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Auf dem Weg zur besten Party meines Lebens

Text: Kristen

Lange Zeit habe ich geglaubt, wenn ich es geschafft habe, regnet es Konfetti vom Himmel. Ich stehe auf einer Bühne. Die Scheinwerfer gehen an. Tosender Applaus. Die Frauen in der ersten Reihe sind zu Tränen gerührt und die Menge kreischt und schreit vor Ekstase.



Wenn ich es geschafft habe, ist das Leben eine never-ending-Party. Wenn ich es geschafft habe, entspreche ich allen gesellschaftlichen Idealen: Coolness strahlt wie ein Heiligenschein von mir ab, blendet fast; immer alles easy, bin aalglatt und ohne Makel; alles was ich anfasse wird zu Gold. Wenn ich es geschafft habe, ist alles immer locker, bin ich immer gut drauf und strahle mein Dauergrinsen wie eine nicht untergehende Sonne. Schlägt man den Begriff „Lebensglück“ im Duden nach, steht da als Definition einfach mein Name.



Wenn ich es geschafft haben, weiß ich zu jeder x-beliebigen Sekunde genau was ich will. Das Wort „Zweifel“ verbanne ich aus meinem Wortschatz. Brauche ich nicht mehr. Und wenn ich schon beim Ausmisten bin, schmeiße ich auch noch die Unklarheit, das Unbehagen, die Unzufriedenheit, die Unzulänglichkeit und den Unaktivismus in den Müllsack. Alles was auch nur den Anschein macht an meiner 24-hours-Glückseligkeits-Flat zu kratzen wird in die ewige Verdammnis/ in das schwarze Loch der Nicht-Existenz katapultiert.



Frisch, fromm, fröhlich, frei stehe ich jeden Morgen auf und absolviere mein körperoptimierendes Sportprogramm bevor ich unantastbar dynamisch und charmant ins Büro schwebe. So schlendre ich durchs permanent high-feeling-Paradis und ernte Applaus. Hab's ja schließlich geschafft. Das Tor geschossen, die Ziellinie überquert, das Ding gerockt und den Jackpot geknackt.



Ich muss aufhören zu schreiben. Keine Zeit mehr für unnütze, nicht zielführende Dinge. Bin auf dem Weg es zu schaffen. Die gesellschaftlichen Ideale sind hoch, aber Yes, I can.



Und renne mit lautem Krachen vor die Wand.



Hä?! Woher kommt auf dem geraden Weg zur Erfüllung der gesellschaftlichen Idealvorstellung plötzlich diese steinharte, unüberwindbare Mauer?! Ich wollte in einem warmen, tiefblauen Ozean des Glückes schwimmen und finde mich wieder auf dem Grund eines ausgetrockneten, traurig leeren Tümpels. Jede Anstrengung diese absolute Leere in mir mit den von der Gesellschaft favorisierten Ersatzbefriedigungen wie bewusstseinsverändernden Substanzen, übererregter Aktivismus und maßloser, dauerhafter Konsum zu stopfen, hat nicht einen Nanometer weit gereicht.



Mein Schiff ist gekentert. Der Ofen ist aus. Die Flamme erloschen. Endstation erreicht. Dass in jeder Hinsicht auf modellhafte Äußerlichkeit ausgerichtete Leben ist mit einem Gefühl der tiefen, hinterlistigen Ent-Täuschung gescheitert. In der angepriesenen Überraschungstüte für Gewinnertypen befindet sich einzig und alleine gar nichts. Nichts. Leere. Absolute grenzenlose Leere. 



Weil das Leben ist gar keine Party. Das Leben ist nicht schrill und laut. Es glitzert und glimmert nicht an allen Ecken und Kanten. Es ist keine Dauerschleife im Applaus-Ernten.



Es ist leise. Ganz still um mich herum. Der Wind streichelt sanft das Blätterkleid der Buche. Ich sitze in einem verwilderten, abgelegenen Garten und empfinde so etwas wie leises, zartes Glück. Ich bin mit mir ganz. Ich genüge mir. Es ist okay nicht mehr vom Leben zu wollen als ausreichend Schlaf, eine entspannte Grundhaltung und gute Freunde. Ich hab die Stahlketten des aufoktroyierten Selbstoptimierungszwangs dieser Zeit durchtrennt. Der Raum füllt sich langsam mit Sein-dürfen. Eine natürliche, mit der Geburt erhaltende und damit unerschütterliche Existenzberechtigung breitet sich wie ein geschmeidiger Teppich vor mir aus. Und in diesem Garten sitzend steigt etwas auf. Oder ich steige hinab. In ein irres, tiefes, sattes, zeit-und raumausschaltendes Empfinden für den Moment an sich. Erinnere ich mich noch recht an die Politikeinführungsvorlesung aus meinem 1.Semester kann der Mensch Aristoteles zufolge Glückseligkeit empfinden, wenn er sich ganz einer Sache an sich widmet. Diese Gesellschaft denkt verquer, wenn sie das Ziel von der Aktivität insofern trennt als dass es eine Aktivität für etwas wird. Dann ist die Zeit bis zur Erreichung des vielleicht nicht-eintreffenden Endzustandes mühsam unerfüllt.



Ich tauche auf den Spuren der aristotelischen Glückseligkeit ab in ein Reich des zuvor Unvorstellbaren. Mit voller Kraft, zum Bersten gespannten Segeln und einer die real-exisiterende Welt auflösende Konzentration von Geist und Seele entfacht sich tief in mir eine Leidenschaft. Eine tiefe Liebe in Geschichten, Gespräche, Augenblicke zu versinken. Keine materiell existierende Ersatzbefriedigung hat je diese satte, allumfassende Zufriedenheit im Hier und Jetzt auslösen können. Die Leere wurde nicht gestopft. Der leere Raum in mir hat sich mit mir selbst gefüllt.



Phänotypisch hat sich mein Leben vielleicht gar nicht so gravierend geändert. Aber in mir habe ich einen tiefverborgenen Schatz entdeckt, den ich wie ein rohes – ja vielleicht sogar angeknackstes rohes Ei beschützen möchte.



Gerade fühlt sich mein Leben an wie eine bunte Zucker-Bonbon-Tüte aus dem Gemischtwarenladen: ein süßer, leckerer Mix.



 



 

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