die prekären Bedingungen, unter denen Asylsuchende in Bayern leben müssen, sorgen für Wut und Empörung. Weil die Bayernkaserne heillos überfüllt ist, wurden viele Flüchtlinge vergangenen Donnerstag kurzfristig in das internationale Jugendcamp The Tent im Kapuzinerhölzl gebracht.  

Wo normalerweise junge Rucksack-Touristen aus aller Welt ihren München-Aufenthalt verbringen, wohnen jetzt 210 Flüchtlinge zusammen. Sie sprechen verschiedene Sprachen, gehören verschiedenen Glaubensrichtungen an und jeder hat seine individuelle, traumatische Fluchtgeschichte.  

Und mittendrin: Carola.  

Mit schnellen Schritten geht sie durch das Camp, grüßt die Bewohner, macht einen Scherz und kickt im Vorbeigehen einen Fußball. Die Menschen im Camp kennen sie. Als ehrenamtliche Helferin verbringt sie neben ihrer normalen Arbeit jeden Tag mehrere Stunden in der Erstaufnahmestation.  



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Sie ist hier für administrative Aufgaben zuständig. Das bedeutet, sie koordiniert die vielen Freiwilligen, kümmert sich um Spender und versucht den Überblick zu behalten: Was wird dringend gebraucht? Wovon haben wir genug? Denn die Bereitschaft, einen kleinen Beitrag zu leisten, damit sich die Flüchtlinge willkommen fühlen, ist groß.  

Anfangs hätten alle Klamotten gespendet, erzählt Carola. Und jetzt quillt das Lager über. „Im Moment werden große Männerschuhe, Unterwäsche, Reisetaschen, Koffer und Rucksäcke benötigt, damit die Bewohner das, was wir ihnen geben, auch wieder mitnehmen können. In etwas anderem als einer Plastiktüte.“ Denn eines steht fest: Trotz der Verlängerung werden die Bewohner am nächsten Dienstag ausziehen müssen. Das liegt am vorhergesagten Wintereinbruch und an dem Status des Lagers als „Erstaufnahmestation“.  

Hier sollte die Registrierung stattfinden– die erste bürokratische Hürde auf dem Weg zum anerkannten Status als Asylsuchender. Sollte! Der Betreiber des The Tent, der Kreisjugendring München, kritisiert, drei Wochen Wartezeit seien dafür viel zu lange. Alles ist im Schwebezustand. Niemand weiß, was als nächstes passiert. Das ist belastend für die Flüchtlinge und die Helfer. Deswegen sind Leute wie Carola so wichtig: „Flüchtlinge sind keine Menschen zweiter Klasse und dieses Gefühl können wir ihnen geben, egal was auch immer an bescheuerten Behördengängen noch kommen mag“  

Carola antwortet immer sehr vorsichtig. Es fällt auf, dass niemand, der hier hilft, seinen eigenen Anteil besonders herausstellen möchte. Die Zeit, die Mitarbeiter hier verbringen, würde niemand als „geopfert“ bezeichnen. Obwohl Carola einen Vollzeit-Job hat, empfindet sie ihr Engagement als Bereicherung, sagt sie: „Die meisten Kunden haben Verständnis für das, was ich gerade tue und manche Projekte lassen sich nach hinten verschieben“.  

Noch vor einer Woche deutete jedenfalls nichts daraufhin, dass sie jetzt hier aushelfen würde. Und Carola jetzt sorgt selbst dafür, dass aus ihrem Freundeskreis viele etwas tun. Eine Freundin kam von „Clowns ohne Grenzen“, andere stellen sich nachmittags hinter die Rezeption oder geben einen Sprachkurs. Vielleicht gibt es bald eine Jam-Session mit Musikern aus München. Carola und ihre Kollegen netzwerken für eine Sache, die alle bewegt.  

Im Inneren der riesigen Zelte, in denen die Flüchtlinge untergebracht sind, sieht es ein bisschen aus wie ein Bierzelt. Statt Bierbänken stehen unzählige Stockbetten auf dem Holzboden. Ein Zelt wird von 150 Menschen bewohnt - Privatsphäre gibt es hier nicht. Doch die Verhältnisse sind besser als in der Bayernkaserne. Als Besucher hat man sogar den Eindruck, dass hier trotz der schwierigsten Umstände Harmonie herrscht. Auf dem gekiesten Platz zwischen den gigantischen Zelten stehen Biertische; kleine Mädchen malen mit Wasserfarbe bunte Kleckse auf Papier; eine Gruppe von Männern räumt lachend einen Anhänger mit gespendetem Brennholz aus.  

Carola sagt, den Helfern in der Bayernkaserne könne man keine Schuld an der dortigen Situation geben: „Die geben bestimmt auch ihr Bestes, haben aber mit ganz anderen Umständen zu kämpfen. Und hier haben wir die Voraussetzungen, dass es so harmonisch sein kann.“ Um die schwierige Aufgabe zu stemmen nutzt der KJR seine Kontakte: Pfadfinder kümmern sich um die Infrastruktur und das „Klinikum Dritter Orden“ schickt Ärzte. Und auch wenn es mal Ärger gibt, bleiben die meisten Freiwilligen motiviert und wollen bald wiederkommen.  

Seit Carola hier ist, hat sich ihre Einstellung zum Leben verändert und sie hat gelernt, ihre Situation mehr zu schätzen. Trotz der lachenden Gesichter und der spielenden Kinder sind im Kapuzinerhölzl Menschen gestrandet, die alles verloren haben. Diese Schicksale bewegen die Freiwilligen natürlich. „Wenn du jemanden gegenüber stehst - einem gestandenen Mannsbild - und der seine Geschichte erzählt mit einem Kloß im Hals, dann bin ich auch den Tränen nahe.“  

Die Stadt München will jetzt schnell Plätze für bis zu 1000 Flüchtlinge schaffen und sogar Privatpersonen soll es ermöglicht werden Flüchtlinge zu Hause aufzunehmen. Langsam kommt Bewegung in die Situation. Aber während die Politik noch überlegt, haben Carola und ihre Mitstreiter schon gehandelt.

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