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Wie bist du so als Gast?

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Ich erkenne mich kaum wieder, wenn ich zu Gast bin. Kürzlich erst: Ich war beruflich in Berlin und schlief vier Nächte bei einem Freund. Ich bekam das Zimmer der Mitbewohnerin, die gerade im Urlaub war. Ein kleines, nicht eben ordentliches Zimmer mit einem Poster von berühmten kommunistischen Anführern an der Wand. Darunter ein kleines Bett.

Ich bin nun sonst nicht gerade leidenschaftlich hausmännisch. Aber in jenen vier Tagen in Berlin fand ich mich jeden Morgen das Bett aufschütteln und glatt streichen. Dann kaufte ich Brötchen für meinen Freund und mich. Im Bad wischte ich nach dem Duschen die Bodenfliesen trocken. Obwohl ich offensichtlich der einzige Bewohner der Wohnung war, der dies tat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Hast du dieses Frühstück deinem Gastgeber bereitet? Oder er dir?

Ich mache das Bett sonst nie morgens. Ich wische die Bodenfliesen sonst nie trocken. Aber nun? Entdeckte ich, dass ich im Gast-Modus lief. Meine sonst über Jahre eingeschliffenen Routine-Nachlässigkeiten waren abgeschaltet. Ohne es mir bewusst vorgenommen zu haben, tat ich alles, um nicht zu stören - und positiv auf die Wohngemeinschaft einzuwirken. Und ich tue das mittlerweile überall, wenn ich Übernachtungsgast bin. Dabei hätte mein Freund das nie verlangt. Und früher, erinnerte ich mich, war ich als Gast noch anders: Da lebte ich selbstverständlich wie ein Zwischenmieter, wenn ich bei Freunden meinen Schlafsack ausrollte. Die Brötchen kaufte jeden Tag ein anderer. Und aufgeräumt wurde, wenn überhaupt, am letzten Tag, bevor ich zum Bus verschwand.

Ich bin, was mein Gastverhalten angeht, rücksichtsvoll geworden. Erwachsen, nehme ich an. Seit ich in einem Alter bin, wo ich mir auch ein Hotel leisten könnte, fühle ich mich, als müsste ich mich extra vorbildlich benehmen, wenn ich umsonst bei Freunden wohne.

Wie bist du als Gast? Hast du auch einen besonderen Ordnungs-Ehrgeiz, wenn du woanders eingeladen bist? Hängt es vom Gastgeber ab? Von den Wohnverhältnissen, in denen du eingeladen bist? Oder rührst du als Gast grundsätzlich keinen Finger, weil du das "Gastsein" wörtlich auslegst und der Gastgeber gefälligst dir die Brötchen vom Bäcker holt?

Text: lucas-grunewald - Foto: jala/photocase.de

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