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Aber hier leben: wovon nur?

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Dieses Interview ist Teil vom Studentenatlas "Berlin" von jetzt.de und sueddeutsche.de. Infos über den Atlas und weitere Studentenstädte bekommst du hier.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Jürgen Morgenstern ist Pressesprecher beim Studentenwerk Berlin. Seit zwölf Jahren arbeitet er bereits für das Studentenwerk und hat zuvor selbst in Ostberlin studiert. Die Stadt hat sich aus seiner Sicht seitdem massiv verändert.

Herr Morgenstern, Berlin boomt. Jährlich ziehen 50.000 Menschen hinzu, davon sind 5000 Studenten. Welche negativen Folgen hat dieser Hype?
Jürgen Morgenstern: Im vergangenen Wintersemester gab es etwa 160.000 Studierende in Berlin, diese Zahl wächst stetig. Wohnheimplätze sind deshalb so gefragt, wie noch nie. Im Augenblick stehen 2200 Studierende auf der Warteliste, denn unsere 9400 Wohnheimsplätze sind einfach alle belegt. Dass diese Studierenden zum kommenden Wintersemester noch ein Zimmer bekommen, ist quasi ausgeschlossen.  

In München muss man teilweise mehrere Jahre auf einen Wohnheimsplatz warten. Erreicht Berlin langsam Münchner Verhältnisse?
Die Wohnanlagen in angesagten Wohngegenden wie Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte oder in der Nähe der Universitäten sind natürlich gefragter als die am Stadtrand. Im Stadtzentrum muss man teilweise zwei Jahre auf einen Platz warten. Bei unserem Wohnheim am Kreuzberger Wassertorplatz, das ist ein richtig schicker Altbau aus der Gründerzeit, hat man fast keine Chance reinzukommen.  

Was unternimmt die Stadt dagegen?
Uns ist Anfang 2013  von der Politik versprochen worden, 5000 neue Wohnheimsplätze für Studierende zu schaffen. Nun sind eineinhalb Jahre vergangen und es gibt keinen einzigen neuen Platz. Allerdings gibt es Pläne für ein neues Wohnheim, in dem 200 Studierende wohnen könnten. Wenn in diesem Tempo die 5000 neuen Wohnheimsplätze geschaffen werden, profitieren vielleicht die Enkel unserer Kinder davon.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Jürgen Morgenstern

Dabei galt Berlin doch lange als Wohnungsparadies. Was hat sich verändert?
Berlin hat lange von den Folgen der deutschen Teilung profitiert. In der ehemaligen DDR wurden alle Studierenden mit Wohnraum versorgt, die Mieten waren niedrig. Viele haben sich deshalb sogar zwei Wohnungen geleistet. Nach der Wende sind viele Menschen zusammengezogen, auf einmal war massig Wohnraum vorhanden. Deshalb war es in Berlin bis Mitte der Nuller-Jahre auch kein Problem, als Student eine Wohnung zu finden. Doch mittlerweile wollen alle nach Berlin. Der Wohnraum wird immer knapper und teurer, die Gentrifizierung nimmt zu. Studenten konkurrieren in früheren Studentenvierteln mit Berufstätigen auf dem Wohnungsmarkt, das macht es schwerer. Deshalb ziehen sie um in neue Viertel, zum Beispiel den Wedding oder Neukölln. Wer das nötige Kleingeld hat, findet natürlich trotzdem etwas.  

Berlin ist in vielen Bereichen ja auch eine tolle Stadt. Es gibt viel Kultur, Ausgehmöglichkeiten, internationale Kontakte... Was allerdings fehlt, sind Jobs. Schreckt das nicht ab?
Darum geht es ja erstmal nicht. Die Leute interessieren sich erst einmal nur für ihr Studium. Das mit den Jobs wird dann allerdings zum Problem: Unseren Erhebungen zufolge finanzieren sich 60 Prozent der Berliner Studierenden mit Nebenjobs. Die werden allerdings seit ein paar Jahren immer seltener. Unsere studentische Arbeitsvermittlung „Heinzelmännchen“ hat vergangenes Jahr 5000 Jobs weniger anbieten können als noch vor zwei Jahren. Etwas zu finden, das mit den engen Zeitvorgaben im Bachelor- und Masterstudium zusammenpasst, ist dementsprechend eine ziemliche Herausforderung.  

Gerade weil alle nach Berlin wollen, haben viele Fächer einen extrem hohen NC. Ist die Stadt voller Streber? Oder eher voller Gammler, die sich ihre Zeit mit Feiern vertreiben, bis sie einen Studienplatz bekommen?
Beides. Manche haben Probleme, eine Balance zwischen Studieren und Feiern zu finden. Durch die hohe NC-Quote haben wir aber auch viele Studierende mit sehr guten Schulabschlüssen, die extrem leistungsorientiert sind. Die Studienabbruchquote ist deshalb in Berlin sehr niedrig. Berlin ist also nicht, wie man vielleicht meinen könnte, die Stadt der Gammelstudenten.  

Was sind Berlin-typische Probleme, mit denen Studierende zu Ihnen in die psychologische Beratung kommen?
Die Anonymität der Großstadt ist ein großes Problem. In Berlin kann jeder sein Privatleben so gestalten, wie er möchte. Da beobachtet einen kein Nachbar durch die Gardine. Da ist die Stadt toll, liberal und großzügig. Für Menschen, die Halt und Orientierung brauchen, ist das aber auch schwer. Manche fühlen sich alleine, wissen nicht, wo sie andere Leute kennenlernen können. Hinzu kommt das Problem, sich in einer derart großen Flächenstadt wie Berlin zurechtzufinden. Man kann in Berlin häufig nicht fix zur Hochschule laufen, sondern sitzt lange in öffentlichen Verkehrsmitteln.  

Wie kann ich denn rausfinden, ob Berlin als Uni-Stadt für mich geeignet ist?
Man muss sich vorher einfach einmal sorgfältig mit der Stadt auseinandersetzen. Sich bewusst machen, dass Berlin natürlich toll, hip und sexy ist. Aber gleichzeitig auch schnodderig, arm und anonym. Damit kommt nicht jeder zurecht.

Text: charlotte-haunhorst - Bild: o.H.

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