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Gezi-Park-Proteste 2013. Livebericht

Text: SergiHeidelberg






Der Taksimplatz am 11./12.06.2013 – Eine Grünfläche, dass durch den Angriff von 6000 Polizisten schwere Auseinandersetzungen mit den Demonstranten lieferte. Tausende Gasgranaten, Hartgummi-Geschosse, Flaschen, Backsteine, explodierende Autos verwandelten den friedlichen Park in ein einziges Kriegsgebiet.





Live-Bericht:



07:00 Uhr: Die Polizei rückt mit den ersten gepanzerten Wasserwerfer (T4, T11 etc.) und Baumaschinen an die friedliche Zeltstadt vom Gezi-Park vor. Ein Demonstrant schlägt Alarm. Alle Demonstranten/Demonstrantinnen werden aufgeweckt. Die Bagger beginnen die West-Seite der Grünfläche abzureißen und eine andere Gruppe von Polizisten macht sich leise an die Arbeit die vielen bunten Plakate, Flyer, Stände und Banner um den Platz herum zu entfernen. Tausende Demonstranten machen sich bereit für den Widerstand. Sie setzen ihre Gasmasken und Taucher/Schutzbrillen auf bzw. fangen mit dem Barrikadieren an, während der überwiegende Demonstrantenteil die Zeltstadt vorort beschützt. Sie legen sich auf den Boden, singen und spielen Trommel-Musik. 07:45 Uhr: Erste Gasgranaten werden in Richtung der Demonstranten geschossen. Die sehr mutigen beschützen ihre Freunde in der Zeltstadt direkt von unten aus. Sie werfen die Gasbomben zurück. Beifall von den Demonstranten, die von oben aus Trommelmusik spielen und anfeuern. Die Polizisten setzen anschließend ihre Gasmasken auf, formieren sich neu und setzen ihre massiven Wasserwerfer ein. Einige nicht-uniformierte Polizisten laufen in den Gezi-Park rein und rufen über ein Megaphone auf freundliche Weise aus: “Freunde, bitte verlasst den Platz, wir wollen euch nichts zu tun” – Die Polizeisprecher werden friedlich geduldet. Gegen Mittag sind etwa 1500 Polizisten einmarschiert und haben die Absperrungen der Westseite vollkommen durchbrochen. Zahlreiche Polizisten rücken in einem geordneten Aufzug nach und übernehmen fast jede versperrte Straße. 14:15 Uhr: kurzer Waffenstillstand. Im Duell stehen sich jetzt die Anwälte der Demonstranten mit den Polizeisprechern im Dialog gegenüber. Sie diskutieren im Stehen. Vergeblich. Über 40 Anwälte werden an diesem Tag festgenommen. In der Zwischenzeit rüsten beide Seiten auf. Die Demonstranten nehmen alles, was sie für ihre Absperrungen bekommen können und bauen innerhalb von 15min. eine gigantische Absperrung auf der Westseite auf. Gegen 16:00 Uhr: Ein Minibus brennt Feuer, mitten auf dem Platz. Ein Wasserwerfer fährt voran und versucht es zu löschen. Keine 10min. und der Wasserwerfer stellt rätselhafter Weise das Wasser ein und distanziert sich. Irgendwann explodierte der Minibus und Autoteile flogen durch die Gegend. Um 19:00 Uhr sind jetzt insgesamt 6000 Polizisten um den Platz herum positioniert. Ein Polizeisprecher bestätigte die Anzahl. Nach einer Befragung, bezeichnete ein Polizist die Demonstranten als Anti-Demokraten und Anarchisten und warnte vor einigen Gruppierungen. Mit kompromissloser Härte donnert sich die Polizei durch den Camp. Der Platz verschwindet unter einer einzigen grauen Gaswolke. Die Demonstranten geben nicht auf. Sie wirken erstaunlicherweise nach 12 Stunden Gasangriff enorm motiviert und spielen ihre Musik sowie Gesangs-Stimme so laut hinaus, wie es nur geht.



Touristen: die sich auf dem Platz oder in der Umgebung aufhielten wurden automatisch zu Opfern von Gasgranaten. Einige wurden mit Demonstranten verwechselt und kurzzeitig festgenommen. Andere flüchteten in nahgelegene Hotels, um dem giftigem Gas zu entkommen. Viele der Hotels ließen die Opfer rein und stellten genügend Nahrung bereit. Daneben verfielen auch Kinder und Babys im Kinderwagen sowie Tiere (Hunde/Katzen) zum Opfer. Zahlreiche geöffnete Geschäfte sind ohne Personal. Das Gift-Gas schleicht sich durch jede Spalte hindurch. Die Straßen sind leer gefegt und man sieht nur noch maskierte Menschen, die versuchen aus dem Ort rauszukommen. Das Scenario gleicht einem Zombie-Film. 01:30 Uhr: Die Zeltarea hingegen ist immer noch mit tausenden von Demonstranten besetzt. Sie geben nicht auf. Die Polizeisprecher, die über Megaphone weiterhin die Räumung ausrufen, verlieren die Geduld, beginnen aggressiv zu werden und rumzuschreien. Keiner der Demonstranten schenkt Beachtung und duldet die Anwesenheit der nichtbewaffneten Polizeisprecher. Alle Demonstranten stehen jetzt Hand in Hand auf den Beinen. Bilden Kreise oder sitzen gemeinschaftlich auf dem Boden zusammen. Sie rufen, dass sie keine Angst haben und mehr Demokratie in ihrem Land fordern. Zurück zur Westseite stehen dort weitere zahlreiche Demonstranten die den Gezi-Park von unten aus beschützen. 01:45 Uhr: Es fallen Schüsse – Die Demonstranten sind schockiert, schütteln den Kopf und schreien raus: “Wollt ihr uns umbringen? Das nennt ihr Demokratie? ” – Die Eskalation nimmt seinen Höhepunkt. Es fliegen Flaschen, Steine, Signalraketen in die Richtung der Polizisten. Die Polizei setzt im Gegenzug wieder Gasgranaten und irgendwelche Explosiv-Stoffe ein, die beim Aufprall mit dem Boden alles in einem Radius von 2m. zerprengen. 02:00 Uhr: Massenpanik auf der Westseite.



Das Ereignis vom 11./12.06.2013 in Taksim:  war ein Drama zwischen Munition und Gesang. Für mich als Reporter & Student von der Uni Gießen einer der spannendsten Erfahrungen die ich in meinem Leben je gesammelt habe.  Ich weiß nicht wie oft ich irgendwann von Weg zu Weg flüchten musste. Das Gift-Gas war überall. Die Zeltstadt war irgendwann zerstört. Ein sicheres Hotel war zu weit entfernt, um es sicher zu erreichen. Ich sah einen Menschen, der von einer Gasgranate lebensgefährlich am Kopf getroffen wurde und vermutlicherweise gestorben ist. Auch ich musste kurz in ein Hospital, denn das aggressive Gas bohrt sich durch die Haut. Die Augen fangen rasant an zu tränen, alles brennt am Körper. Mit Herzrasen lag ich kurzzeitig auf einer Liege im Krankenhaus. Husten musste ich keinesfalls und nach etwa einer Stunde ging es mir wieder prächtig bzw. konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen. Die Zeltstadt existiert nicht mehr.




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