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Verbandelt

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Till geht Felix „öfter mal auf den Sack“. Das sagt er selbst. Früher, da habe Felix sich vom Großvater Basketballspiele aufzeichnen lassen „fünftausend Stunden lang, und dann saßen wir auf dem Sofa und ich habe Felix so lange genervt, bis wir uns geprügelt haben – das war mir lieber als diesens langweilige Basketball anzugucken!“ Das Problem war, dass beide etwas machen mussten, was nur einer machen wollte. Heute wollen beide Musik machen. Felix und Till Brummer, 23 und 25 Jahre alt, sind Brüder aus Chemnitz, die sich früher vor Opas Fernseher gestritten haben. Und sie sind Frontmann und Bassist der Indierock-Band Kraftklub, deren neues Album vor drei Wochen auf Platz eins der deutschen Albumcharts eingestiegen ist.

Bands, in denen Geschwister gemeinsam spielen, gibt es oft, quer durch die Popgeschichte: Bee Gees, Jackson 5, AC/DC, Dire Straits, Bangles, New Kids on the Block, Radiohead, Oasis, Kings of Leon, Arcade Fire. Und das sind nur einige der bekanntesten. Es gibt sogar eine Band, die so getan hat, als bestünde sie aus Geschwistern: die White Stripes. Bis US-Medien aufdeckten, dass Jack und Meg White tatsächlich mal eine Familie waren – allerdings als Ehepartner. Vielleicht haben sie die Geschichte erfunden, weil sie sich ähnlich sehen und den gleichen Nachnamen haben. Vielleicht aber auch, weil es eine besondere Aura hat, wenn Geschwister zusammen arbeiten. Eine emotionale, rührende Ebene.

Geschwister sind unsere ersten Freunde und unsere ersten Feinde. Mit ihnen üben wir streiten und verzeihen, sich verbünden und sich trennen. Sie prägen uns und wir prägen sie. Sind das die perfekten Partner, um Kunst zu machen? Die besten Bandkollegen, weil man weiß, was man aneinander hat? Oder eigentlich die schlechtesten, weil die natürliche Konkurrenz so groß und die emotionale Verbindung so vorbelastet ist?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Till (links) und Felix (Mitte) sind Brüder und spielen beide in der Band Kraftklub. Jeder macht dort sein eigenes Ding.

Till und Felix sind zufällig in einer Band gelandet. Till spielt Gitarre, seit er neun ist. Bevor Kraftklub 2010 gegründet wurde, war er bereits in einer Indierock-Band. Felix fand erst mit 16 zur Musik, aber zu anderer: er rappte. Bei einer Hip-Hop-Veranstaltung in Chemnitz arbeiteten beide das erste Mal zusammen. Das war der Grundstein für Kraftklub, Felix stieß zu Tills bereits vorhandener Band dazu.

Musik verträgt Emotionalität besser als ein Familienunternehmen, das Kaufhäuser führt

„Es ist relativ selten, dass Geschwister sich zusammentun“, sagt Hartmut Kasten, Professor für Psychologie an der LMU München und Experte für Geschwisterbeziehungen, „es ist eher die Regel, dass sie sich voneinander abgrenzen, weil sonst Neid aufkommen kann. Vor allem, wenn sie das gleiche Geschlecht und einen geringen Altersunterschied haben.“ Gleiches Geschlecht und geringer Altersunterschied bedeuten nämlich oft auch: große Ähnlichkeit. Und weil der Mensch Kasten zufolge dazu neigt, sich vor allem mit denen zu vergleichen, die ihm ähneln, messen sich Geschwister umso mehr aneinander, je ähnlicher sie sich sind.

Umso erstaunlicher, dass viele Geschwister in Bands das gleiche Geschlecht haben und etwa gleich alt sind. So wie Felix und Till. Manche Wissenschaftler denken allerdings, dass das Vergleichen ein biologischer Impuls und der Motor des Fortschritts ist. Eine Geschwisterbeziehung mit Konkurrenz kann also eine gute Grundlage für eine Band sein – auch, wenn es dann schnell emotional wird. Musik verträgt Emotionalität besser als ein Familienunternehmen, das Kaufhäuser führt. Es kann aber auch enden wie bei den Gallagher-Brüder von Oasis: im Riesenstreit. Vielleicht waren sie sich zu ähnlich. Wenn man sie anschaut, müsste man sagen: ja.

Till und Felix sehen sich nicht besonders ähnlich. Entscheidend ist aber am Ende sowieso nicht die genetische, sondern die subjektiv empfundene Ähnlichkeit, sagt Professor Kasten: „Auch, wenn sich zwei Geschwister äußerlich extrem gleichen – wenn sie sich nicht als ähnlich erleben, haben sie wenig Grund, sich zu streiten.“ Die Grundlage dafür legen die Eltern. So wie sie die Beziehung der Kinder moderieren, so sehen diese sich auch selbst. Das ist entscheidend für späteren Lebensweg. Weil Till und Felix lange unterschiedliche Musik machten, blieb die Konkurrenz im Rahmen. Und auch jetzt macht jeder das, was ihm liegt: Felix hat keine Lust, eine Bassgitarre zu spielen, Till hat keine Lust, Frontmann zu sein. Felix singt seine eigenen Texte, Till spielt auf dem Bass, was er sich ausgedacht hat. Bei den Gallagher-Brüdern war das anders: Noel schrieb die Songs für Liam. Für die Brummer-Brüder unvorstellbar: „Wenn Till mich jeden Abend vorne rumhampeln sehen würde, mit Songs, die er sich aus dem Herz gewrungen hat, und ich krieg dafür die BHs zugeworfen – ich kann mir vorstellen, dass das ans Ego geht“, sagt Felix. Obwohl jeder dem anderen seinen Bereich lässt, sind die beiden im Umgang miteinander nicht auffallend sensibel. Der Ton ist eher rau. Sie wissen ja, wie weit sie dabei gehen können. „Vielleicht ist es ein Jungs-Ding, dass man nicht immer gleich in Tränen ausbricht, wenn man mal angefurzt wird“, sagt Felix, „mit unseren zwei Schwestern können wir nicht so reden.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Beim Hamburger Elektropop-Duo Hundreds sind die Rollen klar: Philipp ist Evas große Bruder.

Zwischen Till und Felix gibt es auch kein Autoritätsgefälle, kein „kleiner-Bruder-großer-Bruder.“ Beim Elektropop-Duo Hundreds aus Hamburg istdas anders: Hundreds besteht aus Bruder und Schwester, Philipp und Eva Milner. Er ist 38, sie 33. Philipp macht schon lange Musik. Vor etwa zwölf Jahren hat er Eva gefragt, ob sie in seiner Band singen möchte. Sie sagte nein. Philipp war enttäuscht. Aber er hat immer wieder nachgefragt, weil er sie für die bestmögliche Besetzung hielt. 2010 hat sie sich getraut. „Ich war am Anfang immer super aufgeregt, aber Philipp hat mir sehr geholfen“, sagt Eva.

Philipp war immer der große Bruder, auch wenn das mit den Jahren weniger geworden ist. Sie haben schon als Kinder kaum gestritten, es war ja immer klar, wer der Stärkere ist. Er hat eher auf Eva aufgepasst, als dass er mit ihr gespielt und in Konkurrenz getreten wäre. Und als sie 13 war, hat er ihr das erste Album von Björk in die Hand gedrückt und so ihren Musikgeschmack geprägt.

Zwischen zwanzigstem und dem vierzigstem Lebensjahr haben Geschwister statistisch gesehen am wenigsten miteinander zu tun


Ein solches Wegweisen durch den Älteren kann die familiäre Beziehung auf eine andere Ebene heben. „Wenn man in die Pubertät eintritt, beginnt die Zeit der Peer-Kontakte“, sagt Professor Kasten, „wenn das ältere Geschwister das jüngere in die Peer-Group einführt, ihm beim Erwachsenwerden hilft und sie dann noch eine Leidenschaft wie die Musik teilen, kann es einen harmonischen Übergang von der Geschwisterschaft in eine gemeinsame Peer-Group geben.“ Die gemeinsame Peer-Group ist vielleicht auch der Grund dafür, dass die Beziehungskurve bei Geschwistern in Bands anders verläuft als in den meisten anderen Familien.

Zwischen dem zwanzigsten und dem vierzigsten Lebensjahr haben Geschwister statistisch gesehen am wenigsten miteinander zu tun, weil jeder mit sich selbst, dem Berufsstart, der Partnerfindung und der Familienplanung beschäftigt ist. Das Verhältnis ist in dieser Zeit weniger eng als in der Kindheit und Jugend – und entspannter als später, wenn die Eltern gebrechlich werden oder es ums Erbe geht. Das Alter zwischen zwanzig und vierzig ist aber meist auch die Zeit, in der Menschen Bands gründen und sie zum Erfolg führen. Also eine Zeit der intensiven Zusammenarbeit. Und des engen Zusammenlebens. Tage im Studio. Nächte im Tourbus oder im Hotel. Und natürlich: Abende auf der Bühne. So viel Nähe, vor allem in einer Zeit, in der man sich eigentlich von der Familie abnabelt, birgt natürlich Konfliktpotenzial. Damit muss man umgehen lernen. „Weil wir uns so gut kennen, wissen wir, was der empfindliche Punkt beim anderen ist“, sagt Eva von Hundreds, „das kann man natürlich für sich nutzen.“ Wenn man ein künstlerisches Projekt vorantreiben will, kann es aber auch Vorteile haben, zusammen aufgewachsen und erzogen worden zu sein. „Viele Konflikte entstehen gar nicht erst, weil wir gemeinsam sozialisiert wurden“, sagt Eva, „wir haben einen ähnlichen Blick auf die Welt und die gleichen Werte.“
 
Vielleicht ist es so: Bandmitglieder sind sowieso immer ein bisschen wie Geschwister. Sie verbringen viel Zeit miteinander, oft auf engem Raum. Sie entwickeln sich zusammen. Jeder muss seinen Platz finden in einem Gefüge sich ähnlicher Menschen. Er muss Konflikte meistern, sich arrangieren. All das haben Geschwister trainiert. Wenn dazu ein Verhältnis ohne großes Konkurrenzempfinden und ein gemeinsames Interesse kommt, ist die Geschwisterbeziehung vielleicht die beste Basis für eine Band. Man muss ja eigentlich nur so weitermachen wie damals, als man in einem Haus wohnte, sich morgens das Bad geteilt und am Nachmittag zusammen gespielt hat. Die Band als Familie.

Aber scheitert, wenn die Band scheitert, auch die Familie? „Wenn alles den Bach runtergeht, sind wir immer noch zwei Brüder“, sagt Felix. „Wenn eine Band kaputtgeht, ist das eine Katastrophe“, sagt Philipp, „aber Angst, dass es danach zwischen uns schlechter laufen könnte, habe ich nicht.“ Bandkollege bleibt man nicht unbedingt für immer. Bruder oder Schwester schon.

Bandgeschwister spielen übrigens auch in einem Lied von Kraftklub eine Rolle. „Wenn du mich küsst“, singt Felix über eine Frau und Till spielt Bass dazu, „schreibt Noel wieder Songs für Liam!“ Oasis war so nämlich besser. Aber jede Familie ist anders.

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