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Studiert in Schottland oder Wo kann man sonst nachts um drei in der Nordsee baden?

Text: Schneewittchen13

Früher oder später wird in jedem Gespräch, dass ich die letzten drei Wochen geführt habe, gefragt: „Warum Aberdeen?“. Meine Antwort ist stets ehrlich und simpel. Erstens hat sich mein bester Freund an schottischen Unis beworben, da dachte ich mir „Tolle Sache“ und habe mich auch beworben. Zweitens hab ich in Edinburgh und Glasgow keinen Platz bekommen, also Aberdeen.

Die Antworten mögen naiv klingen, sie sind es auch, ich weiß. Ich bin nicht eines Morgens als 13-jähriges Mädchen aufgewacht mit dem Wunsch: „Ich möchte eines Tages in Schottland studieren“ sondern es ist einfach irgendwie passiert. Und ich habe bis jetzt keine einzige Sekund bereut, nach Aberdeen zu gehen. Da es diesen Artikel wohl kaum geben würde, wenn es wirklich nur die kurze Antwort gibt hier also: die ausführliche Antwort auf die Frage, warum beziehungsweise was ich eigentlich in Schottland studiere. 



Ich studiere seit Anfang September Geschichte und Politik und bin nach vier Jahren mit meinem Bachelor, der verwirrenderweise Master of Arts heißt, fertig. Ein Studium lässt sich in Schottland in zwei Teile einteilen: in den ersten beiden Jahren studiert man fröhlich vor sich hin und in den letzten beiden Jahren spezialisiert man sich auf ein Thema und schreibt eine Abschlussarbeit.
Pro Halbjahr muss man vier Kurse belegen, in meinem Fall sind zwei davon festgeschrieben, einen in Geschichte und einen in Politik. Fehlen noch zwei – und die darf man aus dem kompletten Kursangebot der Uni wählen. Psychologie, Jura, Marinebiologie oder Arabisch – was das Herz begehrt. Ich habe mich für einen Geographie-Kurs mit dem Titel Global World, Global Challenges und Sustainable International Development entschieden und bin total begeistert. Für jeden Kurs gibt es zwei Vorlesungen und ein Seminar pro Woche, obwohl man zwischen Geisteswissenschaften wie Geschichte und beispielsweise Psychologie unterscheiden muss. Auf meinem Stundenplan sehen die zwölf Stunden Uni pro Woche etwas verloren zwischen den ganzen weißen Kästchen aus. Aber keine Sorge, es gibt genug zu tun: ich muss für jedes Seminar im Schnitt 80 – 100 Seiten lesen, dann kommen noch Essays, Exkursionen, Referate und Ende Dezember die exams dazu.



 Ein Semester dauert 12 Wochen plus zwei Wochen Prüfungszeit und wenn wir Semesterferien haben dann haben wir Semesterferien. Keine Prüfungen, keine Referate vorbereiten, nichts. Da die Kurse nur jeweils ein Semester dauern ist das Themengebiet, das behandelt wird, danach abgeschlossen. Wenn ich Weihnachten nach Hause fliege dann hab ich mein erstes Semester schon hinter mir und am 19. Januar (jap, richtig gelesen, wir haben vier Wochen Weihnachtsferien) geht es wieder für 12 Wochen los, dann allerdings mit dreiwöchiger Spring Break Pause.



Genug zu den Ferien, reden wir über Geld. Die allerbeste Meldung zuerst: It’s for free! Pro Jahr fallen an schottischen Universitäten £1.820 Studiengebühren an. EU-Studenten und Schotten können sich allerdings bei der Student Awards Agency for Scotland (SAAS) „bewerben“ und bekommen dann die Gebühren vom schottischen Staat bezahlt. Bewerben bedeutet jedoch lediglich, seine Daten in ein Online-Formular einzutippen; et voilá, Studiengebührenproblem gelöst. Es ist wirklich so einfach wie es klingt, keine reine Elitenförderung, kein Zurückzahlen. Deshalb wimmelt es in Aberdeen auch an europäischen und internationalen Studenten und man lernt Leute aus der ganzen Welt kennen (und viele Deutsche, die wird man, egal wie weit man von zuhause weggeht, nie los).



Als new undergraduate Student bekommt man ein Zimmer in den Halls der Uni garantiert, und obwohl ich mich am Anfang sehr schwer mit der Idee anfreunden konnte, mein Zimmer für ein Jahr mit einem Teppichboden zu teilen, sind Halls ideal für das erste Jahr an der Uni. Nirgendwo sonst lernt man so leicht so viele Leute kennen. Wenn in meiner Küche mal gerade niemand ist, geh ich eben in die nebenan und frühstücke dort. Wir leben alle in einem kleinen „Studentendorf“, alle Freunde im Zweiminuten Radius zu Fuß erreichbar, zehn Minuten vom Strand entfernt, zur Uni laufen wir durch einen wunderschönen englischen Park und, wo wir gerade Werbung für Aberdeen machen, unser Campus sieht aus wie Hogwarts, außer unsere Bücherei, die ist fantastisch und sieht aus wie ein riesiger gestreifter Würfel.



 Worauf meine Freunde, die in Deutschland studieren, etwas neidisch sind ist das riesige Angebot an Society und Sport Clubs. Es gibt wirklich nichts, dass es nicht gibt. Unter anderen haben wir eine japanische Society, eine Beer & Brewing Society, eine Paintball Society, eine Stricksociety, Yoga, Zirkus, Glee Club, Impro-Theater, eine Fahrradwerkstatt, Bogenschießen, Snowboarden, Surfen, Rugby, eine Veggie Society, ein Café, in dem Studenten fünf Tage die Woche für Studenten kochen und natürlich eine Studentenzeitung.



 Nebenbei lernt man jeden Tag ein bisschen besser Englisch, zum Beispiel dass Tea nicht immer Tee bedeutet sondern in manchen Fällen auch Abendessen, und wer es schafft, mit einem Schotten aus Glasgow ein Gespräch zu führen muss sich um seinen Englischkenntnisse keine Sorgen mehr machen. Nicht verwundert sein wenn man beim ersten Treffen mit offenem Mund verdutzt versucht, etwas zu verstehen – das geht jedem so. Und allen denen es nicht so geht habe noch keinen eingefleischten Glasgower erlebt.



 Die Schotten sind, ich stelle das mal so in den Raum, die freundlichsten Menschen der Welt. Wenn man ein Laden betritt, wird einem nicht ein garstig-deutsches „Was wollen Sie?“ entgegengeworfen sondern man wird tatsächlich gefragt, wie es einem geht. In einem normalen Lebensmittelgeschäft. Busfahrer verabschieden sich wenn man aus dem Bus aussteigt und in der Bank wird man von der Sekretärin durchgehend mit Lovely angesprochen. Wen das alles nicht beeindruckt, es gibt ja immer noch den guten schottischen Whiskey, verrückte Volkstänze, Seehunde am Strand und Haggis. Und wo kann man schon nachts um drei in der Nordsee baden? 






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